Rezension Rezension (2/5*) zu Stella von Takis Würger.

kingofmusic

Bekanntes Mitglied
30. Oktober 2018
7.245
18.661
49
48
Die Sache mit der Wahrheit

„Hast du mal Hibiskus blühen sehen?“ […] „So ist die Wahrheit, Junge, wie Hibiskus. Irgendwann wirst du es sehen. In Ägypten findest du ganze Gärten. Wunderschön da. Ganze Gärten findest du. Und der Hibiskus blüht in tausend verschiedenen Arten.“ (S. 25)

Über „Stella“ von Takis Würger ist dieses Jahr schon eine hitzige Diskussion entbrannt…Ob Takis Würger genau diese Diskussion anfachen wollte, weiß ich nicht. Aber nach Ende der (kurzen) Lektüre kann ich sagen: mich hat er nicht für sich gewonnen.

Verpackt in eine fiktive Liebesgeschichte erfährt der Leser von der realen Stella Goldschlag – einer „Greiferin“ der Nazis, die (Mit-)Juden denunziert, verraten und so dem NS-Regime ausgeliefert hat. Und das „nur“, weil sie sich und ihre Eltern vor der eigenen Deportation schützen wollte. Ja, über das im letzten Satz in Gänsefüßchen gesetzte nur kann man sicher auch diskutieren. Keiner von uns weiß letztlich, was wir selber tun würden, um unser Leben und das unserer Lieben zu retten.

Aber hier geht es nicht um die Frage „Darf die das?“, sondern schlicht und ergreifend darum, warum Takis Würger es nicht geschafft hat, mich mit seinem Roman abzuholen. Das Einzige, was er geschafft hat, ist, dass ich mich in geraumer Zeit weiter mit Stella Goldschlag befassen werde.

Der fiktive Friedrich (Sohn reicher Eltern aus der Schweiz) kommt 1942 nach Berlin, um sich von den Gerüchten über die (Ab-)Transporte selbst ein Bild zu machen. Vorher erfährt der Leser von seinem (tragischen) Leben als Kind, warum er eine Narbe im Gesicht hat und farbenblind ist. So weit so gähn. Hat man schon oft in besser verpackten Geschichten zu lesen bekommen. Aber irgendwie muss man ja den Bogen zu dem naiven 20-jährigen schlagen.

In Berlin trifft er auf Kristin aka Stella und einen mir von vornherein unglaublich unsympathischen SS-Schergen namens Tristan von Appen, der mir mit seiner Attitüde (schön, reich und „Ich genieße das Leben, auch wenn Krieg ist.“) ziemlich auf die Nerven ging. Vielleicht wollte Takis Würger mit seinen (fiktiven) Charakteren genau das Erreichen: alle Schichten der (damaligen) deutschen Gesellschaft aufzeigen: Menschen, die blind vor Liebe oder Naivität ihre Augen (zwar nicht) vor dem offensichtlichen verschließen, dennoch aber wenig bis gar nichts unternehmen (ein zärtliches „Das muss aufhören.“ ist hier eindeutig zu wenig!!!) sowie schmierig-schleimige Anzugträger, die nur sich selbst lieben…Trotzdem oder gerade deswegen: nein, mit Reißbrett-Charakteren kriegt man mich nicht.

Die Original-Zitate aus den Prozessakten gegen Stella Goldschlag sind für sich gesehen durchaus interessant, machen auf mich aber eher den Eindruck, als wenn sie lieb- und ziellos ohne Bezug zum Text einfach der Authentizität wegen abgedruckt wurden.

Wie man neben historisch interessante (und für mich neue) Informationen wie „Die 10 Gebote für jeden Nationalsozialisten des Dr. Josef Goebbels“ banale und völlig uninteressante Dinge wie Fußballergebnisse stellen kann, ist mir schleierhaft und hat mich bei der Lektüre zunehmend geärgert.

Nur für die historisch wertvollen und wirklich interessanten Informationen gibt es von mir 2* - mehr kann ich beim besten Willen nicht geben.


 

Tiram

Bekanntes Mitglied
4. November 2014
3.569
4.589
49
Tolle Rezi, vielen Dank, lieber @kingofmusic. Das Buch selbst habe ich noch nicht gelesen, werde es wohl auch nicht. Nach den vielen Büchern, die ich zum Thema gelesen habe, fällt es mir immer schwerer, Romane dazu zu lesen.
In vielen Rezis habe ich aber den Hinweis auf das Buch "Stella" von Peter Wyden gelesen. Das soll wesentlich besser sein.
Ich selbst kenne Stella aus dem Buch "Die Unsichtbaren". Ich weiß jetzt nicht, ob Du das in meinem Tagebuch mitverfolgt hast. Hier mal der Link (ab Beitrag #416ff ): https://whatchareadin.de/community/threads/tirams-lesetagebuch.3461/page-21#post-47406
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.172
49
Schade, lieber König. Mir hat das Buch gut gefallen. Ich fühlte mich abgeholt und könnte die Zerrissenheit der Protagonistin nachempfinden.
Ob nun die Biografie des Schulkameraden Wyden wirklich besser ist....? Ich denke, man kann es schwer vergleichen. Das eine hat einen biografischen Ansatz (wobei auch da viel Spekulation im Spiel sein dürfte), das andere einen fiktionalen, der mit Einer Liebesgeschichte aufgehübscht wird...
Du wirst dann bald beides beurteilen können ;)
 

