Am Fuß des Berges Musa Dagh im Süden der Türkei werden die armenischen Bewohner immer brutaler verfolgt. Eine Schicksalsgemeinschaft um Gabriel Bagradian und seine Familie beschließt, sich endlich zur Wehr zu setzen. Vierzig Tage lang verteidigen sich die zu allem Entschlossenen gegen einen übermächtigen Gegner, dann scheint ihr Ende besiegelt zu sein. – Franz Werfel hatte gründlich über den türkischen Völkermord an den Armeniern von 1915 recherchiert, bevor er 'Die vierzig Tage des Musa Dagh' niederschrieb. Sein Roman ist eine unvermindert eindrucksvolle Geschichte über Menschenmut im Zeichen von Hass und grausamer Verfolgung.Kaufen
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Wehmütig und gleichzeitig befreiend – diese ambivalenten Gefühle hatte ich nach dem Zuklappen von „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ von Franz Werfel. Knapp sieben Wochen hat das Buch mich nun (fast) täglich begleitet – sei es im Bus oder auf dem heimischen Sofa. Und schon lange habe ich keinen Roman mehr aus dem Bereich der „Klassiker“ gelesen, in dem Glaube, Liebe, Hoffnung und Tod eine konsequentere Verbindung eingegangen sind als hier.
Obwohl 1933 erstveröffentlicht (und auch zwischenzeitlich in NS-Deutschland verboten), liest sich der Roman, für den Franz Werfel Originalquellen studiert hat, überaus flüssig und leicht. Erzählt wird die Geschichte des Völkermords an den Armeniern, den Deportationen und (namensgebend für das Buch und den Inhalt) dem Widerstand einer Gemeinschaft aus 7 Dörfern, die sich 40 Tage auf den Musa Dagh verschanzt, mehr oder weniger erfolgreich vor den Türken verteidigt haben und am Ende von einer französischen Flotte gerettet wurden.
Einige der Figuren im Roman sind also nicht der Fantasie des Autors entsprungen, sondern lassen sich unter anderem Namen historisch belegen, was dem Buch eine sehr hohe Authentizität verleiht.
Die atmosphärisch dichte Erzählweise sorgt dafür, dass man das Buch schwer aus der Hand legen kann. Bei knapp 1000 Seiten bleibt es allerdings auch nicht aus, dass die ein oder andere erzählerische Länge dabei ist, die aber für den Gesamtkontext wichtig und ergo wieder richtig ist.
Neben den (nicht nur in so einer Extremsituation) unausweichlichen zwischenmenschlichen Konflikten einer größeren Gemeinschaft werden auch die Zweifel am eigenen Tun des Gabriel Bagradian mit klaren Worten beschrieben:
„Gedanken, vor denen er selbst erschrak, beschäftigten unausgesetzt Bagradians Geist, ja sie schüttelten ihn so mächtig, daß er ihnen zu keiner Stunde des Tages und der Nacht entrinnen konnte. Dabei waren sie, trotz aller pedantischen Forschertätigkeit, in ein ähnlich traumhaftes Zwischenreich getaucht wie das ganze Leben am Fuße der grünen Alpe. Gabriel sah nur einen Beginn vor sich, er sah nur den Kreuzweg, wo sich die Wege teilten. Fünf Schritt weiter war alles Nebel und Finsternis. Aber es gehört wohl zu jedem Leben vor der Entscheidung, daß nichts unwirklicher ist als das Ziel. Und doch, war es begreiflich, daß sich Gabriel mit seiner ganzen aufgestörten Energie nur in diesem engen Tal bewegte, daß er jeden Ausweg vermied, der vielleicht noch offenstand?“ (S. 203)
Auch werden philosophische, religiöse und ethische Gedanken präzise beschrieben – die geneigte Leserschaft wird also auch nach fast 100 Jahren noch „aktuelle“ Gedanken in dem Text finden.
„Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muß es erst gar nicht lesen.“ (S. 67)
Ob bewusst oder unbewusst – auch seinem knapp 10 Jahre vor dem Erscheinen von „Die 40 Tage des Musa Dagh“ verstorbenen Freund Franz Kafka setzt Werfel in dem Werk ein kleines Denkmal:
„Die Nacht hingegen war wie bei gar vielen Weisen und Geistesgroßen die Zeit seines hellsten, hochbewegten Lebens.“ (S. 757)
Und so bleibt mir am Ende nichts weiter, als eine unbedingte Leseempfehlung für diesen Jahrhundertroman auszusprechen.
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