Rezension Rezension (4/5*) zu Im Blick von Marie Luise Lehner.

  • Ersteller Gelöschtes Mitglied 2403
  • Erstellt am
  • Tagged users Kein(e)
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Leider konnten wir zu diesem Buch keine Daten ermitteln.
Unter dem Blick der Männer ???

Ich habe "Im Blick" als einen interessanten Roman wahrgenommen, der mich beschäftigt hat und sehr nachdenklich macht. Genau das sollte dieser Roman meiner Meinung nach auch erreichen. Diese etwas überspitzte Art dem Geschehen gegenüber klingt für mich danach. Ich zweifele mit diesem Satz keineswegs das Geschilderte an, sondern meine mit überspitzte Art den Stil des Geschilderten. Welcher mir übrigens sehr gefallen hat.

Zur Handlung: die junge Ich-Erzählerin ohne einen Namen schildert in zwei Handlungssträngen einmal ihr jetziges Leben und zum Anderen rückblickend ihre jüngeren Jahre; weitere bedeutende Personen der Handlung sind ihre Geliebte, ebenso ohne einen Namen und hier nur in der Du Form angeredet und ihre heterosexuelle Freundin Anja. Ansonsten kommen noch einige weitere Personen der engeren Umgebung vor, die aber nicht so tragende Charaktere des Romans sind. Das Hauptthema ist im ersten Teil des Buches die Adoleszenz der Hauptfiguren und die Beschreibung der Beziehungsmuster der Protagonistin und ihrer dazugehörigen Gefühlswelt. Es wird auch sehr ausführlich über das Thema Sexualität gesprochen. Auch zum Genderthema kommen sehr wichtige Aussagen. Im zweiten Teil des Buches bekommen außer den bereits angedeuteten Themen noch der allgegenwärtige Sexismus und sexuelle Übergriffe gegenüber den jungen Frauen ihre Plattform. Einerseits ist das definitiv erschreckend und abstoßend, aber andererseits auch etwas plakativ und sehr einseitig betrachtet. Es geht schließlich nicht von jedem Mann eine Gefahr aus. Und Männer sind per se keine Feinde. Dann wird auch das Verhalten der Frauen thematisiert. Sollte man nicht bestimmte Dinge vermeiden aus der Angst heraus??? Nein, sollten wir nicht!!! Man kann nicht aus den Ängsten heraus das eigene Leben einengen. Aber wenn wir ganz ehrlich unser Leben betrachten. Tun wir das nicht schon?

"Anja sagt, sie hat sich dazu entschieden, beweglich zu bleiben und sich nicht einschüchtern zu lassen. Sie will sich nicht in ihrer Freiheit beschränken, nur weil jederzeit etwas passieren kann."

Da ja die Protagonisten im Roman in der Adoleszenz stecken, sind ihre Betrachtungsweisen noch von recht naiver Natur. Das Leben wird diese Gedankengänge sicher noch formen. Aber wir als Leser/innen haben unsere Betrachtungsweisen dazu. Und sollten darüber reden. Denn das Frauenbild in unserer Zeit bewegt sich leider wieder zurück. Und von einer Gleichheit von Mann und Frau kann keine Rede sein. Der Feminismus ist wieder gefragt. Und sicher nicht in dem wir brav bitte, bitte sagen! Allerdings ist die blanke Wut auch keine gute Beraterin.

Gefallen hat mir auch die Betrachtungsweise des männlichen Blickes auf die Frau, und deren Umsetzung in Kultur und Kunst. Und auch da gibt es ein Glück inzwischen Vieles, was auch einen weiblichen Blick andeutet/zeigt.

Interessant finde ich auch den Ansatz der Solidarität unter uns Frauen. Das wäre wirklich förderlich. Aber gibt es das wirklich? So im großen Sinne. Oder überwiegen da nicht andere Verhaltensmuster? Und wenn das so ist, frage ich warum?

Ich sehe in diesem Roman viel Potenzial zur Diskussion, zudem für mich in diesem Roman jede Menge Provokation lauert. Und ich hoffe diese Diskussion findet statt.

Die Art des Schreibens hat mir sehr gefallen und ich erkenne viel schöpferische Kraft bei der Autorin. Ich denke wir werden noch von ihr hören. Dieses teilweise wie bruchstückhaft Geschriebene, dieses gesamte Konstrukt, teilweise versartig klingend und erscheinend und dann diese starken lyrischen Anleihen. Irgendwie faszinierend. Und die thematische Auswahl ist für unsere Zeit fast zwingend notwendig. Ansonsten habe ich einen großen Sog verspürt und das Buch hat mir gefallen. Und das hier bitte nicht falsch verstehen. Mir hat nicht unbedingt alles an der Geschichte gefallen, aber dass, was es mit mir macht, umso mehr.