3. Leseabschnitt: S. 171 bis S. 261 (Kapitel 12 bis Kapitel 17)

Leseglück

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7. Juni 2017
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In den beiden ersten Abschnitten hatte ich viele Sätze am Rand markiert, weil ich sie so schön fand. Jetzt im dritten Abschnitt kam das kaum noch vor. Vielleicht habe ich mich an die treffenden Vergleiche gewöhnt, so dass sie mir nicht mehr so auffallen? Aber ich denke, dass der Text jetzt im dritten Abschnitt nicht mehr so dicht ist. Vieles wiederholt sich.

Die Midlife crisis von Ingwer verstehe ich im Moment so: Er hat sich im Leben zu wenig durchgesetzt. War zu wenig klar in seinen Ansprüchen. Er hat alles einfach hingenommen und sich auch ausnützen lassen.
Wann und wodurch ihm das klar wurde, das weiß man nicht...es scheint einfach das Alter zu sein. Jetzt spürt er Wut und will etwas verändern.
Zu seinem Dorf geht er zurück weil er eine Auszeit braucht von seinem Leben in Kiel. Auch weil er das Gefühl hat, dass er in der Schuld steht bei seinem Großvater, dessen "Erbe" er nicht angetreten ist.

Klar ist jetzt warum Ingwer nicht Christian heißen durfte. Es ist der Vorname des Lehrers!

Offen ist weiter die Frage was aus Marret geworden ist. Ich bin gespannt. Sie muss ja früh gestorben sein???
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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@Leseglück hat Recht: Dieser Abschnitt ist nicht mehr ganz so poetisch, dafür bekommen wir aber dezidierten Einblick in die Denkweise der männlichen Figuren und die Handlung gewinnt an Kontur.

Sowohl Sönke als auch Ingwer sind von einer Schuld belastet, die sie aus ihrer Sicht heraus sühnen müssen. Bei Sönke handelt es sich primär um die Kriegsschuld, die er auf sich geladen hat. Das Meiste davon meint er schon im russischen Lager abbezahlt zu haben. Einzig für das ledige Kind seiner Tochter findet er zunächst keine "Schuld", die er noch abzutragen hätte.... Ich fand es schön, wie sich dieses Gefühl zunehmend verändert und er den Jungen, der nach seinem eigenen Vater benannt wird (und nicht Christian!), zunehmend als Chance/Hoffnung ansehen und annehmen kann. Berührend die Szene, als er den Säugling auf seine warme Brust legt "Minsch wärmt Minsch", damit kennt er sich durch den Aufenthalt im kalten Russland aus.
Aufgedeckt wird Ellas Doppelleben mit Sönke und dem Schulmeister - was zuvor nur in Andeutungen zu lesen war. Sie bleibt beiden "treu".

Ingwer hat seine Schuld in 5 Akte eingeteilt. Er weiß, welchen Schmerz er seinem "Vater" (diese Rolle hat Sönke ja eingenommen) zugefügt hat, indem er zu den Studierern gegangen ist und den vorgeschriebenen Weg verlassen hat. Mit seinem Sabbatjahr und der wirklich liebevollen Pflege der beiden Alten will er einen Teil dieser Schuld abtragen. Doch Sönke hat das durchschaut, als er fragt: "Was wirst du machen, wenn dein Bummeljahr vorbei ist und wir beiden Alten noch leben...?"
Ich glaube nicht, dass Sönke seinem Enkel den Weggang noch nachträgt. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich schließlich auch herausgestellt, dass Land- und Gastwirtschaft keine Zukunft mehr haben. Ich wünsche mir, dass diese beiden Männer noch ein offenes, klärendes Gespräch miteinander führen. Aus meiner Erfahrung heraus wünschen sich Väter oft ein bisschen, dass die Söhne in ihre Fußstapfen treten, ihre Hobbies (Fußball!) teilen, ein bisschen, wie sie selbst werden... Das ist menschlich. Man muss aber zu gegebener Zeit loslassen können. Ich habe doch den Eindruck, dass Sönke das konnte, Ingwer es aber nicht bemerkt hat.

Fast lustig die "Reviermarkierung" im Büro durch Ingwer. Recht hat er!

