4. Leseabschnitt: S. 262 bis Ende (Kapitel 18 bis Ende)

Leseglück

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7. Juni 2017
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Die Entwicklung des Dorfes wird weiter beschrieben. Das Höfesterben. Wer nicht den Mut hatte zu wachsen, musste weichen.
Nach der Zeit der Flurbereinigung, kommt die Gegenbewegung, die "Renaturierung".
Die Frauen machen den Führerschein und kaufen nicht mehr im Dorfladen ein. "Die Welt war größer für die Frauen mit den Führerscheinen, sie hörte nicht mehr bei dem Birkenbüller Ortschild auf."
Bei diesem Satz wurde mir noch mal bewusst, wie lokal begrenzt das Leben der meisten Bauern früher war.

Städter ziehen aufs Land. Ein Missverständnis wie die Autorin treffend schreibt: Sie suchen die Ursprünglichkeit, die dort gerade abgeschafft wurde.

Ella gibt ihre Beziehung zu dem Lehrer nie auf. Selbst nach seinem Tod bleibt sie ihm treu. Normalerweise würde das kein Partner einfach so akzeptieren. Aber Sönke nimmt es hin weil er glaubt dass er eine Schuld ab zu tragen hat.

Marret verschwindet also einfach so. Das hat mir ganz gut gefallen. Es passt zu dem verschwundenen Dorf und zu den Geheimnissen, die nie ganz aufgeklärt und ausgesprochen werden.

Wie es mit Ingwer weiter geht bleibt offen. Auch das gefällt mir. Er achtet mehr auf seine Interessen, ist selbstbewusster. Sein Lebensmittelpunkt ist und bleibt Kiel aber er hat noch einen Koffer in Blinkenbüll.

Die Wehmut, die Ingwer empfindet angesichts des verschwundenen Dorfes kann ich selbst nicht ganz nachvollziehen. Das Dorf war ja nie eine Idylle wie wir alle wissen. Es ist eher Wehmut angesichts der verschwundenen Kindheit. Das wiederum ist sicher bei allen Menschen so, die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Das Dorf war ja nie eine Idylle wie wir alle wissen. Es ist eher Wehmut angesichts der verschwundenen Kindheit.
Für ein Kind ist es schon eine Idylle, da siehst du so eine Dorfgemeinschaft mit anderen Augen. Wir haben ja auch einiges über Ingwers Kindheit erfahren: sie haben viel draußen gespielt, Süßigkeiten gekauft, hatten dann die Hütte und eine Bande, zu der er aber als Oberschüler nicht ganz dazu gehörte .
Wird nicht jeder ein bisschen nostalgisch, wenn er an den Ort seiner Kindheit zurückkehrt?

Den vierten Abschnitt empfand ich als eine Art Abgesang auf eine alte Welt. Es dreht sich, es geht immer weiter, jeder und jedes ist ersetzbar. Das dichte Beziehungsgeflecht aus dem dritten Abschnitt wird nicht weiter fortgeführt . Im Grunde wusste man aber auch alles, der Roman endet stimmig mit melancholischem Unterton und ein bisschen Hoffnung für Ingwer.

Sönke erlebt seine Gnadenhochzeit nicht mehr. Das hat mir leid getan. Er war für mich ein sympathischer alter Knochen mit dem Herz am rechten Fleck. Andererseits wäre die Feier eine Farce gewesen: Ellas Herz schlug zeitlebens für einen anderen.

