2. Leseabschnitt: S. 89 bis S. 170 (Kapitel 7 bis Kapitel 11)

Momo

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10. November 2014
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Auf Seite 136 wurde für mich nochmals deutlich, dass Ingwer auch unter der Einsamkeit leidet, und seine midlife crisis verschärft diese Gefühle zusätzlich, da er stark auf die 50 zugeht. Er vergleicht sich mit seinen Zieheltern und spürt in sich die Defizite. Sein Beziehungsstatus habe nicht noch immer nicht geändert, die Dreiecksbeziehung lebe hoch, und erkennt, dass er vor einer Zweierbeziehung Ängste spürt, die ihm nun bewusst zu werden scheinen. Eigenheim und Ehe haben diese drei Menschen als etwas Perfides, Spießiges empfunden. Ingwer wollte nicht wie die Menschen aus dem Dorf werden, die ihn geprägt hatten ...

[zitat]Er war der Junge, der am Tresen stand, er hatte sie gesehen: Hochzeitstänze, die man seinem schlimmsten Feind nicht wünschte. Er war gewarnt, er wollte dieses Leben nicht. Aber jetzt stand er hier und duschte einen alten Mann, und wusste nicht mehr, was er wollte. [/zitat]

Auf Seite 136 gibt es so vele schöne Textstellen zum Zitieren, die mir aber zu lang sind.

Ragnhild Dieffenbach schafft es auch nicht, ihren Mitbewohner aufzubauen, mit ihren psychlogischen und doch recht naive Analysen wertet sie ihn eher ab.

[zitat]Gagnhild glaubte, alles von ihm zu wissen, über Ingwer Feddersen, mit dem sie jetzt schon seit zweieinhalb Jahrzehnte lang nichts Halbes und nichts Ganzes hatte. Er war sehr froh, dass er das Ausmaß seiner Abgründe nicht kannte. Er wollte gar nicht wissen, was das für ein Syndrom sein könnte, wenn einer sich mit langsam wachsender Verzwiflung nach Besitzergreifung sehnte. [/zitat]

Gerne würde ich Ingwer zurufen, dass er mutig war, sein Leben selbst zu gestalten und er dazu stehen sollte. Einen Lebenswert findet man zum Beisliel nicht immer in der Familiengründung und auch nicht in den Fußstapfen seiner Angehörigen ... Dass sich Werte verändern bzw. verschieben können, ist normal. Ich hoffe, er findet wieder seinen inneren Frieden ...
 

FrancieNolan

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5. Januar 2019
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Und immer noch entdecke ich viele Dinge aus meiner Kindheit. Es macht ungeheuer viel Spaß, in den Erinnerungen zu kramen und darüber nachzudenken, was damals wichtig war. Mir ist z. B. auch immer eingeimpft worden, zu grüßen. Das ging sogar so weit, dass man sich bei unseren Eltern beschwert hat, wenn wir Kinder mal nicht gegrüßt haben (weil wir im Spiel versunken waren).
Oder auf gar keinen Fall gekauften Kuchen servieren, wenn man zum Kaffeetrinken eingeladen hat. Falls es doch gekauften Kuchen gab, wurde der vorher noch "präpariert", damit er nicht so perfekt aussah.

Die Formulierungen rund um den armen Bäcker Boysen fand ich übrigens auch ganz wunderbar (dieser verhinderte Künstler), alleine derSatz mit „keine Frau mit zwei gesunden Händen“ dürfte sich dabei erwischen lassen, gekauften Kuchen zu servieren! (Leider kann ich‘s nicht zitieren, denn ich muss immer noch mit meinem Hörbuch zurechtkommen, wo ich garantiert die richtige Stelle nie finde.)

Und ich habe mich erwischt gefühlt, denn auch ich bin so erzogen und meine heute noch, immer selbstgebackenen Kuchen anbieten zu müssen, selbst wenn es in absoluten Distress ausartet. Bescheuert, aber vllt. echt ein Einfluss der zeitweisen Kindheit auf dem Lande - bei der Tante wurde nicht nur selbst, sondern auch immer auf mehreren Blechen gebacken, das vergisst man echt nicht.