Tragisch der Unfall des kleinen Jungen im Dorf. Veränderungen haben immer auch Nachteile, wie es scheint.

Lehrer Steensen wird uns ausführlicher vorgestellt. Bisher nur aus Sicht der anderen, jetzt gewinnen wir Einblicke in des Lehrers "Förderkonzept", nach dem er Kinder schon frühzeitig in Dumme, Normale und Förderfähige einteilt. Er gibt sich durchaus Mühe damit, jedoch scheint die Einteilung sehr früh zu erfolgen und wenig Veränderung zuzulassen...

Er weiß, dass er Marrets Vater ist, sieht die Ähnlichkeit auf den Bildern. Sein Ziel ist es, Ingwer "weg zu bringen von Sönke Feddersen und seinem Gasthof und seinem kleinen Stall voll Vieh". Sicher auch deswegen, weil seine Freundin/Geliebte/Vertraute (Näheres wissen wir noch nicht) Ella so sehr darunter litt. Vielleicht aber auch, weil er Bildung generell für wichtig hält. Dem widerspricht aber die Tatsache, dass er den Jungen speziell auf seine Leidenschaft, die Archäologie, prägt...
Die beiden "Väter" Steensen und Sönke sind regelrecht in Konkurrenz zueinander getreten, was die Zukunft Ingwers anging. Ich denke, dass "der Sieg" des Lehrers den Ziehvater Sönke stärker getroffen hat, als es die reine Entscheidung Ingwers zum Studium zu gehen vermocht hätte.

Einige Fragen interessieren mich noch brennend: Wie ist es zu der Beziehung zwischen Ella und dem Lehrer gekommen und welcher Art war sie? Wo ist Marret abgeblieben, sie scheint nicht in einem Heim zu sein, weil keine Rede mehr von ihr ist? Wie wird sich Ingwers Krise auflösen? Bekommt er die Chance auf einen Neuanfang?

Puh! Nun habe ich mir mal alles abgeschrieben, was mich so beschäftigte. Ich muss wohl nicht sagen, dass mir das Buch außergewöhnlich gut gefällt ;)
 

Leseglück

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Die beiden "Väter" Steensen und Sönke sind regelrecht in Konkurrenz zueinander getreten, was die Zukunft Ingwers anging
Wenn ich es richtig verstanden habe, weiß Ingwer nicht mal, dass Steensen sein leiblicher Großvater ist. Aber Sönke weiß es natürlich, was vielleicht zusätzlich für Konkurrenz sorgt.
Eigentlich auch tragisch für den Lehrer: er hat ein Kind und ein Enkelkind, darf aber seine Zuneigung zu diesen Kindern nicht zeigen. Absurd, wo doch bestimmt viele im Dorf wussten, wer Marrets leiblicher Vater ist.
 

Literaturhexle

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Absurd, wo doch bestimmt viele im Dorf wussten, wer Marrets leiblicher Vater ist.
Da bin och mir nicht so sicher. Als Steensen die Bilder anschaut, fragt er sich, ob die anderen die Schulmeisterstirn bei Marret und Ingwer auch sehen. Insofern scheint es nur den Eingeweihten bekannt zu sein, dazu zählen nicht Marret und Ingwer. Aber vielleicht werde ich noch eines Besseren belehrt.
 
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ulrikerabe

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14. August 2017
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Sowohl Sönke als auch Ingwer sind von einer Schuld belastet, die sie aus ihrer Sicht heraus sühnen müssen. Bei Sönke handelt es sich primär um die Kriegsschuld, die er auf sich geladen hat. Das Meiste davon meint er schon im russischen Lager abbezahlt zu haben. Einzig für das ledige Kind seiner Tochter findet er zunächst keine "Schuld", die er noch abzutragen hätte.... Ich fand es schön, wie sich dieses Gefühl zunehmend verändert und er den Jungen, der nach seinem eigenen Vater benannt wird (und nicht Christian!), zunehmend als Chance/Hoffnung ansehen und annehmen kann. Berührend die Szene, als er den Säugling auf seine warme Brust legt "Minsch wärmt Minsch", damit kennt er sich durch den Aufenthalt im kalten Russland aus.

