Rezension Rezension (4/5*) zu Der Postbote von Girifalco oder Eine kurze Geschichte über den Zufall: Roman v.

Bibliomarie

Bekanntes Mitglied
10. September 2015
2.092
3.205
49
Wie ein Märchen

Girifalco ist ein verschlafenes Nest. Wir sind in den 60iger Jahren, dort lebt der Postbote – so wird er im Laufe des Buches nur genannt und tagein tagaus sieht man ihn mit seiner Tasche durch die Straßen ziehen. Es könnte ein ereignisloses Leben sein, aber der Postbote hat sein Geheimnis.

Als vaterloser Junge aufgewachsen, ohne großen Ehrgeiz, fast träge, kommt eines Tages in der Schule sein Talent Schriften zu kopieren sehr gelegen, er hilft einer Mitschülerin den Zorn des ungerechten Lehrers abzuwenden. Aber erst als er Postbote wird, hat seine Berufung gefunden. Es ist ein Zufall, der ihn beim ersten Mal dazu verführt einen Brief zu öffnen. Von da an geht kein Brief ungelesen durch seine Hände. Er kopiert jedes Schreiben und archiviert sie. Er kommt krummen Machenschaften auf die Spur, liest von heimlicher Liebe und unglücklichen Begebenheiten. Aber er begnügt sich nicht damit nur zu lesen. Er beginnt in das Leben seiner Dörfler einzugreifen. Ein Liebesbrief hier, eine verklausierte Warnung dort, so lenkt er die Geschicke seiner Nachbarn, verhindert Unglück und bringt Paare zusammen, deren Schüchternheit ihnen im Wege stand. Er zieht keinen Nutzen aus seinem Tun, im Gegenteil, er will helfen.

Auch sammelt er „Zufälle“, notiert, nummeriert und archiviert sie, genau wie Zeitungsberichte, die ihm kurios erscheinen.
Doch zwischen dem Leben der Anderen verliert er fast seine eigenen Träume und Wünsche aus den Augen.

Jedem der Kapitel ist ein fast märchenhafter Satz als kleine Inhaltsangabe vorgestellt. Wie überhaupt das ganze Buch den Eindruck eines Märchens macht. Es ist eine untergegangene dörfliche Welt die der Autor beschreibt. Das ist sehr warmherzig und mit spürbarer Liebe zu den beschriebenen Personen erzählt. Die Figuren – es sind eine ganze Menge und glücklicherweise gibt es ein ausführliches Personenregister – werden lebendig, der Leser taucht schnell in ihr Leben ein und leidet und freut sich mit ihnen. Ein ganzer Kosmos wird dargestellt, bildhaftig und farbig. Ich hatte das Dorf vor Augen und es erinnerte mich an die alten S/W Filme von Don Camillo. Verschmitzt und tragisch-komisch. Der Autor hat ein ganz eigenen Ton gefunden und mich damit überzeugt.

Dazu passt das gewählte Foto des Schutzumschlags ganz ausgezeichnet.


 
  • Like
Reaktionen: KrimiElse

Beliebteste Beiträge in diesem Forum