Das mit dem Grüßen fällt mir in den letzten Jahren übrigens, egal, ob in Stadt oder Land, extrem auf, dass Kinder nicht mehr grüßen, selbst wenn man sie aus der näheren Umgebung oder von Treffen mit Eltern kennt und nett anspricht. Das ist ein Riesenunterschied zu der Zeit, in der ich aufgewachsen bin, ich musste noch „knicksen“ (die Jungs: Diener machen), und wenn die Erwachsenen geredet haben, war Stillsein und ruhiges Warten angesagt. Ich will wirklich nicht sagen, dass das besser war, aber insgesamt wird unbeschwerte Kommunikation mit „Fremden“ schwieriger, und Eltern begründen das oft noch mit Ängsten vor Entführern u.sog.Kinderschändern. Aber auch unter Erwachsenen: alleine der Einkaufswagenchip hat m.E. dazu geführt, dass rund um die Einkaufswagenecke keine Gespräche mehr stattfinden. Früher hat man hier Geldstücke gewechselt, Wagen weitergegeben und getauscht...haltet mich für gaga, aber das war ein kleines „Übungsfeld“ für unverbindliche Verhandlungen und smalltalk - ich arbeite in der Erwachsenenbildung, und bin mitunter verblüfft, wie schwierig gestandene Manager kleine Pausen finden, wo es mal nicht um Berufliches geht. Das gehört in weiterem Sinne auch zu den Veränderungen, die Hansen hier behandelt, so eine Art „Miniflurbereinigung“...fällt mir gerade dazu ein.
 

FrancieNolan

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5. Januar 2019
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Traurig fand ich auch, dass Ella Marrett nicht helfen konnte- warum ist sie so in sich gekehrt?

Naja, sie gehört schon noch zu einer Generation, die es noch nicht gelernt hat, über Dinge zu sprechen, die mit „untenrum“ zu tun haben...ich denke, dass Hansen das mit den Formulierungen, die sie benutzt, andeuten will. Dazu ist sie individuell ein Typ, der Schwierigkeiten hat sich sprachlich auszudrücken. Ich fand das gut geschildert, diese Sprachlosigkeit, und auch die Verzweiflung, als sie überlegt, wie sie es Marrett erklären soll, und dann die negative Bestätigung, als die dann tatsächlich einen Kaiserschnitt braucht.

Aber vllt. gibt es auch noch ein Geheimnis bei Ella, das zur Erklärung beiträgt - könnte ich mir auch vorstellen.

Dass der Lehrer wohl der Vater ist, finde ich ja gar nicht schön...
 

FrancieNolan

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5. Januar 2019
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Auf Seite 136 wurde für mich nochmals deutlich, dass Ingwer auch unter der Einsamkeit leidet, und seine midlife crisis verschärft diese Gefühle zusätzlich, da er stark auf die 50 zugeht. Er vergleicht sich mit seinen Zieheltern und spürt in sich die Defizite. Sein Beziehungsstatus habe nicht noch immer nicht geändert, die Dreiecksbeziehung lebe hoch, und erkennt, dass er vor einer Zweierbeziehung Ängste spürt, die ihm nun bewusst zu werden scheinen. Eigenheim und Ehe haben diese drei Menschen als etwas Perfides, Spießiges empfunden. Ingwer wollte nicht wie die Menschen aus dem Dorf werden, die ihn geprägt hatten ...

[zitat]Er war der Junge, der am Tresen stand, er hatte sie gesehen: Hochzeitstänze, die man seinem schlimmsten Feind nicht wünschte. Er war gewarnt, er wollte dieses Leben nicht. Aber jetzt stand er hier und duschte einen alten Mann, und wusste nicht mehr, was er wollte. [/zitat]
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Gerne würde ich Ingwer zurufen, dass er mutig war, sein Leben selbst zu gestalten und er dazu stehen sollte. Einen Lebenswert findet man zum Beisliel nicht immer in der Familiengründung und auch nicht in den Fußstapfen seiner Angehörigen ... Dass sich Werte verändern bzw. verschieben können, ist normal. Ich hoffe, er findet wieder seinen inneren Frieden ...