Sönke rechnet Schuld mit Strafe auf. Aus seiner Sicht verständlich. Mich macht nur immer nachdenklich, wenn ich höre, dass jeder bekommt was er verdient. Das Leben ist keine doppelte Buchführung. Wie viele tragen ein Packerl mit sich herum, ohne sich "schuldig" gemacht zu haben. Und wie viele kommen mit jedem Sch... durch?

Aber Sönkes Zuwendung an das Baby Ingwer fand ich richtig schön. Sönke, der erste Trage-Opa Frieslands. :)

Ingwer listet seine fünf Punkte des "Verrats" auf. Keine davon finde ich wirklich tragisch, eher lässliche Vergehen eines Pubertierenden.

Und ich liebe Gönke, bis aufs Schreien könnte ich das sein. Ich war auch immer nur mit Buch anzutreffen, habe schon mit vier gelesen. Eigentlich ein Wunder, dass ich erst seit einem Jahr eine Lesehilfe brauche.
 

Literaturhexle

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@ulrikerabe
Ich kann dir da nur aus vollem Herzen zustimmen. Diese Schuld-und Sühne Rechnung geht nicht auf. Ingwer war jung und musste seinen Weg gehen. Dass Sönke das nicht verstanden hat, mag sein. Er hat den Enkel aber immer wieder gerne aufgenommen. Ernsthaften Groll habe ich nicht gespürt. Er entstammt j auch der Generation, die das Leben so nimmt, wie es kommt.
 

wal.li

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1. Mai 2014
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In diesem Teil spielt immer ein Kapitel mehr in der Vergangenheit und eins mehr in der Gegenwart. Bei den anderen Abschnitten habe ich nicht so drauf geachtet.

Das mit den schönen neuen Straßen gibt mir auch ein Bild (zum Glück nicht von schweren Unfällen). Der Unfall war wirklich sehr tragisch. Was ich meine, das gilt auch für die Flurbereinigung, erst machen sie schön gewachsene Sachen Felder oder Straßen groß oder breit und gerade und dann wundern sie sich, wenn Sturm- und Hochwasser Schäden anrichten. Oder wenn gerade breite Straßen, den Ort durchschneiden, zum Rasen einladen und das dann zu Unfällen führt.

Sönke, der mit dem Kind durchs Dorf geht, das ist eine sehr schöne Vorstellung. Er wusste weitgehend Bescheid und er hat es nicht am Kind ausgelassen. Seine Kriegserfahrung sieht er sehr realistisch. Ich frage mich, ob er viel oder überhaupt darüber geredet hat. Die meisten haben nicht geredet oder nur die Hälfte erzählt.

Bei den Teilen in der Gegenwart habe ich den Eindruck, dass Ingwer dabei ist, seinen Weg zu finden. Aber irgendwie verabschiedet er sich auch von seinen Großeltern. Ich denke, das ist sehr schwer, sowohl bei Ella mit ihrer Demenz und Aggressivität als auch bei Sönke, der körperlich immer gebrechlicher wird alles andere aber mitbekommt.
 

FrancieNolan

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5. Januar 2019
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In den beiden ersten Abschnitten hatte ich viele Sätze am Rand markiert, weil ich sie so schön fand. Jetzt im dritten Abschnitt kam das kaum noch vor. Vielleicht habe ich mich an die treffenden Vergleiche gewöhnt, so dass sie mir nicht mehr so auffallen? Aber ich denke, dass der Text jetzt im dritten Abschnitt nicht mehr so dicht ist....

.....Offen ist weiter die Frage was aus Marret geworden ist. Ich bin gespannt. Sie muss ja früh gestorben sein???

Ja, das stimmt wohl, die highlights werden weniger.

Was Marret angeht, vermute ich auch einen frühen Tod, wer weiß, was da noch rauskommt...
 
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FrancieNolan

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5. Januar 2019
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@Leseglück hat Recht: Dieser Abschnitt ist nicht mehr ganz so poetisch, dafür bekommen wir aber dezidierten Einblick in die Denkweise der männlichen Figuren und die Handlung gewinnt an Kontur.

