Rezension Rezension (5/5*) zu Maschinen wie ich von Ian McEwan.

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Buchinformationen und Rezensionen zu Maschinen wie ich von Ian McEwan
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Sind Roboter zu gut für diese Welt?

“Die Phantasie, so viel schneller als jede Historie, als jeder technologische Fortschritt, hatte diese Zukunft bereits in Büchern durchgespielt.”
(Zitat)

McEwan greift zu einem interessanten Schachzug:
Er verlegt die Handlung seines Romans nicht etwa in die Zukunft, sondern in das Jahr 1982 einer alternativen Geschichte, die fast die unsere ist – nur verlaufen bestimmte Schlüsselelemente anders. Das Attentat auf Kennedy misslingt. England verliert den Falkland-Krieg. Alan Turing, der geniale Mathematiker, Kryptoanalytiker und Informatiker, bringt sich nicht um.

Letzteres führt dazu, dass Computer und künstliche Intelligenzen sich wesentlich früher wesentlich weitreichender entwickeln als in unserer Realität. Und so ergibt es Sinn, dass schon im Jahr 1982 die ersten Roboter ausgeliefert werden, die so lebensecht sind, dass man sie nicht mehr vom Menschen unterscheiden kann, wenn man nicht weiß, dass man einer Maschine gegenüber steht.

Womit sie passenderweise die Forderung des sogenannten Turing-Tests erfüllen, der folgendes besagt: einer künstlichen Intelligenz, die ein Fragesteller in einer intensiven Befragung nicht vom Menschen unterscheiden kann, muss ein dem Menschen ebenbürtiges Denkvermögen unterstellt werden.

Aber warum wählt McEwan eine alternative Historie als Hintergrund seiner Geschichte?

Zum Teil liegt es sicher an seiner Bewunderung für Alan Turing und seinem Wunsch, Turing wäre nicht von den bigotten Gesetzen seiner Zeit in den Selbstmord getrieben worden. Turing war homosexuell, was damals strafbar war, und wurde gezwungen, sich mit Hormongaben chemisch kastrieren zu lassen, was zu einer schweren Depression führte.

In einem Interview für den Calgary Herald sprach McEwan über seine Vorstellungen, was in einer anderen Gesellschaft aus Turing hätte werden können, und über sein tiefes Bedauern bezüglich Turings tragischen Schicksals.

“Es [ das Buch ] ist fast so, als würde ich ihm einen Brief in die Vergangenheit schicken, in dem ich sage: wie ich mir wünsche, du hättest überlebt. Wie ich mir wünsche, du hättest an einem Ort gelebt, der dir erlaubt hätte, offen schwul zu sein und stolz darauf und nützlich für andere.”
(Ian McEwan, Zitat von mir ins Deutsche übersetzt)

Was aus diesem Gedanken entstanden ist, ist ein Buch, das sich Genregrenzen entzieht. Das Thema – Roboter und Künstliche Intelligenz – klingt nach klassischer Science-Fiction, doch es liest sich auch wie ein gesellschaftskritisches Kammerspiel, manchmal gar wie eine Humoreske.

Drei Charaktere stehen im Mittelpunkt:

Charlie ist eine verkrachte Existenz, kann sich zu nichts so richtig aufraffen – nicht wirklich. Er ist ein Mann der einfachen Lösungen, der Schleichwege und Ausreden. Dass er sich einen Adam anschafft, ist anfangs wenig mehr als der Wunsch nach dem neusten, coolsten Spielzeug. Schnell kommt ihm jedoch der Gedanke, die Fürsorge für Adam mit seiner Nachbarin Miranda zu teilen, indem er es ihr überlässt, bestimmte Parameter einzustellen, die Adams Charakter formen sollen.

Charlie und Miranda werden so quasi zu Adams Eltern.

Charlie, der heimlich in Miranda verliebt ist, verspricht sich davon, sie dauerhaft in sein Leben einbinden zu können. An Adam ist jedoch nichts Kindliches, so dass dieses Konstrukt auf Dauer nicht funktionieren kann – dass auch Adam sich in Miranda verliebt, schürt diesen Konflikt beträchtlich. Charlie schwankt schon bald zwischen väterlicher Zuneigung und bitterer Eifersucht.

Außerdem wird immer deutlicher, dass Miranda ein Geheimnis hat – das Adam kennt, nicht aber Charlie, was den Androiden in Gewissensbisse stürzt… Sie bleibt bis zum Schluss auf gewisse Weise ein Rätsel, quasi eine Projektionsfläche für Charlies Wünsche und Adams Gefühle.

Denn ja, Adam hat Gefühle und moralische Prinzipien und Wünsche und Ängste.

Manches, wie die Verantwortbarkeit von Notlügen, geht indes über seinen Horizont, da moralische Regeln für ihn absolut und nicht diskutabel sind. Er schreibt Haiku und liebt Shakespeare, ganz im Gegensatz zu Charlie, der mit Literatur wenig anfangen kann – zu Adams ungläubigem Unverständnis.

“Shakespeare, dein kulturelles Erbe! Wie hältst du es nur aus, ohne einige seiner Zeilen durch die Welt zu gehen?”
(Zitat)

Die Geschichte verläuft nicht so, wie man erwarten könnte, denn der Autor verzichtet auf das bekannte Grundmodell ‘Mensch erschafft Maschine, Maschine lehnt sich auf und versucht, die Menschheit zu zerstören’. Was man als Leser stattdessen bekommt, ist eine Vielzahl an interessanten ethischen Fragen, anhand derer Charlie und Miranda ihre eigene Menschlichkeit kritisch beleuchten müssen.

Für mich war die wichtigste davon: kann der Mensch es verantworten, künstliches Leben zu erschaffen, mit eigenständigen Gedanken und Gefühlen, ohne ihm auch Grundrechte zuzugestehen?

Ab welcher Schwelle wird aus einem hochtechnologischen Werkzeug (oder Spielzeug) ein Sklave?

Am Schluss des Buches stellt der Autor Mensch und Maschine vor ein hochdramatisches moralisches Dilemma, das auch bei Lesern zu gemischten Meinungen führen wird.

FAZIT

Lebemann Charlie steckt ein kleines Vermögen in die Anschaffung des Androiden Adam und erlaubt seiner Nachbarin Miranda, in die er heimlich verliebt ist, an dessen Programmierung mitzuwirken. Adam ist jedoch überzeugender als erwartet, und vor allem scheint er schon bald echte Gefühle zu entwickeln – für Miranda.

Ich fand das Buch scharfsinnig, vielschichtig und hochinteressant, gerade weil es den Leser aus seiner Komfortzone holt. Adam, die Maschine, und Charlie und Miranda, die Menschen, zeigen in ihrer Interaktion deutlich die Schwächen und auch die Scheinheiligkeit des Homo Sapiens. Letztendlich sind es die Maschinen, die an der menschgemachten Schlechtigkeit der Welt verzweifeln.