2. Leseabschnitt: Kapitel 9 bis Kapitel 13 (S. 93 bis S. 202)

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Michel ist also zurückgekehrten seine Heimat, zum Bauernhof, der keiner mehr ist (verkommen und dann verramscht), in die Kneipe Chez Madeleine, in der er früher mit seinem Bruder verkehrte, und zur Zeche, an der am 27.Dezember 2014 der 40.Jahrestag des Grubenunglücks begangen wird. Gruselig, wie die Moderne mit Lightshow und Angst vor Windböen auf die Trauernden treffen muss. Und Michel findet den in seinen Augen Verantwortlichen Lucien Dravelle nicht zwischen den Wichtigen und Herausgeputzten, sondern hustend mit Atemschlauch und im Rollstuhl nach der Zeremonie in der Kneipe, zufällig.

Ich weiß nicht, ob er ihm eigentlich vergeben möchte, ob seine Rache verpufft ist, ob er ihn immer nich für schuldig hält oder nicht? Sein Zögern, die vielen Besuche, letztlich sein Mitleid und die Hoffnung, er habe überlebt, deuten für mich darauf hin. Aber vielleicht irre ich mich auch, und Dravelle ist einfach nur alt geworden.
Ich bin ein bisschen verwundert, dass Jojo auch bei Dravelle nicht auftaucht 8n der Liste derer, die er unter Tage verlor, dass er sich nicht mal an den Namen zu erinnern scheint.

Chaladon stiftet hier Verwirrung, einerseits hatte man bisher das sichere Geühl, dass Joseph Flavent beim Grubenunglück ums Leben kam, und dass Dravelle, der saubere Obersteiger, der sich unmittelbar nach dem Unglück lieber mit der politischen Obrigkeit statt mit den Bergleuten zeigte, eine große Schuld trägt und sich erfolgreich Jahrzehntelang seiner gerechten Strafe entzogen hat. Andererseits zweifeln man, wenn man von der Trauer von Dravelle um die toten Kumpel liest. Krokodilstränen oder echte Trauer? Und hat Michel überhaupt noch das Recht auf Rache an diesem offensichtlich gebrochenem Mann?

Michel geht ins Gefängnis, hüllt sich in Schweigen, passt sich an. Er sieht das Gefängnis als die verdiente Strafe an, ist sogar froh, dass Dravelle nich5 tot ist, wenn offenbar auch nicht durch sein Zutun.
Ganz am Ende beschließt er, seiner Anwältin zu vertrauen und Joseph, den er bisher von allen Blicken und Polizei-Zugriffen geschützt hatte, ans Licht zu lassen.

Michel ist gebrochen, glaube ich. Seine Lebenskraft ist nun komplett aufgebraucht, deshalb ist ihm sicher auch egal, was mit ihm geschieht. Er hat nach dem Tod von Cecile getan was er von seinem Vater aufgetragen bekommen hatte, wenn auch in meinen Augen widerwillig.
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Der zweite Teil des Romans bekommt einen neuen, anderen Charakter. es geht um die Tat und die Inhaftierung. Hier stelllten sich mir beim Lesen einige Fragen:
- Warum gerade dieses Opfer? Ist er wirklich der Verantwortliche?
- Warum stellt die Polizei keinen Zusammenhang zum Grubenunglück her? Müssten sie das nicht sehr schnell herausfinden, wenn der Nachname des Täters bekannt ist?
----Aber vielleicht schlummert hier ja noch ein Geheimnis des Romans, das diese Zusammenhänge erklärbar macht????
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Ich hatte den Eindruck, dass Michel enttäuscht darüber war, dass die Heimkehr seine Wut nicht verstärkt hat. Er kommt mir unglaublich verwirrt vor, weil Dravelle nicht (mehr) dem Monster entspricht, zu dem er über all die Jahre in Michels Vorstellung gewachsen ist. Ich kann mir gar nicht vorstellen, all die Jahre diese Verbitterung, diese Wut auszuleben. Was für eine Vergeudung von Lebenszeit.Michel will das alles lowerden, nur verspürt er keine Erleichterung. Rache bringt nie Erleichterung, nur noch mehr Schuld. Michel will alles abwachen, die Erinnerung, die Schande, die Wut und Trauer "meine ganze Seele mit dem lauwarmen Wasser einer schlechten Gefämgnisdusche."
Unsäglich traurig.
 