Sowohl Sönke als auch Ingwer sind von einer Schuld belastet, die sie aus ihrer Sicht heraus sühnen müssen. Bei Sönke handelt es sich primär um die Kriegsschuld, die er auf sich geladen hat. Das Meiste davon meint er schon im russischen Lager abbezahlt zu haben. Einzig für das ledige Kind seiner Tochter findet er zunächst keine "Schuld", die er noch abzutragen hätte.... Ich fand es schön, wie sich dieses Gefühl zunehmend verändert und er den Jungen, der nach seinem eigenen Vater benannt wird (und nicht Christian!), zunehmend als Chance/Hoffnung ansehen und annehmen kann. Berührend die Szene, als er den Säugling auf seine warme Brust legt "Minsch wärmt Minsch", damit kennt er sich durch den Aufenthalt im kalten Russland aus.
Aufgedeckt wird Ellas Doppelleben mit Sönke und dem Schulmeister - was zuvor nur in Andeutungen zu lesen war. Sie bleibt beiden "treu".

Ingwer hat seine Schuld in 5 Akte eingeteilt. Er weiß, welchen Schmerz er seinem "Vater" (diese Rolle hat Sönke ja eingenommen) zugefügt hat, indem er zu den Studierern gegangen ist und den vorgeschriebenen Weg verlassen hat. Mit seinem Sabbatjahr und der wirklich liebevollen Pflege der beiden Alten will er einen Teil dieser Schuld abtragen. Doch Sönke hat das durchschaut, als er fragt: "Was wirst du machen, wenn dein Bummeljahr vorbei ist und wir beiden Alten noch leben...?"
Ich glaube nicht, dass Sönke seinem Enkel den Weggang noch nachträgt. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich schließlich auch herausgestellt, dass Land- und Gastwirtschaft keine Zukunft mehr haben. Ich wünsche mir, dass diese beiden Männer noch ein offenes, klärendes Gespräch miteinander führen. Aus meiner Erfahrung heraus wünschen sich Väter oft ein bisschen, dass die Söhne in ihre Fußstapfen treten, ihre Hobbies (Fußball!) teilen, ein bisschen, wie sie selbst werden... Das ist menschlich. Man muss aber zu gegebener Zeit loslassen können. Ich habe doch den Eindruck, dass Sönke das konnte, Ingwer es aber nicht bemerkt hat.

Fast lustig die "Reviermarkierung" im Büro durch Ingwer. Recht hat er!

Tragisch der Unfall des kleinen Jungen im Dorf. Veränderungen haben immer auch Nachteile, wie es scheint.

Lehrer Steensen wird uns ausführlicher vorgestellt. Bisher nur aus Sicht der anderen, jetzt gewinnen wir Einblicke in des Lehrers "Förderkonzept", nach dem er Kinder schon frühzeitig in Dumme, Normale und Förderfähige einteilt. Er gibt sich durchaus Mühe damit, jedoch scheint die Einteilung sehr früh zu erfolgen und wenig Veränderung zuzulassen...

Er weiß, dass er Marrets Vater ist, sieht die Ähnlichkeit auf den Bildern. Sein Ziel ist es, Ingwer "weg zu bringen von Sönke Feddersen und seinem Gasthof und seinem kleinen Stall voll Vieh". Sicher auch deswegen, weil seine Freundin/Geliebte/Vertraute (Näheres wissen wir noch nicht) Ella so sehr darunter litt. Vielleicht aber auch, weil er Bildung generell für wichtig hält. Dem widerspricht aber die Tatsache, dass er den Jungen speziell auf seine Leidenschaft, die Archäologie, prägt...
Die beiden "Väter" Steensen und Sönke sind regelrecht in Konkurrenz zueinander getreten, was die Zukunft Ingwers anging. Ich denke, dass "der Sieg" des Lehrers den Ziehvater Sönke stärker getroffen hat, als es die reine Entscheidung Ingwers zum Studium zu gehen vermocht hätte.

Einige Fragen interessieren mich noch brennend: Wie ist es zu der Beziehung zwischen Ella und dem Lehrer gekommen und welcher Art war sie? Wo ist Marret abgeblieben, sie scheint nicht in einem Heim zu sein, weil keine Rede mehr von ihr ist? Wie wird sich Ingwers Krise auflösen? Bekommt er die Chance auf einen Neuanfang?

