5. Leseabschnitt: Seite 352 bis Ende

Literaturhexle

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Ich bin durch und wirklich erleichtert. Selbst zum Ende hin hat mich die Autorin mit Diskussionen gequält, die einzig dem Zweck dienen sollten, noch mehr vom Unrecht aufzudecken, dass den Roma und Sinti widerfahren ist - vor, während, nach dem Krieg bis in die Neuzeit hinein. Das las sich anonym, das Personal war zu weitschweifig angelegt, als dass ich mit jemandem mitfühlen könnte. Ich gebe auch zu, dass ich die geschichtlichen Exkurse teilweise sehr flüchtig gelesen habe. Davon wäre sowieso nichts hängen geblieben.
Was ich der Autorin aber bis zum Ende zu gute halte, ist, dass sie differenziert. Sie schildert nicht nur die geordneten, weißen Biografien der Opfer, sondern auch diejenigen, in denen es Diebstähle, Betrügereien und sogar ein verschenktes Kind gibt. Das wirkt sehr ehrlich auf mich.

Das Treffen zwischen Gertrud und Leo kommt denn auch auf Seite 400 - lange hat es gedauert. Dafür ist es relativ kurz. Leo hat seine Gefühle schnell wieder im Griff @KrimiElse du hast wohl recht, dass er ein relativ harter Mann geworden ist. Mit seinem Vermögen reist er wieder in den Kibbuz, Nira bleibt in Berlin. Gertruds Tod wird sehr schön beschrieben. Dass das Haus am Ende noch abbrennen muss und der Rezeptionist alle Details darüber weiß... nun ja. Kann man glaubwürdig finden, muss man nicht.
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Im letzten Abschnitt spielen die Roma der Neuzeit nochmals eine große Rolle. Sie hatten mich bisher nicht wirklich erreicht (das ist der Strang der Geschichte, der mir im Buch am fernsten blieb) und bei der Besetzung des Denkmals konnten sie es leider auch nicht. Das ist schade, denn genau diese Gruppe nimmt Bezug auf aktuelle Probleme, mit denen ich mich am besten sollte identifizieren können, aber es sind einfach viel zu viele Personen, leider. Einzig Laila ist mir beim Lesen nahe, aber sie nimmt auch mehr Platz ein.
Ich habe mich mit dritten Teil des Buches schon gefragt, ob das von der Autorin vielleicht gewollt ist, dass man als Leser Mühe hat, Einzelpersonen aus der wuselnden Masse heraus zu picken. So wie man auf den ersten Blick Flüchtlinge und Einwanderer zunächst als Gewusel wahrnimmt, wenn man sich nicht den einzelnen Schicksalen zuwendet...ich weiß es nicht, wenn das gewollt war, ist es gelungen. Aber aufgrund der Vielzahl an Geschichten und Geschichte ist es wirklich schwer, etwas aus diesen Roma-Familien mitzunehmen außer Namen und ein paar Randbemerkungen.

Leo geht letztlich zu Gertrud, nun gut. Das war abzusehen, und für mich war im letzten Abschnitt auch klar, dass es keine wirkliche Versöhnung geben würde. Ein bisschen pathetisch gibt Gertrud ihm die Bromelien mit (er nimmt nur eine) und stirbt danach, verbrennt anschließend mit dem Haus, das ohne Medusenkopf schutzlos den Brandstiftern ausgeliefert ist. Ist das eine Schlangenhaar auf dem Küchentisch ein Schutz für Gertrud, dass sie friedlich stirbt und nicht verbrennen muss? Vielleicht.
Aber bevor Leo zu Gertrud kommt gibt es einen Ausflug in die Geschichte des Wedding, die an mir genau wie an Gertrud vorbei schwirrt.
 
