1. Leseabschnitt: Anfang bis Seite 64

Leseglück

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"Die einzige Geschichte" scheint auch wieder ein stark polarisierendes Buch zu sein. Hab schon die ein oder andere Negativ-Rezension
Bei uns im Lesekreis gibt es bisher allerdings keine Polarisierung: Ich habe nun den ersten Abschnitt auch gelesen und auch ich bin schon ganz begeistert von dem Buch . Ihr habt schon alles beschrieben: Die unspektakuläre aber sehr genaue Sprache, die Leichtigkeit, der Humor aber alles unterlegt mit Traurigkeit.
Mir hat besonders gefallen, dass der Erzähler uns Leser immer wieder direkt anspricht und z.B. darauf hinweist, dass die Geschichte die er erzählt, lediglich seinen Erinnerungen folgt, also kein genaues objektives Protokoll ist, denn die Erinnerung "siebt und sortiert je nach den Anforderungen, die der Erinnernde an sie stellt..." (schöner Satz!).

Schön finde ich persönlich auch wie es Julian Barnes schafft, mir als Leserin die Liebe, die zwischen Susan und Marko entsteht, nahe zu bringen. Ich gehöre eigentlich auch zu den Menschen, die Paare mit sehr großem Altersunterschied ein bisschen misstrauisch anschauen und ich weiß nicht wie es mir gefallen würde, wenn mein 20jähriger Sohn eine fast 50jährige Freundin hätte....Hier allerdings habe ich keine Abneigung gegen die Beziehung gespürt, im Gegenteil man wünscht den beiden eigentlich alles Gute obwohl ja schon klar ist, dass zumindest Marko einen hohen Preis für seine Liebe zahlen wird...(welchen, ich bin gespannt...).

Wie beantwortet ihr eigentlich die Eingangsfrage des Romans? Würdet ihr lieber mehr lieben und dafür mehr leiden oder weniger lieben und weniger leiden? Für mich ist das ganz klar: Ich würde - wenn man sich entscheiden könnte oder müsste - ganz eindeutig weniger lieben und dafür weniger leiden.
 

kingofmusic

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Wie beantwortet ihr eigentlich die Eingangsfrage des Romans? Würdet ihr lieber mehr lieben und dafür mehr leiden oder weniger lieben und weniger leiden? Für mich ist das ganz klar: Ich würde - wenn man sich entscheiden könnte oder müsste - ganz eindeutig weniger lieben und dafür weniger leiden.
Kann man diese Frage überhaupt beantworten? Mehr lieben heißt nicht zwangsläufig mehr leiden. Ebenso wie weniger lieben nicht zwangsläufig weniger leiden heißt. Ich kann auch weniger lieben und trotzdem mehr darunter (also unter weniger lieben) leiden. :confused::D
 

Literaturhexle

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Ich gehöre eigentlich auch zu den Menschen, die Paare mit sehr großem Altersunterschied ein bisschen misstrauisch anschauen und ich weiß nicht wie es mir gefallen würde, wenn mein 20jähriger Sohn eine fast 50jährige Freundin hätte
Ich denke, das geht den allermeisten so. Selten bekommt man so eine intime Innensicht. Man spürt, wie sich die Liebe der beiden anfühlt. Zunächst schlägt zwar der Blitz irgendwie ein, aber Sexualität kommt erst später.
Wie beantwortet ihr eigentlich die Eingangsfrage des Romans?
Die Frage kann nur jemand Stellen, der eine traurige Liebe hinter sich hat und an unbeschwertes Glück nicht glaubt.
Nicht jede große Liebe muss Leiden nach sich ziehen :)
Die Frage erinnert mich an den Song "Wolke 4": Er will lieber auf Wolke 4 als auf Wolke 7 sein - weil er da nicht so tief fällt :D
 

Querleserin

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So, mit etwas Verspätung steige ich jetzt auch mit ein und bemühe mich hinterher zu kommen ;)
Mich hat der Roman auch sofort in seinen Bann gezogen, was auch an der direkten Ansprache an die Leser*innen liegt, wie @Leseglück schon ausgeführt hat.
Ich fand auch den Hinweis, dass er ja zwangsläufig das Setting einführen muss, interessant. Da spielt er mit den Erwartungen der Leser*innen und weist gleich daraufhin, dass das gesellschaftliche Umfeld in den Klassikern eine Rolle spielt:

