Rezension Rezension (4/5*) zu Das Verschwinden der Stephanie Mailer: Roman von Joël Dicker.

evaczyk

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25. Juni 2019
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Buchinformationen und Rezensionen zu Das Verschwinden der Stephanie Mailer von Joël Dicker
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Trügerische Kleinstadtidylle in den Hamptons

Mit "Das Verschwinden der Stephanie Mailer" hat sich Joel Dicker erneut einen Romanort geschaffen, der weit weg von seiner eigenen Schweizer Wirklichkeit entfernt ist. Das Städtchen Orphea steht nicht nur für die angebliche Idylle des amerikanischen Kleinstadtlebens, sondern liegt zudem in den Hamptons, der klassischen Sommeridylle gutbetuchter New Yorker, die den heißen Sommern in Manhattan entkommen wollen.

Hierhin verschlägt es den Polizisten Jesse Rosenberg gerade mal eine Woche vor seiner Pensionierung. Orphea war vor 20 Jahren der Schauplatz eines brutalen vierfachen Mordes - der erste Fall für den damals blutjungen und noch unerfahrenen Polizisten und seinen Partner Derrek Brown. Doch ausgerechnet in diesem Fall, für den er beruflich Lorbeeren einheimste und der der Beginn einer Erfolgsgeschichte war, habe er den falschen Täter ermittelt, versichert ihm die junge Journalistin Stephanie Mailer kurz vor ihrem titelgebenden Verschwinden, Das lässt Rosenberg keine Ruhe - er kehrt nach Orphea zurück, auch nachdem ihn die Nachricht erreicht, dass Mailers Eltern ihre Tochter als vermißt gemeldet haeb.

Immer wieder wechselt Dicker die Erzähl- und die Zeitperspektiven, springt von der Zeit des Vierfachmordes in die Gegenwart und in Zwischenperioden. Immer neue Personen werden eingeführt, in New York, Los Angeles und Orphea und lange Zeit bleibt wie bei einem klassischen Whodunit offen, wie sich die Fäden verknüpfen zu einer Lösung des kriminalistischen Rätsels.

Leichen, sowohl aus der Vergangenheit, wie auch neue Todesfälle, lenken auch die Aufmerksamkeit der Medien auf die kleine Stadt und ihr jährliches Theaterfestival. Was bedeuten die Hinweise auf die "Schwarze Nacht", die sich auch in Stephanie Mailers Notizen befanden? Haben Rosenberg und Brown 1994 wirklich einen Unschuldigen gejagt, mit traumatichen Folgen? Wer treibt ein doppeltes Spiel, wer hält Informationen zurück, wer hat verborgene Motive? Und vor allem: wie passen die zahlreichen Puzzlestücke am Ende zusammen?

Spannung und zahlreiche Überraschungsmomente gönnt Dicker seinen Lesern allemal. Allerdings wirken einige Charaktere ein bißchen sehr dick aufgetragen, geradezu operettenhaft. Der Kritiker Meta Ostrowski zum Beispiel, der frühere Polizeichef und selbsternannte Starregisseur Kirk oder der Gangster Costico - subtil sieht anders aus. Doch das sind letztlich kleinere Ärgernisse, sowie auch angesichts der Vielzahl der handelnden Personen die Tiefenentwicklung manchmal auf der Strecke bleibt.

Spannend ist "Das Verschwinden der Stephanie Mailer" allemal, Die Passagen zu der sich aufschaukelnden Medienhysterie vor der Premiere des Theaterfestivals, auf dem angeblich der Name des Vierfachmörders enthüllt werden soll - das ist irrwitzig, temporeich und komisch.Wie sich Menschen durch Aussicht auf Ruhm und Anerkennung manipulieren lassen, in den Fängen einer unbewältigten Vergangenheit stecken, an toxischen Beziehungen kaputtgehen - letztendlich geht es um sehr viel mehr als "nur" die Lösung der diversen Mordfälle dieses Romans.

 

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