Rezension Rezension (4/5*) zu Vergiss kein einziges Wort: Roman von Dörthe Binkert.

wal.li

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1. Mai 2014
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Buchinformationen und Rezensionen zu Vergiss kein einziges Wort: Roman von Dörthe Binkert
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Familie Strebel

Luischen Strebel ist das letzte Kind von Martha und Carl. Doch wie jedes Nesthäkchen ist sie etwas Besonderes speziell für ihre Mutter, die sich freut, aber keine weiteren Kinder mehr möchte. In der Paulstraße wohnen sie zwar etwas beengt aber gut und mit netten Nachbarn. Im Jahr 1921 geht es in Gleiwitz, Schlesien, wirtschaftlich nicht so gut. Doch die Stadt der Kohle strebt auf. Luise wächst recht behütet auf. Mit ihrer besten Freundin Magda zieht sie durch die Gassen, gerne geht sie zur Schule, wobei Mathematik ihr Lieblingsfach ist. Doch die politischen Entwicklungen gehen weder an der Familie noch an Luischen vorbei.

Anhand des Schicksals der Familienmitglieder der Strebels, derer Freunde, Verwandten und Bekannten berichtet die Autorin von der Geschichte der Stadt Gleiwitz, Gliwice in Oberschlesien. Eine Gegend, die immer schon eine Nähe zu Polen hatte, die geprägt von frühen Industriebetrieben auch einen Verkehrsknotenpunkt bildete. Hier lebt Carl Strebel als Bahnbeamter friedlich nachdem der große Krieg überstanden ist. Bald schon muss er sich jedoch damit auseinandersetzen, dass seine Söhne in Streit geraten. Während Konrad mit seiner polnisch-stämmigen Frau ein eher unpolitisches Leben führen möchte, strebt Heinrich schon früh nach einer Parteikarriere. Und wie schon mehrfach in der Gegend geht es in der Grenzstadt hin und her zwischen Polen und Deutschland.

Mit berührenden und ehrlichen Worten macht die Autorin das Leben der Menschen in Gleiwitz, Gliwice vom frühen 20. Jahrhundert bis in die heutige Zeit glaubhaft und lebendig. Fröhlichkeit und Mut stehen neben Leid, Trennung und Krieg. Welch extreme Gegensätze es innerhalb einer Familie geben konnte, wo sich wie so oft mäßigende Einflüsse nicht durchsetzen konnten. Tief taucht man ein in die Vorkriegs- und Kriegsjahre, erfährt hautnah, dass es zwar auch in grausamen Zeiten schöne Momente geben kann, dass das Leid, verursacht von fehlgeleiteten Machthabern, aber nie zu etwas Gutem führt. Nach dem Ende von Kriegen sind einfach zu viele Menschen gefoltert, getötet, ermordet. Überlebende Familien auseinander gerissen und Flüchtlinge nirgends gern gesehen. Wie hieß es nicht von Carl Sandburg „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“. Wenn die Menschen nur auf ihn hören würden. Was geschieht, wenn die Menschen sich verleiten lassen, ist sehr anschaulich im Anhang dieses Buches nachzulesen.
4,5 Sterne