Rezension Rezension (3/5*) zu Der Verräter: Roman von Paul Beatty.

Renie

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19. Mai 2014
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Wiedereinführung der Rassentrennung

Der amerikanische Schriftsteller Paul Beatty hat als erster US-amerikanischer Autor den britischen Literaturpreis Man Booker Prize gewonnen. Das war in 2016 für seinen Roman „The Sellout“, einer Satire, die im letzten Jahr unter dem Namen „Der Verräter“ in Deutschland veröffentlicht wurde.
Dieser Roman behandelt ein Thema, das verrückter nicht sein kann: Wiedereinführung der Rassentrennung in den USA.

Ein unangenehmes Thema, ein No Go im modernen menschlichen Miteinander und ein Verstoß gegen eine Vielzahl von Menschenrechten. Man traut den USA ja einiges zu, aber das?
Wie beruhigend, dass es sich bei dieser Vorstellung doch nur um eine Satire handelt, deren Grundidee der Autor Paul Beatty in aller Genüsslichkeit ausschlachtet. (Vergessen wir mal, dass hinter jeder Satire ein Fünkchen Wahrheit steckt;-))


Der Inhalt
In "Der Verräter" macht es sich der afroamerikanische Protagonist und Ich-Erzähler zur Aufgabe, die amerikanische Bevölkerung wieder nach Hautfarben zu unterteilen.

Er ist in einem fiktiven Vorort von Los Angeles aufgewachsen: Dickens – ein Ghetto der übelsten Sorte, das aufgrund seines ländlichen Charakters (die Ausläufer der Großstadt haben Dickens noch nicht erreicht) auch ein geringes Maß an Idylle vorzuweisen hat. Drogen und Kriminalität gehören zwar zum guten Ton. Aber auch Landwirtschaft und Gartenarbeit sind hier zu finden. So ungewöhnlich wie sich Dickens präsentiert, verlief auch das bisherige Leben des Ich-Erzählers. In seiner Kindheit wurde er von den fixen Ideen seines Psychologen-Vaters und Bürgerrechtsverfechters zu eben diesen Themen malträtiert. Andere Kinder spielten auf der Straße, er spielte Studienobjekt für seinen Vater und wurde gern mal für Feldversuche eingesetzt, wenn es darum ging, unter Beweis zu stellen, dass die Einhaltung der Bürgerrechte in Amerika sehr großzügig gehandhabt wird.

"Ich hielt seinen Tod für einen Trick. Für einen seiner raffinierten Pläne, mit denen er mich in den Nöten der schwarzen Rasse unterweisen und so in mir den Wunsch wecken wollte, etwas aus mir zu machen. Ich erwartete halb, dass er aufstand, sich abklopfte und sagte: 'Wenn mir so etwas passiert, dem schlauesten Schwarzen auf der ganzen Welt, dann überleg mal, Nigger, was einen dummen Arsch wie dir passieren kann. Der Rassismus mag tot sein, aber das heißt noch lange nicht, dass man Nigger nicht ohne Vorwarnung abknallt.'"

Als sein Vater starb, war unser Ich-Erzähler auf sich allein gestellt. Er wurschtelte sich durch und entdeckte seinen Spaß und seine Begabung für Landwirtschaft. Seine quadratischen Melonen waren legendär. Sein angebautes Marihuana aber auch.
Sein Leben hätte so schön beschaulich sein können, wenn nicht die Ausläufer der Großstadt Los Angeles immer näher rückten. Und so kommt, was kommen muss: Dickens verschwindet von der Landkarte und mutiert zu einem anonymen Straßenzug. Nichts ist mehr wie es war und Schluss ist's mit der Beschaulichkeit.
Unser Ich-Erzähler möchte dies nicht akzeptieren und will sein altes Leben zurück. Die Weißen und Wohlstandsfarbigen, die ehemals "gefährliche" Gegenden für sich und ihren Lifestyle entdecken, sind ihm ein Dorn im Auge. Daher ruft er zum Protest auf. Er verlangt die Rückkehr zur Rassentrennung. Dickens soll das schwarze Ghetto bleiben, das es mal war.
Sein Protest wird am Ende in einer Anklage münden, die bis vor den obersten Gerichtshof Amerikas gehen wird.

An dieser Stelle setzt der Roman ein. Paul Beatty hat einen Prolog geschrieben, der mich fast zur Verzweiflung gebracht hat. Ohne die Buchbeschreibung gelesen zu haben, wurde ich völlig unvorbereitet in diese Gerichtsverhandlung hineinmanövriert. Unser Ich-Erzähler hat sich während des Prozesses ein Tütchen Marihuana geraucht (sehr befremdlich!), was von den Richtern und Beamten geduldet wird (noch befremdlicher!). Dementsprechend sind seine Schilderungen ein wenig diffus – also vernebelt. Endlich, am Ende des Prologs kommt er auf den Punkt und endlich erfährt man, warum der Gute, der sich selbst als "eine legendäre Verkörperung zivilen Ungehorsams" bezeichnet, angeklagt wird:

Er ist nicht nur Verfechter der Rassentrennung, er hält sich auch noch einen Sklaven: seinen alten Nachbarn und ausrangierten Schauspieler Hominy, der in seiner Kindheit bei "Die kleinen Strolche" mitgemischt hat.
Welch ein Paukenschlag am Ende des Prologs! Wenn Paul Beatty mit dieser Aussage nicht die volle Aufmerksamkeit bei jedem seiner Leser hat, dann weiß ich nicht. Es bleibt nichts anderes übrig, als ungläubig weiterzulesen.

Wie erfreulich, dass der Ich-Erzähler nicht immer zugedröhnt ist, was sich auch am Sprachstil bemerkbar macht. Unser "sandalenbewehrte Äthiopier" erzählt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Das kann manchmal wirr wirken, weil er von Hündchen auf Stöckchen kommt. Doch es gibt tatsächlich einen roten Faden, der den Leser zielsicher zu der Verhandlung führt, mit der das Buch begonnen hat und mit der das Buch endet. Dazwischen finden sich Erinnerungen an seine Kindheit, an Dickens, an seinen Sklaven, an seinen Alltag und wie es letztendlich zu dem Prozess gekommen ist.

"Dieses Land braucht jemanden, den man mit Baseballbällen bombardieren, den man schwuchtelprügeln, niggerknüppeln, niedertrampeln und boykottieren kann. Ein Land, das sich ständig im Spiegel bewundert, braucht alles, was es davon abhalten kann, sich wirklich ins Gesicht zu sehen und daran zu erinnern, wo es seine Leichen begraben hat."

Leider sind die Ausführungen unseres Ich-Erzählers manchmal etwas ermüdend, da sie mit Gags, lustigen Sprüchen, Insiderwissen eines Farbigen und Respektlosigkeiten überfrachtet sind, ganz zu schweigen von den rassistischen Äußerungen, die er bis zum Exzess einfließen lässt. Das ist anfangs lustig, nutzt sich aber leider nach einiger Zeit ab. Das Lesen in mehreren Etappen hilft jedoch an dieser Stelle!
Doch lesen sollte man diesen Roman auf jeden Fall. Denn seine Thematik, sein Aufbau und sein Sprachstil machen ihn zu etwas sehr Besonderem.

© Renie

 
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