Rezension Rezension (5/5*) zu The Hills: Roman von Matias Faldbakken.

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Buchinformationen und Rezensionen zu The Hills: Roman von Matias Faldbakken
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Ein leiser Zusammenbruch


“The Hills” ist ein (fiktives) Restaurant in Oslo, dessen Geschichte zurückreicht bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts und das sich dennoch durch eine gewisse Zeitlosigkeit auszeichnet. Die Kellner tragen maßgeschneiderte Uniformen und werden zu würdevollem Betragen angehalten, ein Florist beliefert das Restaurant regelmäßig mit dezenten Arrangements, auf einem Mezzanin spielt ein Pianist Abend für Abend sein klassisches Repertoire.

Hier wird Tradition noch großgeschrieben, althergebrachte Werte wie Gewissenhaftigkeit, Verantwortung und Fleiß stehen hoch im Kurs. Dennoch ist “The Hills” auf charmante Art schäbig, angesiedelt im Niemandsland zwischen Stammkneipe und Nobelrestaurant.

Seine Räume werden zur Kulisse für eine Art Kammerspiel ohne Handlung.

Ein namenloser Kellner erzählt von seinem Alltag: eine Ansammlung von Nichtigkeiten, hinter denen sich eine große persönliche Tragik verbirgt. Er hat einen scharfen Blick für die allerkleinsten Details, hält sich fest an ihnen wie an einem Sicherungsseil und fürchtet umso mehr ihre Unbeständigkeit. Er lebt für die Tradition, er definiert sich darüber, er kann nicht umgehen mit einer Zeit, die zunehmend rasanter und oberflächlicher wird.

Er klammert sich an eine idealisierte Vergangenheit, die so vielleicht nur in seiner Vorstellung existiert. Sein Selbstwertgefühl lässt sich von diesem Konstrukt jedoch nicht trennen.

Der ganze Roman ist ein reiner Bewusstseinsstrom, zunehmend ungefiltert, der den Leser immer weiter in die Tiefe trägt. Er enthält viel Kritik an unserem Medienkonsum und unserer Gesellschaft, ohne je plump zu wirken. Der Leser ist so nahe dran an dieser Gedankenwelt, dass sie sich geradezu schmerzhaft authentisch anfühlt.

Dabei passiert nicht viel, von außen betrachtet.
Die Stammgäste kommen jeden Tag um die gleiche Zeit, setzen sich an die gleichen Tische und bestellen die gleichen Speisen und Getränke. Dennoch fragt der Kellner sie jeden Tag wieder nach ihren Wünschen und mimt wohlwollende Wertschätzung. Alle Beteiligten spielen zuverlässig ihre Rolle in diesem Kammerspiel und fühlen sich sicher und wertgeschätzt innerhalb der Routine.

Doch eines Tages bekommt diese Routine Risse:

Ein Stammgast verspätet sich und versucht, mit dem Kellner ein privates Gespräch zu führen, zu dessem blanken Entsetzen. Ein neuer Gast – eine ‘Kindfrau’, gleichzeitig unscheinbar und unwiderstehlich attraktiv – rüttelt an bisher niemals hinterfragten Hierarchien. Der Kellner klemmt sich die Hand ein, bringt Bestellungen durcheinander, ertappt sich dabei, wie er Unsinn plappert, lässt sich verleiten, im Internet zu surfen, und sieht sich gezwungen, auf ein Kind aufzupassen.

Ob dieser unerhörten Vorkommnisse verliert er vollkommen den Halt.

Sein Selbstbild ist untrennbar mit “The Hills” verbunden, deswegen ist jede noch so bedeutungslose Veränderung eine tiefgehende persönliche Krise. Im Grunde schaut der Leser ihm für 240 Seiten dabei zu, wie er langsam daran zerbricht.

Das ist bitterböse, aber irgendwie auch lustig. Und erstaunlich tiefgründig.

Es ist schwer, die Wirkung dieses kleinen Büchleins zu beschreiben – diese ist jedoch ganz erstaunlich für eine Geschichte, in der oberflächlich betrachtet so wenig passiert. Die Gratwanderung zwischen der äußeren Banalität und der inneren Tragödie ist auf jeden Fall eine hervorragende Leistung und entwickelt eine ganz eigene Spannung.

Auch dem Schreibstil gelingt dieser Balanceakt: er ist über lange Strecken so dezent, dass er beinahe langweilig wirkt, aber Matias Faldbakken ist ein Meister der Zwischentöne und des Ungesagten.

FAZIT

Ein Kellner spricht über seinen Arbeitsalltag. Kleinigkeiten verändern sich. Der Kellner gerät völlig aus der Fassung.

So ließe sich die Handlung zusammenfassen, aber das würde der Dramatik der Geschichte nicht gerecht werden. Tatsächlich passiert hier unglaublich viel – wenn auch nur in der Wahrnehmung des Ich-Erzählers, der sich als Teil einer Ära fühlt, die dem Untergang geweiht ist.

Das ist gesellschafts- und medienkritisch, ohne diese Kritik an die große Glocke zu hängen. Und mir hat es auch sehr viel Spaß gemacht.
 
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