Aus meiner Sicht ist das eine ganz typische Entwicklung seiner Generation. Fromm wurde, wenn ich mich nicht täusche, in den späten 70igern massenhaft gelesen und vielfach hat man versucht, eine echte Alternative zur klassischen Kleinfamilie zu finden, auch Ingwer wollte sich nicht so binden, wie es „üblich“ ist (verständlich, nachdem, was er als „Familie“ kennengelernt hat), und ist deshalb mit seiner Alternative zunächst sehr zufrieden. Im Gegensatz zu den anderen Dorfbewohnern hat er immerhin mal etwas anderes ausprobiert, stellt dann aber fest, dass das auch Nachteile hat - nur etwas später als die meisten seiner Generation, die längst in die Familienform zurückgekehrt sind.
Ich bin optimistisch, dass er für sich eine Lösung findet, aber er muss sich nicht nur von seinem Ersatzvater losgelöst haben, sondern auch von seiner WG-Familie emanzipieren. So, wie er sich jetzt bei seiner „Heimkehr“ zeigt, denke ich, dass er das schafft, bin aber auch gespannt, wie es sich weiter entwickelt.
 

Renie

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Dass Marret schwanger wurde, woher wusste sie, dass sie ein Kind erwartet?
Ich glaube nicht, dass ihr bewusst war, dass sie ein Kind bekommt. Da war wohl eher etwas in ihrem Bauch, das dort nicht hingehörte und ihr Angst machte.
Ingwer jedenfalls hat die Zuwendung seiner Familie eingebüßt, als er sich für ein komplett anderes Leben entschieden hatte.
Es fällt mir schwer, von Zuwendung zu reden. Söhnke und Ella wirken dermaßen verschlossen, dass ich mir schwer vorstellen kann, dass sie ihre Zuneigung gegenüber Ingwer gezeigt haben. Er war nun mal Bestandteil der Familie: ein Kind, das man groß ziehen muss - wie es sich gehört. Und dass dieser seinen eigenen Weg geht, ist für Söhnke nicht verständlich, wobei sich Söhnke sicher auch nicht bemüht, es zu verstehen. Er ist nicht der Typ, der versucht, die Motive anderer verstehen zu wollen. Aber letztendlich ändert sich nichts an dem Verhältnis zwischen Ingwer und Söhnken. Wo nichts ist, kann sich auch nichts ändern. Und welche Rolle Ella dabei spielt? Keine Ahnung. Ich bilde mir ein und hoffe, dass sie das tut, was alle Omas bei ihren Enkeln machen: ihn einfach nehmen und lieben, wie er ist, ohne zu hinterfragen.
Aber da sie auch nicht ihre Gefühle zeigen kann, lässt sich das schwierig sagen.
 
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Renie

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Mir gefällt das außerordentlich, was alles in dieserGeschichte drin steckt...dass es eben verschiedene Ebenen gibt, um die es geht, eigentlich sind ja alle Beziehungsebenen abgebildet, die es so gibt, Eltern-Kind (später umgekehrt), Mann-Frau (über verschiedene Generationen und Beziehungsmodelle), dazu Lehrer-Schüler, Pflegebeziehungen...und verschiedene Umwelten und Umwelteinflüsse, die Land und Menschen prägen, angefangen von der Kneipe als „Sozialraum“, Schule, Kirche, über die fremden Flurbereiniger, die Zugezogenen, und dann Ingwers Stadtwelt, die ganz anders ist, aber für ihn ist auch dort alles geprägt durch seine Herkunft als Landkind. Die Szene mit Ragnhilds Schwester fand ich auch sooo köstlich, diese Selbstinzenierung als „Landversteherin“, zum K...eigentlich, und jeder kennt sie;-), ja, wirklich, sogar in Details viel Universelles.
Das geht mir ganz genauso. Anfangs habe ich mir die Mühe gemacht, die einzelnen Themen aufzuzählen. Mittlerweile lasse ich es und genieße einfach diesen Roman und empfinde die einzelnen Themen als Denkanstöße.
 