"Die Zeit der Ort, das soziale Milieu? Ich weiß nicht, ob das in Geschichten über die Liebe wichtig ist. In den alten Zeiten vielleicht, bei den Klassikern..." (12)

Aber ist das wirklich so, dass es keine Rolle mehr spielt. Eine Beziehung zwischen einem 19jährigen und einer 48jährigen sind auch in England vor 50 Jahren problematisch.
Witzig fand ich die Bemerkung zum Wetter - da spielt er darauf an, dass in vielen Romanen das Wetter die innere Handlung widerspiegelt - ganz extrem wird das ja in Filmen ausgetreten
"Wenn Sie gestatten, wird daher die Meteorologie in meiner Geschichte keine Rolle spielen." (14)

Wie Barnes über den Wert und die Genauigkeit von Erinnerungen schwadroniert....
Das ist ein interessanter Punkt. In der Abilektüre "Weh dem, der aus der Reihe tanzt" durften wir uns mit dem Memorialstil auseinander setzen. Die Tatsache, dass wir, um Lücken in Erinnerungen zu füllen, fiktionalisieren - sind sie deswegen nicht mehr wahrhaftig?
Das deutet Barnes auch an, die Erinnerungen folgen nicht der Chronologie, werden nach Prioritäten erzählt.
Aber er will trotzdem die Wahrheit erzählten, er versucht nicht die Geschichte auszumalen.
Für mich ist das ganz klar: Ich würde - wenn man sich entscheiden könnte oder müsste - ganz eindeutig weniger lieben und dafür weniger leiden.
Ein Leben in vollen Zügen, zu lieben und dafür zu leiden, oder Leben auf Sparflamme. Stimme euch zu, muss es nur diese Extreme geben?

Der Titel wird uns noch einmal von Susan erklärt, jeder Mensch hat eine Liebesgeschichte, es ist die einzige, die zählt (59). @Literaturhexle hat die verschiedenen traurigen Geschichten schon erwähnt - auch die zwischen Paul und Susan führt offenkundig zu keinem guten Ende :(

Ich freue mich aufs Weiterlesen ;)

Wie findet ihr das Verzäh
 

Leseglück

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7. Juni 2017
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Interessant! Ist Memorialstil ein "Fachausdruck" in der Literaturwissenschaft?
Ich denke mit Hilfe der Erinnerungen erzählen wir uns ständig eine Geschichte über uns selbst, was ein Gefühl der Identität entstehen lässt. Mit Realität oder Wahrheit im eigentlichen Sinne hat das nicht unbedingt etwas zu tun. Es ist die eigene Wahrheit, die uns hilft im Leben zurecht zu kommen.

Aber er will trotzdem die Wahrheit erzählten, er versucht nicht die Geschichte auszumalen.
Ich hatte beim Lesen auch den Eindruck, dass sich hier ein Erzähler um Genauigkeit und Wahrheit bemüht ist. Vielleicht erreicht man das gerade dadurch, dass man Erinnerungslücken zugibt.
Die Sache mit dem Wetter fand ich auch toll. ich habe mich gefragt warum Julian Barnes schreibt, der Leser könne keine Angaben zum Wetter erwarten. Mit deiner Erklärung wird das nun klar.
 

Querleserin

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Ist Memorialstil ein "Fachausdruck" in der Literaturwissenschaft?
Der Begriff ist mir jetzt auch zum ersten Mal im Zusammenhang mit unserer Abiturlektüre begegnet. Aber ja, es ist ein Fachbegriff. In diesem Roman rekonstruiert der Autor seine Erinnerung an Kindheit und Jugend, in der er der NS-Ideologie verfallen ist. Bei dem Roman handelt es sich allerdings im Gegensatz zum vorliegenden um eine Biographie, bei Barnes ist letztlich alles fiktiv, nur der fiktive Ich-Erzähler ist um die erzählte Wahrheit bemüht, trotzdem verdrängt auch er zunächst unangenehme Erinnerungen (siehe übernächster Abschnitt ;) )

Zum Memorialstil:
Die Erinnerung impliziert Bilder und Trugbilder, so dass oft keine Trennung von Faktizität und Fiktionalität möglich ist.
Das was "fehlt", wird literarisch umgestaltet, so dass Erlebtes und deshalb auch in der Erinnerung mit räumlicher und zeitlicher Distanz Nacherlebtes und Geschriebenes Produkt einer individuell-subjektiven (Re-)Konstruktion von Wirklichkeiten sind.
Auf der Grundlage dieser defizitären Erinnerungsfähigkeit ist das Ringen um Wahrheit ein Bemühen um Wahrhaftigkeit.
Nicht erinnerte Ereignisse werden durch fiktionale Elemente so ersetzt, dass sich eine in sich stimmige Ereignisabfolge ergibt.
Das Gestaltete macht das Erlebnis wahrhaftig, die Fiktion wird zu einer neuen Wahrheit, da in der Übertreibung das Wesentliche sichtbarer wird.