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.048
11.068
49
50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Danke für die aufschlussreiche Rezension, werde jetzt endgültig die Finger von dem Roman lassen- auch auf die Gefahr hin, mir kein eigenes Bild gemacht zu haben. Doch nachdem zwei deiner Highlights aus 2018 auch zu meinen Favoriten gehörten,
Buchinformationen und Rezensionen zu Was man von hier aus sehen kann von Mariana Leky
Kaufen >
und
Buchinformationen und Rezensionen zu Sag den Wölfen, ich bin zu Hause: Roman von Carol Rifka Brunt
Kaufen >
vertraue ich deiner Meinung, obwohl ich auf @Literaturhexles Sachverstand auch vertraue...:confused:.
Aber letztlich gibt es zu viele gute Bücher!
 

kingofmusic

Bekanntes Mitglied
30. Oktober 2018
7.245
18.661
49
48
Danke für die aufschlussreiche Rezension, werde jetzt endgültig die Finger von dem Roman lassen- auch auf die Gefahr hin, mir kein eigenes Bild gemacht zu haben. Doch nachdem zwei deiner Highlights aus 2018 auch zu meinen Favoriten gehörten,
Buchinformationen und Rezensionen zu Was man von hier aus sehen kann von Mariana Leky
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und
Buchinformationen und Rezensionen zu Sag den Wölfen, ich bin zu Hause: Roman von Carol Rifka Brunt
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vertraue ich deiner Meinung, obwohl ich auf @Literaturhexles Sachverstand auch vertraue...:confused:.
Aber letztlich gibt es zu viele gute Bücher!
Obwohl genau die Bücher bei der lieben @Literaturhexle "durchgefallen" sind Geschmack ist und bleibt vielseitig und "streitbar" :D.
 

kingofmusic

Bekanntes Mitglied
30. Oktober 2018
7.245
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49
48
Schade, lieber König. Mir hat das Buch gut gefallen. Ich fühlte mich abgeholt und könnte die Zerrissenheit der Protagonistin nachempfinden.
Ob nun die Biografie des Schulkameraden Wyden wirklich besser ist....? Ich denke, man kann es schwer vergleichen. Das eine hat einen biografischen Ansatz (wobei auch da viel Spekulation im Spiel sein dürfte), das andere einen fiktionalen, der mit Einer Liebesgeschichte aufgehübscht wird...
Du wirst dann bald beides beurteilen können ;)
Wir können ja nicht immer einer Meinung sein ;).
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Schade, lieber king. Aber ich kann deine Sichtweise nachvollziehen. Manchmal empfinden wir halt auch unterschiedlich. :);)
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Schade, lieber king. Aber ich kann deine Sichtweise nachvollziehen. Manchmal empfinden wir halt auch unterschiedlich. :);)
Danke, liebe @renee . Aber das ist ja das spannende und schöne an Lesecommunitys (besonders hier), dass jede Meinung toleriert und akzeptiert wird.
Und aus jeder Meinung (egal ob positiv oder negativ) nimmt jeder wieder etwas mit. Also eine Win/Win-Situation :cool:.
 

MRO1975

Bekanntes Mitglied
11. August 2018
1.538
3.981
49
48
Die Sache mit der Wahrheit


„Hast du mal Hibiskus blühen sehen?“ […] „So ist die Wahrheit, Junge, wie Hibiskus. Irgendwann wirst du es sehen. In Ägypten findest du ganze Gärten. Wunderschön da. Ganze Gärten findest du. Und der Hibiskus blüht in tausend verschiedenen Arten.“ (S. 25)

Über „Stella“ von Takis Würger ist dieses Jahr schon eine hitzige Diskussion entbrannt…Ob Takis Würger genau diese Diskussion anfachen wollte, weiß ich nicht. Aber nach Ende der (kurzen) Lektüre kann ich sagen: mich hat er nicht für sich gewonnen.

Verpackt in eine fiktive Liebesgeschichte erfährt der Leser von der realen Stella Goldschlag – einer „Greiferin“ der Nazis, die (Mit-)Juden denunziert, verraten und so dem NS-Regime ausgeliefert hat. Und das „nur“, weil sie sich und ihre Eltern vor der eigenen Deportation schützen wollte. Ja, über das im letzten Satz in Gänsefüßchen gesetzte nur kann man sicher auch diskutieren. Keiner von uns weiß letztlich, was wir selber tun würden, um unser Leben und das unserer Lieben zu retten.