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FrancieNolan

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Ich glaube nicht, dass ihr bewusst war, dass sie ein Kind bekommt. Da war wohl eher etwas in ihrem Bauch, das dort nicht hingehörte und ihr Angst machte.

Es fällt mir schwer, von Zuwendung zu reden. Söhnke und Ella wirken dermaßen verschlossen, dass ich mir schwer vorstellen kann, dass sie ihre Zuneigung gegenüber Ingwer gezeigt haben. Er war nun mal Bestandteil der Familie: ein Kind, das man groß ziehen muss - wie es sich gehört. Und dass dieser seinen eigenen Weg geht, ist für Söhnke nicht verständlich, wobei sich Söhnke sicher auch nicht bemüht, es zu verstehen. Er ist nicht der Typ, der versucht, die Motive anderer verstehen zu wollen. Aber letztendlich ändert sich nichts an dem Verhältnis zwischen Ingwer und Söhnken. Wo nichts ist, kann sich auch nichts ändern. Und welche Rolle Ella dabei spielt? Keine Ahnung. Ich bilde mir ein und hoffe, dass sie das tut, was alle Omas bei ihren Enkeln machen: ihn einfach nehmen und lieben, wie er ist, ohne zu hinterfragen.
Aber da sie auch nicht ihre Gefühle zeigen kann, lässt sich das schwierig sagen.

Von „Einbuße“ würde ich auch nicht reden. Trotzdem sehe ich die Beziehungen mehrschichtiger, ich denke, es war zunächst so, dass Ingwer halt großgezogen werden sollte, weil Abtreibung einfach nicht in Frage kam und ein Ehemann auch nicht zu finden gewesen wäre. Aber bei aller Sprachlosigkeit des Ehepaares - Gefühle sind ja da, sogar füreinander, und sicher auch für Ingwer. Und, nicht zu vergessen, garantiert Schuldgefühle. Auch wenn das die doofste Art der Gefühle ist, empfinde ich Sicherheit, dass Ingwer auch geliebt werden wird, nur nicht von der eigenen Mutter und leider mit wenig „Ausdruckspotential“ dafür. Aber schon das Ehepaar F. kann ich nicht nur schwarzweiß sehen...man kann nicht gut tanzen mit jemand, mit dem man sich nicht verbunden fühlt...ich bin gespannt, was das Buch im folgenden dazu verrät.

Das Thema „Kind von bildungsarmen Eltern studiert und passt dann nicht mehr in die Herkunftsfamilie“ ist im übrigen auch nicht untypisch, davon können Viele ein Lied singen. Das sehe ich nicht als Frage von Liebe. Nichtsdestotrotz natürlich schade, dass Sören da nicht offener sein kann.

Ich finde man muss einfach sehen, dass die Eheleute zwei zutiefst vom Leben enttäuschte Menschen sind, nicht nur in schwierigen Zeiten, sondern auch noch mit einem „besonderen“ Kind (Marrett) belastet, denn wenn man ehrlich ist, wirkt sie nicht wie der Typ „schlichtes, aber sonniges Gemüt“, sondern genau wie der Typ, von dem du als Eltern auch nie was Positives zurückkriegst. Keine Zuwendung (klar, auch selbst schuld, aber immerhin hat Sören sich bemüht Vater zu sein), keine Schulerfolge, keine anderen Menschen, die dich um das Kind beneiden könnten, im Gegenteil oft Blamagen in der Außenwelt, nix, was an anderen Kindern Spaß macht. Immer nur Ärger und dann noch ein zweites Kind, dass versorgt werden muss.
Ich meine damit nur, dass sie schon besonders gefordert sind - und das bei leider völligem Unvermögen. Wie immer in solchen Fällen macht die Beschäftigung mit den eigenen Problemen und der eigenen unerfüllten Liebebedürftigkeit dann das Liebegeben so schwer. Das zeigt die Autorin für mich gut, ohne die Eheleute nur als „Rabeneltern“ dastehen zu lassen. Jedenfalls kann ich das nicht so sehen.
 

