Rezension Rezension (5/5*) zu Altes Land: Roman von Dörte Hansen.

ulrikerabe

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14. August 2017
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Wien
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Nicht gedeihen, nicht blühen, nur bleiben.“

Flüchtlinge waren Vera und ihre Mutter Hildegard, als sie vor mehr als 60 Jahren ins Alte Land kamen, Flüchtlinge aus Ostpreußen, geduldet am Hof von Ida Eckhoff. Richtig zugehörig hat sich Vera dort nie gefühlt. Doch eines Tages steht ihre Nichte Anne vor der Tür mit ihrem Sohn Leon, geflohen aus Hamburg-Ottensen, vor dem saturierten Leben in der Großstadt, vor einer gescheiterten Liebe.

Ich habe einmal gelesen, dass Österreicher*innen mit diesem Buch nicht so zu Recht kämen, weil uns der Zugang zu dem Landstrich, der Geschichte, dem Platt fehlt. Ich kann das so nicht nachvollziehen. Auch bei uns gibt es auch alte Dörfer, alte Männer, vom Krieg versehrt, Vertriebene, mit dem Land Verwurzelte und von der Bourgeoisie Übersättigte, alte Schachteln, altes Land. Ich denke die Geschichte, die Dörte Hansen erzählt ist universell. Und sie erzählt bravurös. Die Autorin hat ein ungemeines Gespür. Für die Figuren, von denen sie berichtet. Bei allem Kummer, Ängsten, Verlusten geht sie sorgsam mit ihnen um. „Mein armes kleines Kind“, sagt der fünfjährige Leon, um seine alte Tante Vera zu trösten.

Vera, die Verschrobene, von der Mutter verlassen, dem Stiefvater treu verbunden, die keine Wuzeln schlagen wollte und doch festgewachsen ist auf diesem Hof. „Nicht gedeihen, nicht blühen, nur bleiben.“ Und wie konnte sie nur darauf vergessen, ein Kind zu wollen.

Es sind starke Bilder, mit denen Dörte Hansen ihre Figuren zeichnet, stark und aussagekräftig. Die stolze Hildegard, immer den Rücken gerade, den Kopf hoch, auch wenn der Hals dreckig ist. Als Mutter hat sie versagt: „Treibeis, immer kalt, nie zu packen“.

In der übernächsten Generation wird sich Anne manchmal ein anderes Leben wünschen. „Man durfte erschöpft sein…, gestresst und ungekämmt, auch ungeschminkt, das alles ging, nur mutterglücklos, das ging nicht.“ Anne, deren Kindheit darin bestand, zu bestehen, denn nur zu genügen, genügte nicht.

Dörte Hansen spannt einen wunder breiten Bogen, humorvoll, satirisch, melancholisch. Behutsam ist für Frau Hansen kein Schlagwort. Altes Land ist mir ein Herzensbuch geworden.


 

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