Rezension Rezension (4/5*) zu Mal Aria: Roman von Carmen Stephan.

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Der ewige Kreislauf...


Am Abend lief Carmen noch um die Wette am Strand – in der Nacht weckt sie ein kalter Schmerz. Kein Arzt in Brasilien weiß i zu helfen. Nur einer weiß alles: der Moskito, der Carmen gestochen hat ... Immer tiefer verbindet er sich mit seinem Opfer, immer tiefer zieht er den Leser in diese Geschichte, die zugleich eine Parabel über die Unkontrollierbarkeit des Lebens ist.

Ich habe ja schon die verrücktesten Perspektiven in Büchern erlebt - aber aus der Sicht einer Mücke, genauer: einer Anopheles, habe ich noch nie etwas gelesen. Als Überträgerin der Malaria hat sie Carmen durch einen einzigen Stich die gefährlichen Plasmodien in ihren Organismus geschleust. Nun übermannt die Mücke aber das schlechte Gewissen, so dass sie Carmen fortan begleitet und beobachtet, was geschieht. Die Mücke sieht sich selbst als Opfer der winzigen Einzeller und Carmen ebenso - dieses Schicksal verbindet.

Rein sachlich gesagt, präsentiert Carmen Stephan hier in ungewöhnlicher Perspektive viel Hintergrundwissen zu der gefährlichen Erkrankung, über die inzwischen zwar viel bekannt ist, die aber immer noch nicht wirklich bekämpft werden kann.

Der Moskito berichtet von dem dramatischen Krankheitsverlauf Carmens, die es mit immer neuen Ärzten versucht, die jedoch nur nach Wahrscheinlichkeiten urteilen. In Brasilien grassiert das Dengue-Fieber, also geht man davon aus, dass sich Carmen damit angesteckt hat. Auf die unwahrscheinlichere Variante Malaria kommt zunächst niemand, so dass die Plasmodien ihr Unheil anrichten können.

Der Moskito ist historisch bewandert, durch das Teilen des Blutes auch mit Carmens Gedanken- und Gefühlswelt eng verbunden und zudem philosophisch veranlagt. So bekommt der Leser hier nicht nur den Verlauf der Krankheit präsentiert, sofern sie nicht rechtzeitig behandelt wird, und erfährt auch einiges über die medizinische Forschungsgeschichte zu Malaria (italienisch: mala aria = schlechte Luft, Böses aus der Luft), sondern bekommt auch einen mitunter recht unangenehmen Spiegel vorgehalten. Die Mücke stellt einige Aspekte des Verhaltens der Menschen sehr in Frage.

Der ewige Kreislauf der Malaria - fast schon muss man die Raffinesse der einzelligen Plasmodien bewundern, die sich nicht nur etliche Male in ihrer Gestalt verändert, sondern die sich auch so gut anpassen, dass sich alle bisherigen Mittel letztlich gegen die richten, die es schützen sollte: die Menschen. Die Einzeller schaffen es beispielsweise auch, dass sich der Körpergeruch des Menschen derart verändert, dass die Mücken sich unfehlbar auf ihn stürzen, um das vom Erreger befallene Blut aufzunehmen und den Kreislauf der Malaria von neuem beginnen zu lassen.

Der Schreibstil ist gehoben, zuweilen fast schon poetisch, manchmal erscheinen die Sätze unzusammenhängend, passend jedoch zu den wirren Fieberträumen der Kranken. Alles in allem eine geschickte Wahl der Erzählperspektive, die gleichzeitig distanziert und doch emotional nah scheint.

Wahrlich ein besonderes Buch!


© Parden

 

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