Renie

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Von „Einbuße“ würde ich auch nicht reden. Trotzdem sehe ich die Beziehungen mehrschichtiger, ich denke, es war zunächst so, dass Ingwer halt großgezogen werden sollte, weil Abtreibung einfach nicht in Frage kam und ein Ehemann auch nicht zu finden gewesen wäre. Aber bei aller Sprachlosigkeit des Ehepaares - Gefühle sind ja da, sogar füreinander, und sicher auch für Ingwer. Und, nicht zu vergessen, garantiert Schuldgefühle. Auch wenn das die doofste Art der Gefühle ist, empfinde ich Sicherheit, dass Ingwer auch geliebt werden wird, nur nicht von der eigenen Mutter und leider mit wenig „Ausdruckspotential“ dafür. Aber schon das Ehepaar F. kann ich nicht nur schwarzweiß sehen...man kann nicht gut tanzen mit jemand, mit dem man sich nicht verbunden fühlt...ich bin gespannt, was das Buch im folgenden dazu verrät.

Das Thema „Kind von bildungsarmen Eltern studiert und passt dann nicht mehr in die Herkunftsfamilie“ ist im übrigen auch nicht untypisch, davon können Viele ein Lied singen. Das sehe ich nicht als Frage von Liebe. Nichtsdestotrotz natürlich schade, dass Sören da nicht offener sein kann.

Ich finde man muss einfach sehen, dass die Eheleute zwei zutiefst vom Leben enttäuschte Menschen sind, nicht nur in schwierigen Zeiten, sondern auch noch mit einem „besonderen“ Kind (Marrett) belastet, denn wenn man ehrlich ist, wirkt sie nicht wie der Typ „schlichtes, aber sonniges Gemüt“, sondern genau wie der Typ, von dem du als Eltern auch nie was Positives zurückkriegst. Keine Zuwendung (klar, auch selbst schuld, aber immerhin hat Sören sich bemüht Vater zu sein), keine Schulerfolge, keine anderen Menschen, die dich um das Kind beneiden könnten, im Gegenteil oft Blamagen in der Außenwelt, nix, was an anderen Kindern Spaß macht. Immer nur Ärger und dann noch ein zweites Kind, dass versorgt werden muss.
Ich meine damit nur, dass sie schon besonders gefordert sind - und das bei leider völligem Unvermögen. Wie immer in solchen Fällen macht die Beschäftigung mit den eigenen Problemen und der eigenen unerfüllten Liebebedürftigkeit dann das Liebegeben so schwer. Das zeigt die Autorin für mich gut, ohne die Eheleute nur als „Rabeneltern“ dastehen zu lassen. Jedenfalls kann ich das nicht so sehen.

Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Ich sehe das genauso wie du @FrancieNolan . Nur, weil Söhnke und Ella nicht in der Lage sind, ihre Liebe zu zeigen, heißt das nicht, dass sie keine Liebe empfinden. Ich denke auch, dass sie tief für Marrett und Ingwer empfinden. Sie haben aber leider nie gelernt, dieser Zuneigung Ausdruck zu verleihen.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Nur, weil Söhnke und Ella nicht in der Lage sind, ihre Liebe zu zeigen, heißt das nicht, dass sie keine Liebe empfinden. Ich denke auch, dass sie tief für Marrett und Ingwer empfinden. Sie haben aber leider nie gelernt, dieser Zuneigung Ausdruck zu verleihen.
Genau So!
Wir bekommen ja Einblicke in deren Vergangenheit. Sönke erscheint vom Krieg ja fast traumatisiert zu sein. Er fühlt sich nicht nur verantwortlich für einige Tote auf dem Schlachtfeld, sondern war offensichtlich auch bei der Hinrichtung zweier junger Menschen dabei, was ihn noch immer verfolgt .
Er überlebte das Lager als Knochenmann, kam nach Hause - und die Frau liebt einen anderen, von dem sie auch noch schwanger ist.... Das muss man erstmal verknusen . Dass Sönke in Folge dessen nicht vor Liebe sprühen kann... wundert mich nicht. Dazu die Generation: Schaut eure Großeltern an (meine waren Jahrgang 1912/14): Männer hatten da gar keine Gefühle zu zeigen und Frauen mussten harte Zeiten bestehen, die hart gemacht haben. Für mich sind Ella und Sönke bis jetzt nicht kalt und herzlos. Auf ihre Weise bemühen sie sich redlich. Sie haben den Jungen doch auch ziehen lassen, ihn (finanziell?) unterstützt.