Puh! Nun habe ich mir mal alles abgeschrieben, was mich so beschäftigte. Ich muss wohl nicht sagen, dass mir das Buch außergewöhnlich gut gefällt ;)

Das hast du so wunderbar zusammengefasst, genau, kann ich da nur sagen! Und genau die Fragen, die Du stellst, hab ich auch noch. Ich denke, dass ich die Abschnitte richtig identifiziert habe und bin jetzt leicht beunruhigt, weil da gar nicht mehr viel kommt...hoffentlich wird alles noch zufriedenstellend gelöst, denn zunehmend empfinde ich alle Figuren als tragische Figuren, sogar den Herrn Lehrer, den ich anfangs nicht sehr mochte.
Ein bisschen erstaunlich, dass ich vorallem Sönke und Ingwer sehr mag, obwohl das im „real life“ bestimmt nicht so wäre.

Ja, mir gefällt das Buch auch sehr, ich freue mich richtig auf den letzten Abschnitt und bin jetzt schon ein bisschen traurig, dass es bald zu Ende ist....
 

FrancieNolan

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5. Januar 2019
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Da bin och mir nicht so sicher. Als Steensen die Bilder anschaut, fragt er sich, ob die anderen die Schulmeisterstirn bei Marret und Ingwer auch sehen. Insofern scheint es nur den Eingeweihten bekannt zu sein, dazu zählen nicht Marret und Ingwer. Aber vielleicht werde ich noch eines Besseren belehrt.

An dieser Stelle fällt doch die Passage vom Anfang ein, dass im Dorf nichts verborgen bleibt...die Kinder, die sich ähnlich sehen, deshalb bei den Feiern weit auseinandergesetzt werden, damit es nicht so ins Auge fällt. Ich vermute Ähnliches bei dem Verhältnis Ella-Christian. Da sie ihn ja in Notsituationen sogar besucht, glaube ich kaum, dass niemand die „Schulmeisterstirnen“ bemerkt hat.
 
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FrancieNolan

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5. Januar 2019
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Ein bisschen hab ich auch die starken Sätze der vorangegangenen Hälfte vermisst, ebenso wie Marret, die plötzlich sehr zur Randfigur geworden ist. Ich bin nicht sicher, ob ich das nicht etwas ungleichgewichtig finde, aber abwarten, es kommt ja sicher bald noch was dazu.
Der Unfall hat mich sehr geschockt, obwohl man es schon ahnt, ist es sehr eindrücklich und bildhaft beschrieben, und dazu die Sache mit dem Eis - wie schrecklich. Mir blieb echt kurz die Luft weg und ich musste eine kleine Pause einlegen.
Immerhin zeigt sich hier - Veränderung und Flurbereinigung hin oder her - die Stärke der dörflichen Gemeinschaft in ihrer Unterstützung der Eltern. Sehr leid taten mir auch die Geschwisterkinder, die sicher sowieso Schuldgefühle hatten...

Mit den Schuldaufrechnungen der Männer hab ich auch Probleme, aber es wird so absolut verständlich, wie sie handeln, und ich hoffe nur, dass sie mit sich und miteinander noch einen Frieden finden, sie scheinen ja auf dem Weg zu sein.
Ich bin jetzt sehr gespannt, was wir von Brinkebüll noch miterleben werden, ich muss jetzt sofort noch etwas weiterhören.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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An dieser Stelle fällt doch die Passage vom Anfang ein, dass im Dorf nichts verborgen bleibt...die Kinder, die sich ähnlich sehen, deshalb bei den Feiern weit auseinandergesetzt werden, damit es nicht so ins Auge fällt. Ich vermute Ähnliches bei dem Verhältnis Ella-Christian. Da sie ihn ja in Notsituationen sogar besucht, glaube ich kaum, dass niemand die „Schulmeisterstirnen“ bemerkt hat.
Da habe ich gar nicht mehr an den Anfang gedacht! Bestimmt kann man ihn als Hinweis deuten. Im letzten Abschnitt findet deine These weitere Bestätigung: das Verhältnis Ella-Steensen kann den Dörflern nicht verborgen geblieben sein.
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Ich wünsche mir, dass diese beiden Männer noch ein offenes, klärendes Gespräch miteinander führen.

Das ist jedoch aufgrund ihres bisherigen Verhaltens nicht zu erwarten. Näher als beim Waschen kommen sie sich, glaube ich nicht mehr...