(aus meinen Unterlagen ;) )
 
G

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Gast
Habe den ersten Abschnitt gelesen und bin begeistert von der Sprachgewalt eines Julian Barnes! Da sind so viele Gedanken, die nachhallen und tief bewegen.

[zitat]Würden Sie lieber mehr lieben und dafür mehr leiden oder weniger lieben und weniger leiden? S.11[/zitat]

[zitat]Kann ein Wort mehr als ein Gegenteil haben? S.12[/zitat]

[zitat]Los ist doch ein anderer Name für Schicksal. S.17[/zitat]

[zitat]Aber wer schaut in der Liebe schon voraus, um dann zurückzublicken ? S.27[/zitat]

[zitat]Das ist so eine Sache im Leben. Wir sind alle auf der Suche nach einem sicheren Ort. Und wenn man den nicht findet, muss man lernen, sich die Zeit zu vertreiben. S.58[/zitat]

Ihr merkt, ich bin hin und weg. Love it!!! :rolleyes::rolleyes::rolleyes:
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Herrlich britisch-humorig, dieses Buch :D. Bin jetzt auf Seite 35 und musste schon so oft lachen - wunderbar.
Die Verschrobenheit der Tennisclubmitglieder, die Prüderie im England der ca. 1960er Jahre - köstlich. Macht jetzt schon Spaß, es zu lesen (falls ihr es noch nicht bemerkt habt :D:D:D.)

Definitiv, king! Mir gefällt das Buch und dieser köstliche Humor sehr! Diese Hugos und Carolines, die Elefantenbuxe oder Gärtner, die russischen Spione und ihr Wasisski, herrlich :D:p:D
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Barnes geht sehr sorgfältig mit Worten und mit der Sprache um. Ab und zu streut er kleine Wortspiele ein:
[zitat]So sorgsam, wie ich damals sorglos war.[/zitat]8
[zitat]und überhaupt: meine ich "erfahrener im Sex" oder "erfahrener in der Liebe?"[/zitat]
Oder er erklärt das, was er meint, ganz genau. Fasziniert hat mich der Abschnitt über die Authentizität von Erinnerungen (S. 30) Das ist einfach tolle.Schreibkunst! Deshalb muss man auch bedächtig lesen.

Schon im ersten Abschnitt bekommt man eine Ahnung, dass die Geschichte, die so wunderbar sorglos beginnt, es am Ende nicht bleiben wird:[zitat]Und obwohl wir am Ende dem Ziel meiner Träume nahekamen, hatte ich keine Ahnung, welchen Preis wir dafür zahlen würden (S. 52)[/zitat]

Am Rande wird sein bester Freund Eric erwähnt. Den er verraten und allein gelassen hat.

Auch Joan, die sich immer den falschen Mann ausgesucht hat, wird mit ihrer traurigen Liebesgeschichte eingeführt.

Und Susan selbst? Fast schon zufällig ist sie auf ihren Mann gestoßen... Der erste Geliebte verstarb, der zweite blieb im Krieg, dann nahm sie eben Gordon, in der Hoffnung, dass er weniger griesgrämig würde...
[zitat]Du siehst, die Besten waren alle weg. Uns blieben nur sie weniger Guten (S. 62)[/zitat]

Ein Buch voller wundervoller Gedanken, welche förmlich zum Sinnieren einladen! Love it!!!

Die Stelle mit den Erinnerungen hat mich auch sofort an ein anderes Buch denken lassen, wo es um die Verformbarkeit von Erinnerungen geht.

 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Ja, diese genialen Wortspielereien machen dieses Buch so besonders! Darauf, was mit Eric passiert ist, bin ich auch sehr gespannt. Großartig fand ich auch die Episode, wo er das erste Mal mit Susan bei Joan war und er dann eine mathematische Rechnung aufgestellt hat, ob es sich wirklich lohnt, den Alkohol 10 Meilen entfernt zu kaufen, nur weil er dort günstiger ist :D:D:D.