Man muss das Ganze vor dem Hintergrund der Zeit lesen. Damals schoben Männer keinen Kinderwagen. Trotzdem hat Sönke sich den Kleinen auf den warmen Bauch geschnallt. Das war fortschrittlich und mutig, es war ihm egal, was die anderen sagten. Wenn das keine Liebe ist ;)
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ich glaube nicht, dass ihr bewusst war, dass sie ein Kind bekommt. Da war wohl eher etwas in ihrem Bauch, das dort nicht hingehörte und ihr Angst machte.
So habe ich das auch verstanden. Die Veränderung war für sie nicht greifbar, aber lästig und beängstigend. Ich denke, der Drecksack von Kindsvater wird uns nicht bekannt gegeben. Er spielt auch keine Rolle, da er vermutlich nicht aus dem Dorf kommt.
 

FrancieNolan

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5. Januar 2019
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Genau So!
Wir bekommen ja Einblicke in deren Vergangenheit. Sönke erscheint vom Krieg ja fast traumatisiert zu sein. Er fühlt sich nicht nur verantwortlich für einige Tote auf dem Schlachtfeld, sondern war offensichtlich auch bei der Hinrichtung zweier junger Menschen dabei, was ihn noch immer verfolgt .
Er überlebte das Lager als Knochenmann, kam nach Hause - und die Frau liebt einen anderen, von dem sie auch noch schwanger ist.... Das muss man erstmal verknusen . Dass Sönke in Folge dessen nicht vor Liebe sprühen kann... wundert mich nicht. Dazu die Generation: Schaut eure Großeltern an (meine waren Jahrgang 1912/14): Männer hatten da gar keine Gefühle zu zeigen und Frauen mussten harte Zeiten bestehen, die hart gemacht haben. Für mich sind Ella und Sönke bis jetzt nicht kalt und herzlos. Auf ihre Weise bemühen sie sich redlich. Sie haben den Jungen doch auch ziehen lassen, ihn (finanziell?) unterstützt.

Man muss das Ganze vor dem Hintergrund der Zeit lesen. Damals schoben Männer keinen Kinderwagen. Trotzdem hat Sönke sich den Kleinen auf den warmen Bauch geschnallt. Das war fortschrittlich und mutig, es war ihm egal, was die anderen sagten. Wenn das keine Liebe ist ;)

Ööhm, wird das nicht alles erst im nächsten Abschnitt erzählt, oder bin ich jetzt durcheinender? Sorry, hab ja nur das Hörbuch.
Jedenfalls war es tatsächlich so, dass ich Renie etwas missverstanden hatte...und alles, was Du hier schreibst, sehe ich ganz genauso.
 

FrancieNolan

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5. Januar 2019
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Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Ich sehe das genauso wie du @FrancieNolan . Nur, weil Söhnke und Ella nicht in der Lage sind, ihre Liebe zu zeigen, heißt das nicht, dass sie keine Liebe empfinden. Ich denke auch, dass sie tief für Marrett und Ingwer empfinden. Sie haben aber leider nie gelernt, dieser Zuneigung Ausdruck zu verleihen.

Ah, ok, ich hatte im ersten Moment den Eindruck Du könntest das anders meinen, aber dann ging es Dir auch um den Ausdruck, alles d‘accord
 
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milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Das geht mir ganz genauso. Anfangs habe ich mir die Mühe gemacht, die einzelnen Themen aufzuzählen. Mittlerweile lasse ich es und genieße einfach diesen Roman und empfinde die einzelnen Themen als Denkanstöße.

Ich finde auch, dass die Autorin hier viele Themen reingepackt hat. Ich merke, dass ich an der eine oder anderen Stelle auch ins Nachdenken komme und das Buch daher mal zwischendurch zur Seite legen muss. Aber gerade das finde ich toll.
 
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Mikka Liest

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Es gab in diesem Abschnitt mehrere Stellen, die mich bewegen konnten.