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KrimiElse

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Was ich der Autorin aber bis zum Ende zu gute halte, ist, dass sie differenziert. Sie schildert nicht nur die geordneten, weißen Biografien der Opfer, sondern auch diejenigen, in denen es Diebstähle, Betrügereien und sogar ein verschenktes Kind gibt. Das wirkt sehr ehrlich auf mich.
Ich finde das verschenkte Kind gar nicht so schwarz und verachtenswert wie es auf den ersten Blick scheint. Man kann dabei nicht von unserer Situation ausgehen, die Familienzugehörigkeit mit Mann, Frau und Kindern meint. Roma leben anders, die Familie umfasst einen weiteren Kreis als nur das Ehepaar und Kinder. Und auch wenn wir es überhaupt nicht verstehen können ist es nichts verwerfliches, dass eine Roma - Frau, die nicht für ihr Kind sorgen kann, dieses einer andern Frau schenkt, wo sie es besser haben wird. Unsere Kultur ist nicht so, aber die der Roma eben schon.

Allerdings hast du absolut recht, dass es gut dargestellt ist, dass es eben nicht nur gut und böse gibt. Doch vieles beruht auf Unverständnis, und der Ansatz, dass alle die kommen sich sofort bedingungslos anpassen müssen, ist doch absolut überholt. Das hat noch nie funktioniert, und vor allem dann nicht, wenn nur Duldung und Desintersse herrschen.
 

KrimiElse

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Dass das Haus am Ende noch abbrennen muss und der Rezeptionist alle Details darüber weiß... nun ja. Kann man glaubwürdig finden, muss man nicht.
Ich denke, bei Feuer verwandelt sich die Großstadt zum Dorf, und die Informationen fliegen unglaublich schnell. Mann soll ja auch bei Gefahr in Großstädten „Feuer“ rufen, und nicht „Hilfe“. Da bekommt man schnell alle Aufmerksamkeit.
 
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Literaturhexle

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Das ist schade, denn genau diese Gruppe nimmt Bezug auf aktuelle Probleme, mit denen ich mich am besten sollte identifizieren können, aber es sind einfach viel zu viele Personen, l
Ja. Das bedaure ich wirklich auch!
ob das von der Autorin vielleicht gewollt ist, dass man als Leser Mühe hat, Einzelpersonen aus der wuselnden Masse heraus zu picken.
Auf den Gedanken war ich noch nicht gekommen, weil es unüblich ist. Im Grunde will sie doch Aufmerksamkeit für die Roma, sonst hätte sie sich das Thema nicht gewählt... grübel.
Da müssten wir sie selbst fragen....
dass eine Roma - Frau, die nicht für ihr Kind sorgen kann, dieses einer andern Frau schenkt, wo sie es besser haben wird.
Da Stimme ich unumwunden zu! Aber wie sie vorher mit dem Kuckuckskind umgegangen sind, dass sie DEN Bruder so deutlich bevorzugen... Das zeugt von schlechtem Charakter. Zumindest die Mutter ist Mutter des Kindes und eine Vergewaltigung war bei der Entstehung auch nicht im Spiel.
Das schätze ich aber: dass die Autorin die kulturellen Unterschiede nicht verschweigt und auch "quere" Biografien vorkommen.

Dass der Medusenkopf noch mal auftaucht und "gerettet" wird, aber gleichzeitig auch das Haus nicht mehr schützen kann, fand ich gut gelöst.
 

KrimiElse

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Ein bisschen Off-Topic, aber auch wieder nicht:
Ich war gerade in Plauen an der Nazi-Hüpfburg, Wahlkampfveranstaltung vom Dritten Weg. Sie wurde verboten, allerdings durch Verwaltungsgerichte wieder zugelassen. Leider.
Die als Neonazis eingestufte Kleinstpartei gab sich familiär mit Hüpfburg und vorgegaukelter Empathie, auf den ersten Blick mit ganz braven und freundliche Sicherheitskräften. Trommeln und Fackeln durften sie nicht benutzen. Im Hintergrund das Landratsamt ziemlich bunt, aus Protest. Übrigens finde ich es neben der Tatsache, dass sich diese Leute überhaupt zeigen ärgerlich, dass sie ihre Veranstaltung direkt vor dem Landratsamt abhalten dürfen.