Jaa, kein Wunder, dass er da Joan beeindruckt/erheitert. :D;)
 
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G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Ja, allerdings, als er etwa von dem Tennisturnier erzählt gegen ein Rentnerehepaar, und dass sie dann gegen die "Luschen" verloren haben, war schon sehr witzig.

Mich hat dieses Buch von Anfang an in seinen Bann gezogen, ohne dass ich genau sagen könnte, warum.

Das Buch hat mich ebenso in seinen Bann gezogen. Die Sprache und die Kraft, die in den Worten liegt, hauen mich förmlich um. Herrlich!:rolleyes:
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Bei uns im Lesekreis gibt es bisher allerdings keine Polarisierung: Ich habe nun den ersten Abschnitt auch gelesen und auch ich bin schon ganz begeistert von dem Buch . Ihr habt schon alles beschrieben: Die unspektakuläre aber sehr genaue Sprache, die Leichtigkeit, der Humor aber alles unterlegt mit Traurigkeit.
Mir hat besonders gefallen, dass der Erzähler uns Leser immer wieder direkt anspricht und z.B. darauf hinweist, dass die Geschichte die er erzählt, lediglich seinen Erinnerungen folgt, also kein genaues objektives Protokoll ist, denn die Erinnerung "siebt und sortiert je nach den Anforderungen, die der Erinnernde an sie stellt..." (schöner Satz!).

Schön finde ich persönlich auch wie es Julian Barnes schafft, mir als Leserin die Liebe, die zwischen Susan und Marko entsteht, nahe zu bringen. Ich gehöre eigentlich auch zu den Menschen, die Paare mit sehr großem Altersunterschied ein bisschen misstrauisch anschauen und ich weiß nicht wie es mir gefallen würde, wenn mein 20jähriger Sohn eine fast 50jährige Freundin hätte....Hier allerdings habe ich keine Abneigung gegen die Beziehung gespürt, im Gegenteil man wünscht den beiden eigentlich alles Gute obwohl ja schon klar ist, dass zumindest Marko einen hohen Preis für seine Liebe zahlen wird...(welchen, ich bin gespannt...).

Wie beantwortet ihr eigentlich die Eingangsfrage des Romans? Würdet ihr lieber mehr lieben und dafür mehr leiden oder weniger lieben und weniger leiden? Für mich ist das ganz klar: Ich würde - wenn man sich entscheiden könnte oder müsste - ganz eindeutig weniger lieben und dafür weniger leiden.

Stimmt, man wird vom Autor gefangen genommen und ist sofort für Susan und Paul. Und ja, ich bin sehr gespannt, wie das hier ausgeht!

Ich kann auf diese Frage keine Antwort geben. Lieben ist eines der schönsten Dinge auf Erden, das Leiden in Verbindung zur Liebe ist eines der schlimmsten. Festlegen kann ich mich trotzdem nicht. :oops::rolleyes:
 
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G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Dann lesen wir ihn vielleicht auch wieder gemeinsam :)
Ich habe
noch vorrätig...

Dieses habe ich nicht. Bei mir schwirren noch

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und


ungelesen herum. Aber ich habe den eigenartigen Verdacht, dass ich sehr bald mehr von Julian Barnes besitzen werde. Wieso nur? :p:D:p
 

Literaturhexle

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Lieben ist eines der schönsten Dinge auf Erden, das Leiden in Verbindung zur Liebe ist eines der schlimmsten.
Aber es gibt doch auch Liebe ohne Leiden!
Da finde ich den Autor schon reichlich pessimistisch. Man muss nach Homer nur "die Einheit im Geiste" haben :)
Doch glückliche, ungetrübte Liebesgeschichten will auch kaum einer lesen...:heartarrow
 

Literaturhexle

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ungelesen herum. Aber ich habe den eigenartigen Verdacht, dass ich sehr bald mehr von Julian Barnes besitzen werde. Wieso nur? :p:D:p
Diese beiden habe ich schon gelesen. Zum Ende der Geschichte schwirrt hier noch eine kleine Leserunde rum. Sehr hilfreich. Beim ersten Lesen alleine fand ich das Buch nicht annähernd so gut.