Wie sich Ingwer erinnert, dass sein Schulfreund, der jetzt die Line Dance Gruppe leitet, als Kind geprügelt wurde, und kein Erwachsener hier eingegriffen hätte. Was braucht es wohl in Brinkebüll, um von der Ortsgemeinschaft ausgeschlossen zu werden!?, denkt Ingwer doch.
In diesem Dorf wird vornehmlich weggesehen. Auch Maretts Schwangerschaft wurde nicht hinterfragt, bei einem Mädchen dass offensichtlich geistig oder psychisch beeinträchtigt ist.

Die Szene, in der Ella ganz allein im Dunkeln Eislaufen geht, hat mich berührt, diese stille und so einsame Frau. ich habe mich gefragt, ob wohl der Lehrer Maretts Vater sein könnte.

Als Ingwer seinem Großvater bei der Körperpflege hilft und nachdenkt, über das Berührtwerden, den tatsächlichen Körperkontakt, über die Menschen, die Jahrzehnte lang nebeneinander leben und nicht miteinander.

Einsamkeit und Isolation, das sind für mich die großen Schlagworte bislang in diesem Buch. Dabei ist es ganz egal ob man am Dorf oder in der Stadt lebt, so wie Ingwer in seiner Dreier WG


Ich glaube, dieses vereinte Wegsehen gibt es in solchen Dorfgemeinschaften ganz oft. Ach, überhaupt in Gemeinschaften jedweder Art, auch in Sportvereinen oder Ähnlichem.

Ingwer und seine WG, die sind auch eher gemeinsam einsam, oder?
 
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Mikka Liest

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Jetzt, im schon fortgeschrittenen Alter scheint ihm das nicht mehr zu genügen. Das für ihn vorgesehene Leben im Dorf als Gastwirt und vielleicht als Ehemann und Vater wollte er nicht. Aber was dann? Das scheint ihm nicht klar zu sein. In der Welt der Studierten fühlt er sich als Hochstabler und Schwindler (meiner Meinung nach zu unrecht).
Auch er hat Dinge nicht beim Namen genannt, auch er bleibt im Schwebenden wie seine Dorfmitbewohner.

Innerlich hat er den Absprung aus den alten Strukturen wohl nie geschafft... Ist es jetzt zu spät? Kann man das mit 50 noch ändern? Ich bin 42 und schon unsicher, ob ich ganz grundlegende Eigenschaften von mir jetzt noch ändern könnte, wenn ich wollte.

Ingwer ist also in dem Glauben aufgewachsen, dass seine Großeltern die Eltern sind und seine Mutter die große Schwester. Auch hier finde ich ganz toll beschrieben, wie er zuerst nur eine Ahnung hatte, dass da was nicht stimmt, dann den ersten Hinweis und die Wahrheit von dem Schreikind Gönke Boysen erfahren hat.

Sowas Ähnliches ist in meiner Familie passiert. Mein Bruder war in Wirklichkeit mein Cousin – meine Tante war erst 15, als sie ihn bekam, deswegen wurde das Kind einfach meiner Mutter, die schon verheiratet war, weitergereicht.

Wir Kinder wussten das nicht. Meine Eltern haben nie was gesagt, meine Tante hat nie was gesagt... Mein Bruder hat dann aber mal, als er 16 war, alte Schubladen und Kisten durchwühlt und dabei seine Geburtsurkunde gefunden. Hätte ihm das sonst mal irgendjemand gesagt? Ehrlich gesagt bezweifele ich das.

Ich glaube, Kinder werden öfter heimlich von älteren Verwandten großgezogen, als man meint. Obwohl das früher sicher öfter vorgekommen ist als heute.
 

Mikka Liest

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Das habe ich auch gedacht. Wie viel Einsamkeit doch in der Beziehung zwischen Sönke und Ella liegt, unterbrochen nur beim gemeinsamen Walzertanzen - sehr traurige Szene!

Gemeinsam einsam, das ist auch so ein Leitmotiv des Buches. Sönke und Ella, Ingwer in seiner WG, und die Männer, die jeden Abend in der Gaststätte versumpfen, haben bestimmt auch nicht die innigsten Ehen...
 
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