Rezension Rezension (4/5*) zu Kindeswohl von Ian McEwan.

KaratekaDD

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13. April 2014
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Neustrelitz
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Buchinformationen und Rezensionen zu Kindeswohl von Ian McEwan
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Schwierige Entscheidung

„In jeder Frage der Sorge für die Person eines Kindes… hat das Wohl des Kindes dem Gericht als oberste Richtschnur zu dienen."
(Abschnitt 1 (a) des britischen Children Act 1989)



Ian McEwan erzählt von Fiona Maye, einer Londoner Familienrichterin. Sie spricht Recht am High Court, Scheidungen, Sorgerecht, Fragen zum KINDESWOHL sind ihr Arbeitsgebiet. Selber haben Jack, ihr Ehemann, und Fiona keine Kinder und momentan hat sich eine Ehekrise angebahnt, denn Jack will noch mal den „großen Kick“. Er macht ihr den schockierenden Vorschlag und verlang die Freigabe für einen Seitensprung. Noch einmal Sex in „wilder Extase“, so wie früher. Er wäre jetzt 59 und da wird es wohl Zeit.

Adam heißt ein gerade noch Siebzehnjähriger, der mit Leukämie und guten Heilungschancen im Krankenhaus liegt. Zwei der notwendigen Medikamente erfordern allerdings Bluttransfusionen, denn die vorgeschlagene Therapie zur Bekämpfung der Leukämie ruft erst einmal eine Anämie hervor. Der Junge und seine Eltern sind Mitglieder einer Gemeinde der Zeugen Jehovas und die empfinden Bluttransfusionen als einen satten Verstoß gegen Gottes Wort.

Es ist die Klinik, die das Gericht anruft, sie will den Jungen retten. Fiona Maye entschließt sich, den schwerkranken Jugendlichen im Krankenhaus zu besuchen, die Zeit eilt. Die Ärzte rechnen bereits in den nächsten vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden mit einer zunehmenden Verschlechterung seines bereits schon von Schwäche und Atemnot gekennzeichneten Zustandes.

Nach dem Besuch fährt sie zurück in das Gericht und spricht ihr Urteil…

* * *

Das ist, wenn man so will, Teil eins. Sie hat zu entscheiden zwischen dem Glauben von Eltern und Sohn, die bisherige Rechtsprechung verlangt, dass der Wille eines fast Erwachsenen zu werten ist wie der eines eben Erwachsenen. In der Tat, Adam ist ein weit entwickelter junger Mann, der die Richterin, Mylady, beeindruckt hat.

Sie kommt aber zu dem Schluss, dass ein Siebzehnjähriger kaum „Gelegenheit gehabt [hat], sich auf dem unüberschaubaren Feld religöser und philosophischer Ideen genauer umzusehen. Es gibt in dieser christlichen Sekte, deren Mitglieder sich selbst – mit Recht, wie manche meinen – als >die anderen Schafe< bezeichen, keine Kultur der offenen Diskussion oder des Widerspruchs. Ich glaube nicht, das A.´s Denken und seine Ansichten ganz und gar seine eigenen sind. Er wurde in seiner Kindheit pausenlos und einseitig einer rigorosen Weltanschauung ausgesetzt und muss daher zwangsläufig von ihr geprägt sein. Es kann nicht seinem Wohl dienen, einen qualvollen, unnötigen Tod zu erleiden und zum Märtyrer seines Glaubens zu werden.“ (Seite 130 f)

KINDESWOHL. Und Adam ist von Rechts wegen doch noch ein Kind. Daher…

* * *

Doch der Besuch im Krankenhaus hinterlässt noch andere Spuren, denn eben die Konfrontation mit anderen Ansichten löst bei dem Jungen noch mehr aus. Er schreibt Mylady, sie lässt die Briefe unbeantwortet, sie hat Recht gesprochen, Zuneigung ist nicht vorgesehen.

Sie fährt mit einigen anderen Richtern quer durch England und spricht in verschiedenen Orten Recht. Sehr interessant – erinnert an die Reisekaiser und Reisekönige die von Pfalz zu Pfalz reisten und dort auch Recht sprachen. England eben. Das Rechtssystem ist sehr traditionell, die Achtung vor den Gerichten ist vermutlich viel größer als bei den Deutschen, die zwar Recht und Ordnung wollen, selbst aber nicht davon berührt sein möchten.
Doch die unmittelbare Vergangenheit holt sie ein. Was wird aus dem Jungen werden? Was wird aus ihrer Ehe?

* * *

Wie weit geht das Recht des Einzelnen? Kann ein noch nicht Volljähriger über sein Leben frei entscheiden? Wie doktrinär sind solche Religionsgemeinschaften oder gar Sekten?

Interessant das Recht des Einzelnen: Jack und Adam, in jedem Fall geht es um das Recht des Einzelnen, völlig unterschiedlich und sicher auch von sehr unterschiedlicher Bedeutung. Beide sind eng verbunden mit der eigentlichen Hauptfigur, die also zweimal schwere Entscheidungen ohne Hilfe von außen zu treffen hat. Nur scheinbar ist die eine leichter als die andere zu treffen. So schnell kommt auch zu moralischen Fragen. Für Außenstehende erscheint die Lösung vermutlich noch einfacher.

IanMc Ewan hat einen sehr guten Roman geschrieben, der die Leserin, den Leser in die Geschichte bannt. Meisterhaft baut er die Spannung des Dramas auf. Der Leser ahnt zwar, dass die Handlung auf ein Drama zusteuert, trotzdem wird sie, wird er vom Ende überrascht.
Mehr allerdings kann hier wirklich nicht verraten werden…

Hier gibt er in einem Interview Auskunft über seinen Roman.

 
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