Rezension Rezension (5/5*) zu Sex und Lügen: Gespräche mit Frauen aus der islamischen Welt von Leïla Slimani.

ulrikerabe

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14. August 2017
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Wien
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Sexuelle Selbstbestimmung

Doppelmoral, Heuchelei, sexuelles Elend. Die marokkanische Autorin Leila Slimani beleuchtet, wie Frauen in ihrer Heimat im permanenten Kampf um sexuelle Selbstbestimmung leiden. In dieser Sammlung sehr persönlicher Geschichten gibt Leila Slimani Frauen aus der islamischen Welt eine Stimme.
Frauen in Marokko können, müssen vieles sein: Tochter, Schwester, Mutter, Ehefrau, nur kein Individuum. „Sie ist Garant der Familienehre und, schlimmer noch, der nationalen Ehre. Ihre Tugendhaftigkeit ist eine öffentliche Angelegenheit.“ Es ist ein politisches, ein gesellschaftliches Phänomen, das im Namen der Religion gelebt wird. Dabei war Sex in den Anfängen des Islams alles andere als ein Tabu. Nicht nur Fortpflanzung sondern Vergnügen, der Orgasmus als Vorgeschmack auf die Freuden des Paradieses, die Jungfräulichkeit kein Thema. In Sachen Sexualität ist eine Religion so gut wie die andere, behauptet die Asma Lamrabet, Theologin, Ärztin und Vertreterin des Reformgedankens in Marokko. Misogynie ist keine Erfindung des Islams. Und doch ist ein kleiner Teil des weiblichen Körpers, den ich wahrscheinlich keine fünf Minuten meines Lebens gedanklich beachtet habe, das Jungfernhäutchen, das Allerheiligste. Das Hymen, eine uneinnehmbare Festung, die es unbedingt zu bewahren gilt.
Das marokkanische Recht ist äußerst restriktiv, was Sexualität anbelangt: außerehelicher Sex verboten, Homosexualität verboten, Abtreibung verboten. So kommt es, dass hunderte Babys pro Jahr ausgesetzt werden, unehelich geborene Kinder keinen zivilen Status erhalten. Leidtragende dieser Gesellschaft sind die Frauen. Männern gegenüber verhält sich die Gesellschaft nachsichtig, Frauen ist außerhalb des ehelichen Schlafzimmers nichts erlaubt. Polizisten hätten Besseres zu tun, als in Sittenangelegenheiten zu verhaften, vor allem wenn es nach der Bezahlung unter der Hand keinen Anlass mehr gäbe. Denn Sex ist ein einträgliches Geschäft, es geht nicht um Religion, sondern oftmals nur um das Gesetz des Geldes, das Gesetz des Stärkeren. Im herrschenden Patriarchat dient die Doppelmoral nicht dem Islam, sondern der Sache der Männer.
Sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht. Menschen in unserer westlichen Zivilisation sind mittlerweile frei sind der Wahl des Partners, ihre geschlechtlichen Identität und Integrität. Doch so lange ist es noch nicht her, dass auch hierzulande Frauen uneingeschränkt wirtschaftlich und körperlich vom Ehemann abhängig waren, Vergewaltigung in der Ehe nicht bestraft wurde, Homosexualität strafbar war. Hier wurden viele unserer heutigen Rechte hart erkämpft. Dieses Aufbegehren wird in den Berichten der von Leila Slimani interviewten Frauen spürbar. Es mag noch ein weiter Weg sein, doch die ersten Schritte sind gesetzt.



 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Ich habe von dem Buch gehört und war bis jetzt unentschlossen, deine Rezension liefert mir jetzt den Grund, dieses Buch auf den Wunschzettel zu befördern. Danke dafür! :)
 

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