Marret verschwindet. Es ist nicht wirklich zu erwarten dass sie noch am Leben ist. Mit ihrem Handicap scheint sie doch recht hilflos zu sein. Und dass der schöne fremde Mann sie geholt hat? Eher unwahrscheinlich, aber ein versöhnlicher Gedanke ;)
 

FrancieNolan

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5. Januar 2019
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Ja, „Abgesang“ ist das richtige Wort. Ein sehr berührender - ich würde sagen, gerade weil man weiß, dass es eine echte Idylle nicht gab. Es wäre aber auch unstimmig geworden, wenn es in einer großen Feier geendet hätte, so war es am Ende gut.
Ich sehe aber nicht nur den Abgesang an die „Zeit der Bauern“, sondern auch die Erinnerung daran, dass der Mensch sich die Natur nie „untertan gemacht“ hat, egal wie groß die Maschinen (der Fortschritt) noch werden...dem Wind wird es auch zukünftig egal sein, ein wunderbarer Schlusssatz „Es ging hier gar nicht um das bisschen Mensch.“
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Städter ziehen aufs Land. Ein Missverständnis wie die Autorin treffend schreibt: Sie suchen die Ursprünglichkeit, die dort gerade abgeschafft wurde.

Der Satz hat mich auch sehr nachdenklich gestimmt. Was hätte erhalten bleiben müssen, welcher Fortschritt ging in die falsche Richtung, da gibt es einiges, worüber man nachdenken kann.
Ich fand es schlüssig, dass am Ende nicht alle Fragen vollständig aufgeklärt wurden, z.B. der Verbleib von Marret und wie es mit Ingwer weitergeht. Eine mögliche Verbindung mit Annaleen wird zwar angedeutet, aber es bleibt eben offen...
Ein Roman, der mir auch sehr gut gefallen hat und der das Verhalten in dörflichen Strukturen widerspiegelt und dem Schweigen einer kriegstraumatisierten Generation eine "Sprache" gibt.
 

wal.li

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1. Mai 2014
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Das mit dem Führerschein für die Frauen fand ich auch klasse, manche haben es noch mit Ende 40 gewagt. Das ist echt eine neue Freiheit, auch wenn es den Dorfladen kostet. Es gibt halt immer zwei Seiten.

Wenn man es genau überlegt, gehen die Landschaftsbauer heutzutage wieder an die Renaturierungen. Es wird zwar nie wieder wie es war, aber vielleicht besinnt man sich ja auf die guten Sachen.

Ich war richtig traurig, dass Sönke seine Gnadenhochzeit nicht mehr erlebt hat. Ihn an diesem Ehrentag zu beerdigen auch wie ein Kreis, der sich schließt. Aber ich hätte es ihm echt gegönnt.

Für offene Enden bin ich nicht so. Deshalb hätte ich gerne gewusst, was mit Marret ist. Ingwer ist sich, glaube ich, ein ganzes Stück nähergekommen. Er hat die Gastwirtschaft verpachtet, er ist zurück nach Kiel, weil ihm klar geworden ist, dass er doch nicht mehr aufs Land gehört, er hat sein Büro aufgeräumt und eine möblierte Wohnung gesucht. Das ist doch eine ganze Menge. Er hat sich verändert.
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Die Szene mit der Reporterin fand ich zum Schmunzeln, doppelt traurig, dass Sönke den "großen Tag" nicht mehr erleben konnte.

Den offenen Schluss fand ich schade. Ich hätte dem Buch einen Abschluss zu Marrets Geschichte gegönnt.
 
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Momo

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10. November 2014
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Ich mag eigentlich auch kein Ende mit offenen Fragen, aber hier, in diesem Buch, stört mich das nicht. Die Autorin überlässt es den Leser*innen, sich eigene Bilder zu schaffen. Ich finde auch, dass Ingwer sich weiter entwickelt hat. Wirkt mit sich und seiner Herkunft ausgesöhnt. Das hat mir gut gefallen. Ich denke, dass das gut für ihn war, sich um seine alternden Angehörigen gekümmert zu haben. Was sagt man hier, Eltern oder Großeltern?
 

Literaturhexle

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Ich mag eigentlich auch kein Ende mit offenen Fragen, aber hier, in diesem Buch, stört mich das nicht.
Mir hat auch nichts gefehlt. Die Autorin erzählt eine realistische Geschichte. Eine solche endet oft eben nicht mit Happyend. Wir haben alle Fakten an die Hand bekommen, um uns den weiteren Gang vorstellen zu können.
Für mich ein Ende, das zum Buch passt.
 