KrimiElse

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Ich hatte den Eindruck, dass Michel enttäuscht darüber war, dass die Heimkehr seine Wut nicht verstärkt hat. Er kommt mir unglaublich verwirrt vor, weil Dravelle nicht (mehr) dem Monster entspricht, zu dem er über all die Jahre in Michels Vorstellung gewachsen ist. Ich kann mir gar nicht vorstellen, all die Jahre diese Verbitterung, diese Wut auszuleben. Was für eine Vergeudung von Lebenszeit.Michel will das alles lowerden, nur verspürt er keine Erleichterung. Rache bringt nie Erleichterung, nur noch mehr Schuld. Michel will alles abwachen, die Erinnerung, die Schande, die Wut und Trauer "meine ganze Seele mit dem lauwarmen Wasser einer schlechten Gefämgnisdusche."
Unsäglich traurig.
Wie recht du hast...Rache frisst auf, und erlöst nicht, auch nach der Tat.
Ich hatte in diesem Abschnitt die ganze Zeit den Eindruck, dass Michel sich eigentlich gerne drücken will.
Ich kann leider nicht so viel zur Handlung schreiben, im Nachhinein, weil ich schon fast man Ende bin und keinesfalls etwas verraten möchte.
 

Literaturhexle

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@KrimiElse : Danke dir für die schöne Zusammenfassung und das Notieren der wichtigen Fragen.
Sein Zögern, die vielen Besuche, letztlich sein Mitleid und die Hoffnung, er habe überlebt, deuten für mich darauf hin.
Ja. Er ist so verblendet durch seinen Zorn, den er jahrelang kultiviert hat. Bestimmt wurde er nochmal befeuert durch den Tod der geliebten Ehefrau. Wie kann man so eine Garage mit lauter Reliquien ausstatten? Ist es wirklich nur Schmerz? Oder hat er selbst Schuldgefühle? Ist am Tag davor noch irgendwas vorgefallen, was diese Schlussfolgerung zulässt?
Wie ich darauf komme? Auf S. 193/94 träumt er und antwortet: "Ich habe meinen Bruder umgebracht."
Außerdem Ist es völlig unschlüssig, dass Jojos Name nirgends als Opfer erscheint... Ist er ganz anders und Leben gekommen und der Tod in der Zeche nur eine Familienlegende?

Dravelle ist eine tragische Figur. Auch er hat Schuldgefühle. Ich nehme ihm die auch ab. Er scheint sofort zu spüren, dass Michel ein Geistesverwandter ist. Diese Gespräche über den Wein erschienen mir ein Test zu sein- als ob Dravelle geahnt hatte, dass Flavent lügt.
Ich kann mir gar nicht vorstellen, all die Jahre diese Verbitterung, diese Wut auszuleben. Was für eine Vergeudung von Lebenszeit.
Sehe ich ebenso. Irgendwas ist da bestimmt noch. Da muss mehr dahinter stecken. So tragisch der frühe Verlust eines Bruders ist: nach 40 Jahren darf man nicht mehr dermaßen davon gesteuert sein.

Ich bin froh, dass er sich jetzt der Anwältin anvertrauen will..sie scheint wirklich einen tollen Job zu machen: klärt über die Rechte, die Ärzte, die Gefahren des Gefängnisalltages auf. Sie ist sehr vorausschauend. Wenn jemand helfen kann, dann sie.