Aber hier geht es nicht um die Frage „Darf die das?“, sondern schlicht und ergreifend darum, warum Takis Würger es nicht geschafft hat, mich mit seinem Roman abzuholen. Das Einzige, was er geschafft hat, ist, dass ich mich in geraumer Zeit weiter mit Stella Goldschlag befassen werde.

Der fiktive Friedrich (Sohn reicher Eltern aus der Schweiz) kommt 1942 nach Berlin, um sich von den Gerüchten über die (Ab-)Transporte selbst ein Bild zu machen. Vorher erfährt der Leser von seinem (tragischen) Leben als Kind, warum er eine Narbe im Gesicht hat und farbenblind ist. So weit so gähn. Hat man schon oft in besser verpackten Geschichten zu lesen bekommen. Aber irgendwie muss man ja den Bogen zu dem naiven 20-jährigen schlagen.

In Berlin trifft er auf Kristin aka Stella und einen mir von vornherein unglaublich unsympathischen SS-Schergen namens Tristan von Appen, der mir mit seiner Attitüde (schön, reich und „Ich genieße das Leben, auch wenn Krieg ist.“) ziemlich auf die Nerven ging. Vielleicht wollte Takis Würger mit seinen (fiktiven) Charakteren genau das Erreichen: alle Schichten der (damaligen) deutschen Gesellschaft aufzeigen: Menschen, die blind vor Liebe oder Naivität ihre Augen (zwar nicht) vor dem offensichtlichen verschließen, dennoch aber wenig bis gar nichts unternehmen (ein zärtliches „Das muss aufhören.“ ist hier eindeutig zu wenig!!!) sowie schmierig-schleimige Anzugträger, die nur sich selbst lieben…Trotzdem oder gerade deswegen: nein, mit Reißbrett-Charakteren kriegt man mich nicht.

Die Original-Zitate aus den Prozessakten gegen Stella Goldschlag sind für sich gesehen durchaus interessant, machen auf mich aber eher den Eindruck, als wenn sie lieb- und ziellos ohne Bezug zum Text einfach der Authentizität wegen abgedruckt wurden.

Wie man neben historisch interessante (und für mich neue) Informationen wie „Die 10 Gebote für jeden Nationalsozialisten des Dr. Josef Goebbels“ banale und völlig uninteressante Dinge wie Fußballergebnisse stellen kann, ist mir schleierhaft und hat mich bei der Lektüre zunehmend geärgert.

Nur für die historisch wertvollen und wirklich interessanten Informationen gibt es von mir 2* - mehr kann ich beim besten Willen nicht geben.



Schade, dass dir das Buch nicht gefallen hat. Die Geschmäcker sind halt verschieden. Mir hat gerade das Nebeneinander von Furchtbarem und Banalem gefallen. Beides wird oft nur durch Zufall getrennt. Das fand ich in den Vorspännen der Kapitel und in der Story gut rübergebracht. Ich hoffe trotzdem, dass du die Zeit nicht als verschwendet betrachtest.
 

KrimiElse

Bekanntes Mitglied
26. Januar 2019
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5.110
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buchmafia.blogspot.com
Nur für die historisch wertvollen und wirklich interessanten Informationen gibt es von mir 2* - mehr kann ich beim besten Willen nicht geben.

Oh, doch so schlecht...
Takis Würger hat für mich einen guten Versuch unternommen, hinter die Geschichte zu blicken...
Ich kann mir allerdings gar nicht mehr gut vorstellen, das Buch jetzt zu lesen, ich hatte es vor dem großen Sturm bei Vorablesen und mir hatte es damals wirklich gut gefallen. Nach den vielen Kritiken, bei denen man doch manchmal dazu neigt zu denken „okay, stimmt vielleicht...“ würde ich vielleicht doch weniger unvoreingenommen lesen. (Ich spreche hier allerdings nicht von dem shitstorm, den damals die Süddeutsche unternahm, das war unterirdisch für mich).
Deine Ansicht kann ich gut nachvollziehen.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Oh, doch so schlecht...
Takis Würger hat für mich einen guten Versuch unternommen, hinter die Geschichte zu blicken...
Ich kann mir allerdings gar nicht mehr gut vorstellen, das Buch jetzt zu lesen, ich hatte es vor dem großen Sturm bei Vorablesen und mir hatte es damals wirklich gut gefallen. Nach den vielen Kritiken, bei denen man doch manchmal dazu neigt zu denken „okay, stimmt vielleicht...“ würde ich vielleicht doch weniger unvoreingenommen lesen. (Ich spreche hier allerdings nicht von dem shitstorm, den damals die Süddeutsche unternahm, das war unterirdisch für mich).
Deine Ansicht kann ich gut nachvollziehen.
Ja, vieles von der Diskussion ist übertrieben. Vielleicht liegt das schlechte Abschneiden von "Stella" aber auch an meinem Beruf (Archivar). Egal, ich hab´s gelesen, abgehakt, weiter geht´s :cool::D.