Direkt daneben vor dem Theater findet ein Behindertenfest statt, mit Open-air-Theater, schon länger geplant, und manche Leute haben ihre Theaterkarten aus Angst zurück gegeben. Das macht mich so wütend...
Und andere Parteien und Veanstalter haben bunte Stände im Stadtzentrum aufgebaut. Ich hoffe, es hilft, dass diese Nazis morgen hier nicht allzu viele Stimmen bekommen. Der Umzug zum 1. Mai in Plauen wirkte nämlich auf mich wie ein SA-Aufmarsch, mit Fahnenträgern, Fackeln und den Einheits-T-Shirts im SA-Look, so richtig gruselig.
 
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KrimiElse

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Da Stimme ich unumwunden zu! Aber wie sie vorher mit dem Kuckuckskind umgegangen sind, dass sie DEN Bruder so deutlich bevorzugen... Das zeugt von schlechtem Charakter. Zumindest die Mutter ist Mutter des Kindes und eine Vergewaltigung war bei der Entstehung auch nicht im Spiel.
Das schätze ich aber: dass die Autorin die kulturellen Unterschiede nicht verschweigt und auch "quere" Biografien vorkommen.
Da hast du recht, den Bruder zu bevorzugen ist unfair. Und ja, genau das macht das Buch authentisch, dass eben nicht alles schwarz und weiß ist.
 

Literaturhexle

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Direkt daneben vor dem Theater findet ein Behindertenfest statt, mit Open-air-Theater, schon länger geplant, und manche Leute haben ihre Theaterkarten aus Angst zurück gegeben. Das macht mich so wütend...
Oh ja!!! Unglaublich. Ich habe den Eindruck, dass diese Gruppierungen im Osten tatsächlich noch gewaltbereiter und aggressiver daher kommen. Das kenne ich hier in der Form nicht. Allerdings geht es dem Ländle wirtschaftlich extrem gut, auch die AL-Quote ist sehr niedrig. Solche Leute brauchen ja den unzufriedenen Mob im Hintergrund.
 
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ulrikerabe

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Ich bin fertig und ich bin froh darüber. Mir hat die Autorin viel zu viel an Themen in dieses Buch gepackt. Sie hat mich immer dann verloren, wenn der Text zu faktenreich, zu dokumentarisch geworden ist.
 
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ulrikerabe

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Was ich der Autorin aber bis zum Ende zu gute halte, ist, dass sie differenziert. Sie schildert nicht nur die geordneten, weißen Biografien der Opfer, sondern auch diejenigen, in denen es Diebstähle, Betrügereien und sogar ein verschenktes Kind gibt. Das wirkt sehr ehrlich auf mich.
Aber damit bedient sie doch genau die Klischees - sie stehlen, vermehren sich unkontrolliert, passen sich nicht an, sind ungebildet, leben vom Staat..... - und räumt nichts auf. Damit erreicht die Autorin doch nichts. Genügt da Laila als Gegenbeispiel?
 

KrimiElse

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Aber damit bedient sie doch genau die Klischees - sie stehlen, vermehren sich unkontrolliert, passen sich nicht an, sind ungebildet, leben vom Staat..... - und räumt nichts auf. Damit erreicht die Autorin doch nichts. Genügt da Laila als Gegenbeispiel?
nein, natürlich nicht. Aber zuvor haben Sie geputzt und gewienert, das Haus in Ordnung gehalten, weil sie gerne einen Platz zum bleiben wollten.
Was die Kinder angeht, so ist Suzanna wohl tatsächlich das Negativbeispiel. Erst Felicitas, das Kuckuckskind, und dann wieder schwanger, ohne Perspektive...
 

Literaturhexle

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Aber damit bedient sie doch genau die Klischees - sie stehlen, vermehren sich unkontrolliert, passen sich nicht an
Du stellst das jetzt recht krass dar. Tatsache ist aber, dass es beim fahrenden Volk vielfach so ist: sie sind nie sesshaft gewesen, haben dadurch keine Bildung, wenig Geld, keine Verhütung.... Eine völlig andere Kultur. Wenn du keinen Beruf hast, kein Geld verdienst, keine Sozialhilfe ohne festen Wohnsitz bekommst, liegt stehlen auch näher als bei anderen Menschen.