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Mikka Liest

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Nach der Zeit der Flurbereinigung, kommt die Gegenbewegung, die "Renaturierung".

Und die Brinkebüller schwimmen wieder gegen den Strom. Während der Flurbereinigung auf Gedeih und Verderb festgehalten an den alten Werten, den alten Gewohnheiten, den alten Lebensweisen – und jetzt wollen die Städter zurück zur Natur und die Brinkebüller reißen ab, verkaufen und asphaltieren...

Städter ziehen aufs Land. Ein Missverständnis wie die Autorin treffend schreibt: Sie suchen die Ursprünglichkeit, die dort gerade abgeschafft wurde.

Genau das meine ich.

Ella gibt ihre Beziehung zu dem Lehrer nie auf. Selbst nach seinem Tod bleibt sie ihm treu. Normalerweise würde das kein Partner einfach so akzeptieren. Aber Sönke nimmt es hin weil er glaubt dass er eine Schuld ab zu tragen hat.

Wie gut, dass Sönke nicht mehr begriffen hat, wie einsam er im Grunde gestorben ist – Ella hat ihn ja nicht mal mehr erkannt.

Die Wehmut, die Ingwer empfindet angesichts des verschwundenen Dorfes kann ich selbst nicht ganz nachvollziehen. Das Dorf war ja nie eine Idylle wie wir alle wissen. Es ist eher Wehmut angesichts der verschwundenen Kindheit. Das wiederum ist sicher bei allen Menschen so, die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies.

Ich denke, es ist auch eine Art Trauer um all das, was hätte sein können, aber niemals war. Ein Teil von ihm fragt sich anscheinend noch, was gewesen wäre, wäre er damals im Dorf geblieben.
 
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Mikka Liest

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Den vierten Abschnitt empfand ich als eine Art Abgesang auf eine alte Welt. Es dreht sich, es geht immer weiter, jeder und jedes ist ersetzbar.

Und immer noch geht es nicht um das bisschen Mensch... Der Kreis schließt sich.

Sönke erlebt seine Gnadenhochzeit nicht mehr. Das hat mir leid getan. Er war für mich ein sympathischer alter Knochen mit dem Herz am rechten Fleck. Andererseits wäre die Feier eine Farce gewesen: Ellas Herz schlug zeitlebens für einen anderen.

Ich habe es mir vorher schon gedacht... Ich dachte, entweder stirbt einer von beiden vorher – oder direkt danach. Wahrscheinlich ist es noch die bessere Variante, dass Sönke zuerst gestorben ist, denn Ella bekommt es ja nicht mehr so richtig mit.

Trotzdem hat mir richtig das Herz geblutet. Da freut sich dieser alte Mann wie ein kleines Kind auf den großen Tag – und dann erlebt er ihn nicht mehr... Im Rückblick ist Sönke bei weitem mein liebster Charakter aus diesem Buch. Ich hätte es ihm so gewünscht, dass er noch einen letzten Hochzeitstanz hinlegen kann, sich in der Aufmerksamkeit des ganzen Dorfes sonnen und die Tanzeinlage der Linentänzer bewundern...

Andererseits ist er so wenigstens in glücklicher Erwartung gestorben.

Marret verschwindet. Es ist nicht wirklich zu erwarten dass sie noch am Leben ist. Mit ihrem Handicap scheint sie doch recht hilflos zu sein.

Ich kann mir auch nicht recht vorstellen, dass sie irgendwo ein glückliches Leben führt, leider.
 
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Ja, „Abgesang“ ist das richtige Wort. Ein sehr berührender - ich würde sagen, gerade weil man weiß, dass es eine echte Idylle nicht gab. Es wäre aber auch unstimmig geworden, wenn es in einer großen Feier geendet hätte, so war es am Ende gut.

