Rezension Rezension (4/5*) zu Welch schöne Tiere wir sind: Roman von Lawrence Osborne.

MRO1975

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11. August 2018
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Niemand weiß, was sie letzten Sommer getan haben


Naomi (Mitte 20) verbringt den Sommer bei ihrem Vater, einem reichen Kunstsammler, und ihrer Stiefmutter auf der griechischen Insel Hydra. Sie lernt eines Morgens bei einem ihrer Schwimmausflüge die 21jährige Amerikanerin Sam kennen. Die jungen Frauen freunden sich an und unternehmen zusammen Ausflüge. Bei einem dieser Ausflüge entdecken sie in einer einsamen Bucht einen jungen, zerlumpten Mann - offensichtlich ein Flüchtling, der vom Meer angespült worden ist. Statt ihn den Behörden zu melden oder staatlicher Hilfe zu überlassen, nehmen sie die Dinge selbst in die Hand. Naomi schmiedet einen folgenreichen Plan. Der junge Mann namens Faoud soll in die Villa ihres Vaters einbrechen. Dadurch erlangt Faoud genug Geld, um sich eine gutes Leben in Europa aufzubauen. Gleichzeitig kann Naomi ihrem Vater und ihrer Stiefmutter damit ein Schnippchen schlagen, weil deren langweiliger, dekadenter Alltag durcheinandergebracht wird. Allerdings geht der Plan schief. Am Morgen danach sind Vater und Stiefmutter tot. Faoud ist auf der Flucht und Naomi beseitigt alle Spuren.

Der Roman beeindruckt durch seine dichte Atmosphäre und die bildhafte Beschreibung des heißen Sommers auf Hydra. Die Sonne flirrt, es riecht nach Sonnencreme und ich habe fast den Sonnenbrand gespürt. Erzählerisch ist der Roman daher ein Meisterwerk. Nur inhaltlich hat er mich nicht gänzlich überzeugt. Osborne thematisiert das Leben der Reichen und Schönen, ihre Dekadenz, Verantwortungslosigkeit und Leere. Naomi und Sam stammen aus reichen Familien. Sie habe den ganzen Sommer nichts zu tun. Die Begegnung mit Faoud ist eine willkommene Abwechslung, die ihre Langeweile unterbricht. Ob der von Naomi ersonnene Plan von dem Einbruch einer bloßen Laune entsprang oder der tödliche Ausgang geplant war, bleibt offen. Wie und warum der Vater und die Stiefmutter sterben mussten, wird nicht geklärt. Darauf kommt es am Ende nicht an. Die Konsequenzen der Episode tragen nämlich andere. Wohl dem, der kein Gewissen hat.

So berechtigt die von Osborne formulierte Gesellschaftskritik ist, so hilflos wirkt sie leider auch. Osborne prangert die Missstände nur an. Einen Ausweg zeigt er nicht. Nicht einmal eine satirisches Wendung hilft über das desillusionierende Ende hinweg. Das mag künstlerisch beabsichtigt sein, gefiel mir aber nicht. Daher ein Stern Abzug.