Von daher sind es im Stadtteil Wedding sicherlich nicht nur Stereotype, sondern realistische Beobachtungen.
 
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Renie

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Ich bin mittlerweile auch durch und ebenfalls erleichtert. Hier wäre weniger mehr gewesen. Anfangs habe ich mich über die Vielschichtigkeit dieses Romans gefreut. Aber zum Ende war es mir dann doch zuviel. Mir fehlte der Spannungsbogen in diesem Roman. Ich habe immer gehofft, dass mich irgendeine der unzähligen Lebensgeschichten packt. Das ist aber nicht passiert - auch, wenn es einige Ansätze gab.
Da es ja kaum ein Thema gibt, dass uns mehr beschäftigt als das Flüchtlingsthema, ist dieser Roman natürlich brandaktuell und eröffnet eine Sichtweise auf den Alltag von Menschen, die in Deutschland zwar leben, aber nicht angekommen sind. Die Roma laufen bei vielen in Deutschland immer noch unter dem Begriff der Zigeuner (leider nicht nur in deren Köpfen). Und das Misstrauen gegenüber dieser Bevölkerungsgruppe ist sehr groß. Insofern habe ich Regina Scheers unsentimentalen und ehrlichen Blick auf diese Menschen als sehr bereichernd empfunden.
Ich bin zwiegespalten, was meine Bewertung dieses Romanes angehen wird.
 

Literaturhexle

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Aber zum Ende war es mir dann doch zuviel. Mir fehlte der Spannungsbogen in diesem Roman.
Das hast du gut auf den Punkt gebracht. Die Geschichte um Leo und Gertrud hat mich gereizt. Drum herum ist aber immer soviel anderes erzählt worden, dass man sich auch darauf nur schwer fokussieren konnte. Ja, weniger ist manchmal mehr.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Auch ich habe es geschafft. Am Ende wirkte alles ein wenig gewollt auf den Punkt gebracht. Das Gespräch mit Leo war nicht so wie ich es erwartet hatte. Ich habe während des Lesens die ganze Zeit genau darauf gewartet, vielleicht waren meine Erwartungen daher zu hoch.....
Die kleine Felicia wird es bei Laila sich besser haben, dennoch hat es mich entsetzt zu lesen, dass die Eltern das kleine Mädchen einfach zurück gelassen haben.
Das Haus mit all seinen Erlebnissen musste am Ende nun mit Glanz und Glorie untergehen, nicht anders wirkte der Hausbrand auf mich, ob ich es gebraucht habe....nein, im Grunde hätte mir der Tod Gertruds als Abschluss ausgereicht, denn sie verband eine Menge mit dem Haus, für mich wurde die Ära des Gebäudes damit beendet.
 

parden

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13. April 2014
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Wenn die Erzählungen eines Hauses das Berühendste an einem Roman sind, dann stimmt mit diesem irgendetwas nicht... Die Haus-Abschnitte haben mir letztlich tatsächlich am besten gefallen.

Ja, auch ich bleibe dabei, dass Regina Scheer hier zu viel gewollt hat. Mag sein, dass es Absicht war, dem Leser so viele Namen um die Ohren zu hauen, dass dieser nur noch eine Masse von Menschen/Problemen/Ungerechtigkeiten wahrnimmt, statt einzelne Schicksale. Aber dadurch bleibt auch meine Distanz als Leser sehr groß, wodurch die Chance eines Romans, einen Missstand wirklich nachfühlbar werden zu lassen, für mich vertan ist.