Aber vielleicht schlummert hier ja noch ein Geheimnis des Romans, das diese Zusammenhänge erklärbar macht????
Damit rechne ich definitiv!
 
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Renie

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Was für eine Vergeudung von Lebenszeit.Michel will das alles lowerden, nur verspürt er keine
Rückblickend hat mich die Aufforderung des Vaters, dass Michel seine Familie rächen soll, irgendwie verwundert. Ich hatte den Vater als stolz in Erinnerung, aber auch sehr ruhigen Menschen. Die Aufforderung zur Rache hat etwas mit extremen Emotionen zu tun, die ich dem Vater nicht zugetraut hätte.
 

Leseglück

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So jetzt bin ich auch mit dem zweiten Abschnitt durch.

Michel hatte also sein ganzes Leben lang dieses Bild von Lucien Dravelle in seiner Brieftasche. Vielleicht hatte er gehofft, dass der Steiger vor Gericht gestellt wird. Irgendwann in seinem Leben hatte er sich dann wohl dazu entschlossen, Dravelle zu töten um seinen Bruder und die anderen Bergwerkarbeiter zu rächen.
Als dann seine Frau gestorben war, war er bereit dazu, auch bereit ins Gefängnis zu gehen. Der Plan war auch, mit seiner Tat eine Anerkennung für das Unrecht, das seiner Familie von diesem Dravelle angetan wurde (jedenfalls in Michaels Wahrnehmung) zu erhalten. Dazu gehört auch, dass er über seine Mordmotive redet, was er bisher (noch) nicht getan hat.

Interessant wie er den Mord ausführt: er verkleidet sich als Bergarbeiter. Wichtig scheint ihm zu sein, dass er den Mord nicht unter seinem Namen ausführt, sondern als Michel Delanet,, den er als eine Art Kamfpname führt. Nach dem Mord zieht er sich ganz aus und beschmiert sich mit Kohle...Ich hatte hier die Assoziation zu einem Krieger. Aber auch natürlich zu der Duschroutine der Kumpels.

Schön wie der Autor das Gefangensein, mit der Situation unter Tage vergleicht...wie hier Parallelen gezogen werden. Michel will ja zu den Toten in den Schacht (will als lebendiger Toter im Gefängnis auf den Tod warten).

Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht, denn ganz offensichtlich gibt es noch eine Wendung. Vielleicht hat Michel selbst einen Schuldanteil am Tod des Bruders. Danke @Literaturhexle für den Hinweis auf S. 193.
Ungereimtheiten gibt es auf jeden Fall: Warum taucht der Name von Jojo nicht auf der Lister der Opfer auf? Warum sagt Dravelle, dass er keinen Joseph Flavent verloren habe? War Jojo vielleicht gar nicht in dem Unglücksschacht???
 

Leseglück

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Warum stellt die Polizei keinen Zusammenhang zum Grubenunglück her? Müssten sie das nicht sehr schnell herausfinden, wenn der Nachname des Täters bekannt ist?
Auf S. 177 fragt ein Kommissar, ob Michel einen Zusammenhang mit dem Grubenunglück und Dravelle gezogen habe. So weit sind die Polizisten also schon. Da hätten sie gleich nachschauen können, ob ein Angehöriger von ihm getötet worden ist. Aber andererseits war ja Michels Bruder nicht auf der offiziellen Liste.
 

Leseglück

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Ich kann mir gar nicht vorstellen, all die Jahre diese Verbitterung, diese Wut auszuleben i
Das habe ich auch gedacht. Es wäre sicher gesund gewesen, all die Toten hinter sich zu lassen und das Leben zu genießen. Als Romanfigur finde ich es interessanter einen Menschen zu erleben, der nicht loslassen kann, der immer wieder den Finger in die Wunde legt.
Michel kultiviert geradezu seine Trauer und seine Wut. Sie sind Teil seiner Identität geworden. Das Unrecht (oder das vermeintliche Unrecht) das seinem Bruder angetan wurde, und das aus Michels Sicht nicht ausreichend gewürdigt und gesühnt war, hält diese Trauer am Leben.
 