Tragisch der Unfall des kleinen Jungen im Dorf. Veränderungen haben immer auch Nachteile, wie es scheint.
Furchtbare Szene, musste auch aufhören zu lesen.

Aber...es wurde nie ausgesprochen, also war es auch nie wahr.

Das ist die Strategie dieser dörflichen Struktur. Ich glaube auch, dass viele die Wahrheit ahnten oder sogar gewusst haben, das Verhältnis von Ella und dem Lehrer und die Tatsache, dass Marret deren Kind ist, aber es wurde nicht laut ausgesprochen.
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Das ist jedoch aufgrund ihres bisherigen Verhaltens nicht zu erwarten. Näher als beim Waschen kommen sie sich, glaube ich nicht mehr...


Furchtbare Szene, musste auch aufhören zu lesen.



Das ist die Strategie dieser dörflichen Struktur. Ich glaube auch, dass viele die Wahrheit ahnten oder sogar gewusst haben, das Verhältnis von Ella und dem Lehrer und die Tatsache, dass Marret deren Kind ist, aber es wurde nicht laut ausgesprochen.
Du hast einen guten Riecher für Literatur ;)
Ich bin ja durch mit dem Buch und muss sagen, dass du die Dinge schon jetzt gut durchschaut hast.
 

Momo

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10. November 2014
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In den beiden ersten Abschnitten hatte ich viele Sätze am Rand markiert, weil ich sie so schön fand. Jetzt im dritten Abschnitt kam das kaum noch vor. Vielleicht habe ich mich an die treffenden Vergleiche gewöhnt, so dass sie mir nicht mehr so auffallen? Aber ich denke, dass der Text jetzt im dritten Abschnitt nicht mehr so dicht ist. Vieles wiederholt sich.

Die Midlife crisis von Ingwer verstehe ich im Moment so: Er hat sich im Leben zu wenig durchgesetzt. War zu wenig klar in seinen Ansprüchen. Er hat alles einfach hingenommen und sich auch ausnützen lassen.
Wann und wodurch ihm das klar wurde, das weiß man nicht...es scheint einfach das Alter zu sein. Jetzt spürt er Wut und will etwas verändern.
Zu seinem Dorf geht er zurück weil er eine Auszeit braucht von seinem Leben in Kiel. Auch weil er das Gefühl hat, dass er in der Schuld steht bei seinem Großvater, dessen "Erbe" er nicht angetreten ist.

Klar ist jetzt warum Ingwer nicht Christian heißen durfte. Es ist der Vorname des Lehrers!

Offen ist weiter die Frage was aus Marret geworden ist. Ich bin gespannt. Sie muss ja früh gestorben sein???

Hat er wirklich alles mit sich machen lassen? Er ist doch seinen Weg gegangen. Obwohl Sönke wollte, dass er nicht weiter zur Schule geht, er wusste nicht mal was ein Gymnasium ist. Ingwert wollte kein Gastwirt werden, kein Landwirt, er lehnte die Ehe als Instution ab. Ich fand das ganz schön mutig, Sönke und dessen Welt zu verlassen, um sich in Kiel durch seinen Beruf eine neue Existenz aufzubauen. Schade fand ich, dass Sönke aufgehört hat, sich für Ingwer zu interessieren. Er konnte nicht aus seiner Haut, und er konnte nicht über seinen eigenen Bauchnabel schauen. Alles was anders ist, ist ihm fremd.

Mich hat etwas genervt, dass er Schuldgefühle dafür entwickelt hat, dass er studiert hat, dass er kein Landwirt, etc. geworden ist. Das fand ich nicht nötig. Niemand muss sich schuldig fühlen, nur weil man einen anderen Weg einschlägt, der nicht von den Eltern gesegnet wird.

Immer sind Sönke und Ella erfolgreich gewesen. SIe sind beide sehr alt geworden. Auch wenn das Leben für sie nicht einfach war.

Als Ella und Sönke plötzlich Hilfe benötigt haben, das sehe ich auch so, dass Ingwer sich in ihrer Schuld fühlt, und versucht etwas auszugleichen, vieleicht seine eigene Existenz. Sönke hatte sich ja auch rührend um ihn gekümmert, als er ein Säugling war, und später die gesamte Kindheit hindurch. Wären die Großeltern nicht gewesen, was dann mit Ingwer?

