Rezension Rezension (4/5*) zu Welch schöne Tiere wir sind: Roman von Lawrence Osborne.

Leseglück

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7. Juni 2017
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Reich und kaltblütig

Naomi heißt die zentrale Figur in Lawrence Osbornes neustem Roman: "Welch schöne Tiere wir sind". Sie ist die 24-jährige Tocher superreicher Engländer. Wie jedes Jahr verbringt Naomi ihren Sommer zusammen mit den Eltern auf der griechischen Insel Hydra. Naomi wirkt wie ein schönes aber auch gefährliches Tier, das ohne Skrupel ihren Instinken folgt. Ihre Mutter starb als sie noch ein Teenager war, aber Trauer ist kein Gefühl, das bei ihr spürbar wäre. Vielmehr empfindet sie Hass besonders ihrer Stiefmutter gegenüber aber auch zu ihrem Vater hat sie ein von Abneigung geprägtes Verhältnis. Auch Langeweile, Überdruss und eine Spur Scham angesichts ihres großen, unverdienten Reichtums bestimmen ihre Gefühlswelt. Aber Naomi ist auch charismatisch und manipulativ. Die Inselbewohner, die sie schon seit ihrer Kindheit kennen, verbinden mit ihr sogar etwas mythisches und boshaftes.

Naomi lernt am Strand die um einige Jahre jüngere reiche Amerikanerin Samantha kennen. Schnell gerät dieses ruhige und ebenfalls von ihrem Reichtum etwas gelangweilte Mädchen in den Bann von Naomi. Sam ist auf eine ungute Art von Naomi fasziniert:

"Naomi lächelte in den Himmel. Ihre Haut erschien Sam wie eine englische Maske, die einem menschlichen Gesicht perfekt nachempfunden war und dessen polierte Oberfläche das Lächeln nicht durchbrach. Dennoch spürte sie die Spannungen, die sich darunter hin und her bewegten, als würden Gedanken und Stimmungen von einem leeren Raum zum anderen ziehen. Man hätte es leicht für Langeweile halten können, doch es war elektrisierender als Langeweile. Es war wie bei einem Kind auf der Suche nach einem Tausendfüßler, den es töten konnte."

Bei einem gemeinsamen Ausflug zu einer entlegenen Bucht sehen die beiden jungen Frauen einen Mann, der sich offensichtlich als Flüchtling illegat auf Hydra aufhält. Auch dieser Mann wird von der manipulativen Naomi vereinnahmt. Sie versteckt ihn und überredet ihn, in die Villa ihres Vaters einzubrechen. So kann sie sich an ihren verhassten Eltern rächen und gleichzeitig das Gefühl haben, eine gute Tat zu begehen. Aber Naomi löst mit diesem Plan eine Abfolge schlimmer Ereignisse aus. Der fingierte Einbruch gerät entsetzlich außer Kontrolle.
Ab dieser Stelle wirkt der Roman wie ein Krimi, zumal ein Privatdetektiv von Naomis Vater auftaucht um die mysteriösen Vorfälle aufzuklären. Bei alle diesen schrecklichen Folgen bleibt Naomi merkwürdig gefühlskalt, so dass sie einem beim Lesen beinahe unheimlich wird.
Lawrence Osborne erzählt die Geschichte in einer geraden Zeitlinie, aus der Perspektive von Naomi aber auch aus dem Blickwinkel anderer Romanfiguren. Sein Schreibstil ist flüssig und bildhaft. Es gelingt ihm eine düstere Atmophäre zu erzeugen und das obwohl der Roman im prallen Sonnenlicht eines griechischen Sommers spielt.

Insgesamt ein psychologischer Thriller, der die fatale Kombination von Reichtum und narzistischer Selbstbezogenheit zum Thema hat. Lesenswert.