Einerseits habe ich erstmal richtig aufgejault, als Sönke starb (obwohl es mich nicht gewundert hat), andererseits hätte ich ein gekünsteltes Happy End auch nicht haben wollen.

Ich sehe aber nicht nur den Abgesang an die „Zeit der Bauern“, sondern auch die Erinnerung daran, dass der Mensch sich die Natur nie „untertan gemacht“ hat, egal wie groß die Maschinen (der Fortschritt) noch werden...dem Wind wird es auch zukünftig egal sein, ein wunderbarer Schlusssatz „Es ging hier gar nicht um das bisschen Mensch.“

Das ist für mich auch das Versöhnliche an der Geschichte.
 
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Ich fand es schlüssig, dass am Ende nicht alle Fragen vollständig aufgeklärt wurden, z.B. der Verbleib von Marret und wie es mit Ingwer weitergeht. Eine mögliche Verbindung mit Annaleen wird zwar angedeutet, aber es bleibt eben offen...

Ja, ich fand es auch passend (obwohl ich mir insgeheim doch gewünscht hatte, dass man erfährt, was aus Marret geworden ist). Im Leben gibt es ja auch nur selten saubere Abschlüsse, es bleiben eigentlich immer Fragen offen oder Dinge ungeklärt.
 
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Wenn man es genau überlegt, gehen die Landschaftsbauer heutzutage wieder an die Renaturierungen. Es wird zwar nie wieder wie es war, aber vielleicht besinnt man sich ja auf die guten Sachen.

Bei uns in der Gegend hat man den Eindruck leider gar nicht... Fast alle bauen nur noch Mais für die Biogasanlage an und röhren mit grotesk riesigen Fahrzeugen durch die Gegend. :-(

Ich war richtig traurig, dass Sönke seine Gnadenhochzeit nicht mehr erlebt hat. Ihn an diesem Ehrentag zu beerdigen auch wie ein Kreis, der sich schließt. Aber ich hätte es ihm echt gegönnt.

Jaaaa, ich bin immer noch sehr traurig, das dauert wohl noch ein Weilchen, bis ich nicht mehr feuchte Augen beim Gedanken daran kriege... (Vielleicht, weil mein Vater in einem Alter ist, wo jedes Jahr das letzte sein könnte – in letzter Zeit habe ich in Büchern ein ganz weiches Herz für alte Männer.)

Für offene Enden bin ich nicht

Früher konnte ich offene Enden nicht ausstehen, aber ich habe mich in den letzten Jahren sehr damit angefreundet. Irgendwie sehe ich das inzwischen so, dass es im Leben nur sehr wenige 'saubere' Enden gibt, denn irgendwie geht ja immer alles weiter...
 
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Mikka Liest

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Ich denke, dass das gut für ihn war, sich um seine alternden Angehörigen gekümmert zu haben. Was sagt man hier, Eltern oder Großeltern?

Das denke ich auch, so konnten sie alle noch einmal sehr intensiv Zeit miteinander verbringen, und er muss sich jetzt nicht sagen 'hätte ich nur...' Ich denke an die beiden als an seine Eltern, wahrscheinlich, weil Marret nie wirklich seine Mutter war.
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Wenn man es genau überlegt, gehen die Landschaftsbauer heutzutage wieder an die Renaturierungen. Es wird zwar nie wieder wie es war, aber vielleicht besinnt man sich ja auf die guten Sachen.

Nicht nur das. Es gibt Fördergelder von der EU und anderen, um Flüsse und Bäche wieder zu renaturieren und die Natur wieder in den Ursprungszustand zurückzuversetzen.

Den offenen Schluss fand ich schade. Ich hätte dem Buch einen Abschluss zu Marrets Geschichte gegönnt.

Mich hat das etwas offene Ende nicht gestört. Ich finde es oft ganz schön, wenn noch Raum für eigene Interpretationen bleibt.
 
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