Zwanzig Jahre WG, da bekommt man irgendwann schon Zweifel, ob es diese zwanzig Jahren auch wirklich wert waren. Eine typische Midlife Crisis. In so einer kritischen Lebensphase stellt man alles in Zweifel, ähnlich wie in der Pubertät stellt man das gesamte Weltbild wieder auf den Kopf.

Ella und Sönke zeigen Ingwer ohne Absicht den Spiegel, wo man im Alter enden kann, wenn man sich für eine wilde Partnerschaft entschieden hat. Wenn man alleine alt werden muss, wenn niemand da ist, mit dem man das Alter teilen kann. Aber auch das hat nonsenses. Wieviele verheiratete ältere Paare verlieren ihren Partner, noch bevor das Greisenalter eigentlich begonnen hat. Auch sie sind allein. Und sie haben es noch schwerer als Ingwer, weil sie es nicht gewöhnt sind, alleine, ohne Ehepartner zu sein. Naja, nicht alle alten Paare enden so, aber viele.

Mich wundert, dass Ingwer es aufgegeben hat zu erfahren, wer denn nun sein leiblicher Vater ist? Oder habe ich etwas verpasst? Irgendwelche Andeutungen?

Marret habe ich auch irgendwann angefangen zu vermissen.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Schade fand ich, dass Sönke aufgehört hat, sich für Ingwer zu interessieren.
Ich glaube nicht, dass es so war. Beide Männer reden nicht über Gefühle. Ingwer hat keine Beziehung, keine Familie und zum Beruf fehlt Sönke in der Tat der Bezug. Aber wider Erwarten denkt er an Ingwers Geburtstag und hilft ihm mit guter Idee bei dem Präsentkorb für Ragnhild. Ich glaube schon, dass er ihn geliebt hat- so wie die Männer dieser Generation lieben und sich interessieren können. Selbst mein Vater war immer eher der Mann fürs Praktische. Das wird für die Generation davor noch viel mehr zutreffen.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Eine typische Midlife Crisis. In so einer kritischen Lebensphase stellt man alles in Zweifel, ähnlich wie in der Pubertät stellt man das gesamte Weltbild wieder auf den Kopf.
Du hast vieles in deinem Beitrag zusammengetragen, das ich auch so sehe. Diese WG mutet ja schon seltsam an. Wer lebt nach dem Studium noch ohne Not in einer WG, noch dazu bei ungeklärten Verhältnissen?
Ich habe es Ingwer abgenommen, dass er ein Sabbatjahr zur Orientierung braucht. Wo hätte er es besser verbringen können als "zu Hause?"
Gleichzeitig hilft er den Alten und entlastet sich selbst von seiner imaginären Schuld.
 
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Renie

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19. Mai 2014
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renies-lesetagebuch.blogspot.de
Die Midlife crisis von Ingwer verstehe ich im Moment so: Er hat sich im Leben zu wenig durchgesetzt. War zu wenig klar in seinen Ansprüchen. Er hat alles einfach hingenommen und sich auch ausnützen lassen.
Wann und wodurch ihm das klar wurde, das weiß man nicht...es scheint einfach das Alter zu sein. Jetzt spürt er Wut und will etwas verändern.
Ich hatte zwischenzeitlich das Gefühl, dass Ingwer seine Herkunft vom Land als negativ empfindet. Das zeigte sich insbesondere in seiner Kieler Anfangszeit. Er fühlt sich häufig auf den "Bauernsohn" reduziert, was er sich höchst wahrscheinlich einredet. (Na gut, abgesehen von der einen Bekannten, die oft die WG besucht und Spaß daran hat, seinen Dialekt nachzuahmen.) Seine Herkunft war ihm unangenehm. Vielleicht hat er vieles hingenommen und sich ausnutzen lassen, um zu beweisen, dass er ein toller und hilfsbereiter Kerl ist und wollte so von seiner Herkunft ablenken.
Interessant finde ich wiederum die Kehrtwendung. So, wie er vorher das Landleben fluchtartig verlassen hat, schließt er jetzt mit dem Stadtleben ab. Zurück zu den Wurzeln!
 

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