Trotzdem fühle ich mich mit dem letzten Abschnitt wieder etwas versöhnter mit dem Werk. Nicht wegen des Treffens von Leo und Gertrud, das irgendwie und gerade noch rechtzeitig stattfand, vielleicht Gertrud den letzten Frieden brachte, dem Leser aber irgendwie - nichts? Mir gefiel die Aussprache von Leo und Stachlingo, weil diese noch einmal deutlich machte, wie viele 'ungewollte' Menschengruppen es gibt - die Juden, die Sinti / Roma, heute die Flüchtlinge aus aller Herren Länder, und dass die Schicksale teiweise durchaus vergleichbar sind.

Und mir gefiel auch, dass sich zwar einerseits die Klischees hinsichtlich der Sinti / Roma bestätigten - denn zu leugnen, dass es zu großen Problemen kommen kann bei großen Ansammlungen vieler Menschen dieses Volkes, wäre wohl auch blauäugig - dass aber andererseits auch deutlich wird, wie sehr sie gegen Windmühlen kämpfen und oftmals jeder Chance beraubt sind, selbst wenn sie darüber informiert sind, welche Rechte sie womöglich hätten. Es gibt hier kein Schwarz und kein Weiß, und das ist absolut authentisch.

Was mir ebenfalls gefiel - und da mag ich mir hier Eure Empörung einhandeln - war die Tatsache, wie Regina Scheer die kulturellen Eigenarten wertfrei geschildert hat. Wie z.B. das Zurücklassen des kleinen Mädchens. Geprägt von unserer eigenen Kultur zwingt diese Handlung uns fast schon zu einem Empörungsschrei, aber Regina Scheer hat schon deutlich gemacht, dass die Mutter erkannt hat, dass dies zum Besten des Kindes ist. Sie hat ja eine schöne Lösung gefunden und das Kind nicht einfach auf der Straße ausgesetzt. Beruflich habe ich viel mit Kindern und ihren Schicksalen zu tun. Und da würde ich mir auch von so manchen deutschen Eltern eine solche Einsichtsfähigkeit wünschen. Das aber nur mal so Off Topic.

Für mich war dies keine einfache Lektüre, die Melancholie nahm oft überhand, gleichzeitig blieben die Schicksale auf Distanz und die Vielzahl der Themen/Probleme/Gruppierungen/Personen sorgte mehr für Verwirrung denn für ein interessantes Leseerlebnis. So mein Fazit. Und doch hat mir der Schreibstil Regina Scheers wieder gut gefallen - was da manchmal so aufblitzte: davon hätte ich gerne mehr gehabt. Wie z.B. das Gedicht:

Wenn ich sterbe, was geschieht dann
mit der Asche, die ich werde?
Hebt der Wind sie zu den Wolken
oder bleibt sie und wird Erde?
Ist ein kleines Stück von mir in
einem Aschekorn verfangen?
Kann es, wenn der Wind es fortträgt,
zu den Lebenden gelangen?

Ach, so gerne hätte ich den Roman lieber gemocht...
 

Literaturhexle

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Wenn die Erzählungen eines Hauses das Berühendste an einem Roman sind, dann stimmt mit diesem irgendetwas nicht... Die Haus-Abschnitte haben mir letztlich tatsächlich am besten gefallen.

Ja, auch ich bleibe dabei, dass Regina Scheer hier zu viel gewollt hat. Mag sein, dass es Absicht war, dem Leser so viele Namen um die Ohren zu hauen, dass dieser nur noch eine Masse von Menschen/Problemen/Ungerechtigkeiten wahrnimmt, statt einzelne Schicksale. Aber dadurch bleibt auch meine Distanz als Leser sehr groß, wodurch die Chance eines Romans, einen Missstand wirklich nachfühlbar werden zu lassen, für mich vertan ist.

Trotzdem fühle ich mich mit dem letzten Abschnitt wieder etwas versöhnter mit dem Werk. Nicht wegen des Treffens von Leo und Gertrud, das irgendwie und gerade noch rechtzeitig stattfand, vielleicht Gertrud den letzten Frieden brachte, dem Leser aber irgendwie - nichts? Mir gefiel die Aussprache von Leo und Stachlingo, weil diese noch einmal deutlich machte, wie viele 'ungewollte' Menschengruppen es gibt - die Juden, die Sinti / Roma, heute die Flüchtlinge aus aller Herren Länder, und dass die Schicksale teiweise durchaus vergleichbar sind.