Literaturhexle

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Als dann seine Frau gestorben war, war er bereit dazu, auch bereit ins Gefängnis zu gehen.
Ganz richtig. Nun musste er auf niemanden mehr Rücksicht nehmen, war sozusagen frei...
Nach dem Mord zieht er sich ganz aus und beschmiert sich mit Kohle...Ich hatte hier die Assoziation zu einem Krieger. Aber auch natürlich zu der Duschroutine der Kumpels.
Schln, dass du da den Fokus nochmal drauf legst. Ich habe bisher nur Michels eigene Erklärungen als gegeben angenommen. Da steckt aber mehr dahinter!
 

KrimiElse

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Schön wie der Autor das Gefangensein, mit der Situation unter Tage vergleicht...wie hier Parallelen gezogen werden. Michel will ja zu den Toten in den Schacht (will als lebendiger Toter im Gefängnis auf den Tod warten).
Auch das ist ein großartiges Bild. Es gibt so vieles, womit Chaladon vermittelt, wie sich das Leben eines Bergmanns unter Tage anfühlte (und mancherorts auch noch anfühlt)
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Auf S. 177 fragt ein Kommissar, ob Michel einen Zusammenhang mit dem Grubenunglück und Dravelle gezogen habe. So weit sind die Polizisten also schon. Da hätten sie gleich nachschauen können, ob ein Angehöriger von ihm getötet worden ist. Aber andererseits war ja Michels Bruder nicht auf der offiziellen Liste.
Seltsam, nicht wahr? Und man hat auch nicht den Eindruck, dass die Ermittler unfähig wären.
 
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Ja, auch mir bietet sich beim zweiten Abschnitt ein anderes Bild. Der erste Abschnitt hat mir gefühlsmäßig deutlich besser gefallen.

Die Geschichte um die eigene Rache sehe ich etwas zwiegespalten, einerseits kann ich die Gefühlslage Michels verstehen, andererseits kann ich sein Aufschwingen als Racheengel nicht verstehen. Auch hat manches von Michels Handeln/Michels Tun eine gewisse Theatralik, die ich auch aus dem realen Leben kenne, die ich weder im realen Leben noch in einem Buch für gut befinde. Sie ödet mich geradezu an, weil diese auf ein Publikum abzielt und ich als Publikum von dieser Theatralik einfach genug habe!

Auch finde ich sein Denken um das Grubenunglück etwas verzerrt, für mich macht dieses Herumforschen von Michel um die Ursachen des Unglücks einen halbgaren/unausgewogenen Eindruck. Kennt er wirklich alle Hintergründe um sich hier als Experte um die Hintergründe dieses Unglücks aufspielen zu können? In meinen Augen nicht. Und ich finde auch die Schuldzuweisung an das Opfer Dravelle nicht vollkommen untermauert/vollkommen bewiesen.

Nun ja, dies erstmal dazu ...
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Gewundert habe ich mich ebenso, dass sein Bruder nicht unter den Opfern genannt wird. ???

Und auch, dass die Polizei nicht auf die Hintergründe kommt ist eigenartig. ???
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Ich kann mir gar nicht vorstellen, all die Jahre diese Verbitterung, diese Wut auszuleben. Was für eine Vergeudung von Lebenszeit.Michel will das alles lowerden, nur verspürt er keine Erleichterung. Rache bringt nie Erleichterung, nur noch mehr Schuld. Michel will alles abwachen, die Erinnerung, die Schande, die Wut und Trauer "meine ganze Seele mit dem lauwarmen Wasser einer schlechten Gefämgnisdusche."
Unsäglich traurig.

Wie wahr! Rache ist die Vergeudung von Lebenszeit!!!