Und mir gefiel auch, dass sich zwar einerseits die Klischees hinsichtlich der Sinti / Roma bestätigten - denn zu leugnen, dass es zu großen Problemen kommen kann bei großen Ansammlungen vieler Menschen dieses Volkes, wäre wohl auch blauäugig - dass aber andererseits auch deutlich wird, wie sehr sie gegen Windmühlen kämpfen und oftmals jeder Chance beraubt sind, selbst wenn sie darüber informiert sind, welche Rechte sie womöglich hätten. Es gibt hier kein Schwarz und kein Weiß, und das ist absolut authentisch.

Was mir ebenfalls gefiel - und da mag ich mir hier Eure Empörung einhandeln - war die Tatsache, wie Regina Scheer die kulturellen Eigenarten wertfrei geschildert hat. Wie z.B. das Zurücklassen des kleinen Mädchens. Geprägt von unserer eigenen Kultur zwingt diese Handlung uns fast schon zu einem Empörungsschrei, aber Regina Scheer hat schon deutlich gemacht, dass die Mutter erkannt hat, dass dies zum Besten des Kindes ist. Sie hat ja eine schöne Lösung gefunden und das Kind nicht einfach auf der Straße ausgesetzt. Beruflich habe ich viel mit Kindern und ihren Schicksalen zu tun. Und da würde ich mir auch von so manchen deutschen Eltern eine solche Einsichtsfähigkeit wünschen. Das aber nur mal so Off Topic.

Für mich war dies keine einfache Lektüre, die Melancholie nahm oft überhand, gleichzeitig blieben die Schicksale auf Distanz und die Vielzahl der Themen/Probleme/Gruppierungen/Personen sorgte mehr für Verwirrung denn für ein interessantes Leseerlebnis. So mein Fazit. Und doch hat mir der Schreibstil Regina Scheers wieder gut gefallen - was da manchmal so aufblitzte: davon hätte ich gerne mehr gehabt. Wie z.B. das Gedicht:

Wenn ich sterbe, was geschieht dann
mit der Asche, die ich werde?
Hebt der Wind sie zu den Wolken
oder bleibt sie und wird Erde?
Ist ein kleines Stück von mir in
einem Aschekorn verfangen?
Kann es, wenn der Wind es fortträgt,
zu den Lebenden gelangen?

Ach, so gerne hätte ich den Roman lieber gemocht...

Danke für das ausführliche Fazit. Für mich liegt der Roman jetzt zwar schon länger zurück, aber ich finde mich in deinen Worten gut wieder.
 
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Renie

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Was mir ebenfalls gefiel - und da mag ich mir hier Eure Empörung einhandeln - war die Tatsache, wie Regina Scheer die kulturellen Eigenarten wertfrei geschildert hat. Wie z.B. das Zurücklassen des kleinen Mädchens. Geprägt von unserer eigenen Kultur zwingt diese Handlung uns fast schon zu einem Empörungsschrei, aber Regina Scheer hat schon deutlich gemacht, dass die Mutter erkannt hat, dass dies zum Besten des Kindes ist. Sie hat ja eine schöne Lösung gefunden und das Kind nicht einfach auf der Straße ausgesetzt. Beruflich habe ich viel mit Kindern und ihren Schicksalen zu tun. Und da würde ich mir auch von so manchen deutschen Eltern eine solche Einsichtsfähigkeit wünschen. Das aber nur mal so Off Topic.
Da bin ich völlig "unempört". Letztendlich sprichst du hiermit einen Aspekt an, den ich völlig wertfrei betrachtet habe. Es gibt halt kulturelle Unterschiede, die man einfach akzeptieren muss. Viele Handlungen sind für uns nicht nachvollziehbar. Das macht sie aber nicht falsch, sondern nur anders.
 
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