Rezension Rezension (4/5*) zu The Hunger - Die letzte Reise: Roman von Alma Katsu.

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Alte Legenden im Wilden Westen


HANDLUNG

Die ‘Donner Party’ hat es wirklich gegeben. Dabei handelte es sich um eine Gruppe von Siedlern, die 1846 unter Leitung von George Donner den beschwerlichen und gefährlichen Treck von Illinois aus Richtung Kalifornien in Angriff nahmen – doch eine falsch gewählte Abkürzung, ein früher Wintereinbruch und ein Mangel an Jagdwild führten zur Katastrophe.

Die überlieferten Erlebnisse dieser Siedler bieten auch ohne Ausschmückung schon genug Stoff für eine Geschichte voller Grauen – Alma Katsu fügt dieser Geschichte jedoch noch einen übernatürlichen Aspekt hinzu.

ALTE LEGENDEN IM WILDEN WESTEN

MEINE MEINUNG

Die Handlung verläuft zum Teil bedrückend langsam, sogar schleppend – wie auch die Wagen der unglückseligen Siedler schlecht vorankommen und mehr als einmal ob des Wetters, der unzuverlässigen Wegbeschreibung und der steilen Hänge komplett liegenbleiben. Aber in meinen Augen ist das langsame Erzähltempo keineswegs gleichzusetzen mit Langeweile.

Im Gegenteil: die Autorin, so scheint es mir, setzt dieses Tempo als Stilmittel ganz gezielt ein.
Ein Teil des Schreckens der Geschichte besteht darin, dass die Menschen in Donners Tross ihrer Umgebung hilflos ausgesetzt sind, und diese Hilflosigkeit spürt man als Leser gerade wegen der verhaltenen Geschwindigkeit. Viel der Spannung des Buches baut sich über eine zunehmend dichte Atmosphäre der steigenden Verzweiflung und des gegenseitigen Misstrauens auf. Not und Angst der Charaktere sind fast mit Händen zu greifen.

Als wäre die Bedrohung von außen nicht genug, werden die Menschen des Trosses sich auch noch gegenseitig zum Feind. Mehr als einer bringt eine Vergangenheit mit sich, die nicht gänzlich frei ist von Schuld. Dazu kommt natürlich noch das übernatürliche Element der Geschichte – wobei lange offen bleibt, womit man es hier zu tun hat –, und so verwebt sich alles drei zu einer fatalen Kombination. Die Geschichte wird letztendlich zu einem Abgesang der Hoffnung, mit der die Siedler sich auf den Weg gemacht haben.

Der Horror des Buches ist schleichend und meist eher unterschwellig.
Das wird Fans von blutigem Hardcore-Horror vielleicht enttäuschen, ich persönlich fand die Mischung aus auf Fakten basierender Historie, Wild-West-Abenteuer und Lagerfeuer-Grusel sehr ansprechend.

Ich fand besonders interessant, wie indianische Mythologie in den übernatürlichen Teil der Geschichte eingebracht wird, und die Autorin untermalt das Grauen subtil mit einem Schreibstil voller düsterer, beklemmender Bilder. Das hat mir im Grunde sehr gut gefallen, nur manchmal sind die Rückblicke meines Erachtens etwas unglücklich platziert und unterbrechen den Lesefluss.

Als weiteren Kritikpunkt möchte ich anmerken, dass die ‘Stimmen’ der Charaktere sich sehr ähneln.
Und das, obwohl sie gravierend unterschiedliche Hintergründe haben – Bildung und gesellschaftlicher Status sollten sich eigentlich auch auf ihre Sprache auswirken. Dennoch fand ich die Charaktere durchweg interessant und auch gut gewählt, um diese Geschichte aus verschiedenen Gesichtspunkten zu erzählen.

Besonders die Figur des Edwin Bryant, der Mühseligkeiten und Todesgefahr auf sich nimmt, um die Indianerstämme zu erforschen, fand ich großartig. Er ist einer der wenigen Charaktere, die in den Indianern nicht nur minderbemittelte Wilde sehen. Obwohl der ein oder andere Siedler tatsächlich ins Grübeln kommt, ob das abgenagte Skelett eines kleinen Jungen tatsächlich das Werk von Indianern sein kann, ist doch keiner bereit, sie als gleichwertig anzusehen.

Beispielhaft erwähnen möchte ich auch die gutaussehende Tamsen, der mit sehr viel Misstrauen begegnet wird. Dass alle Männer ihr begehrlich hinterherschauen, muss schließlich Hexerei sein – und da hilft auch nicht, dass sie sehr viel Wissen über Heilkräuter hat.

Das Buch wartet mit einer großen Vielzahl von Charakteren auf, die verschiedenen Handlungsstränge fand ich jedoch gut zu unterscheiden und daher auch nicht verwirrend.

Das Ende hat mich überrascht und das nicht unbedingt im Guten.
Die verschiedenen Stränge der Handlung werden zwar durchaus gut zusammengeführt, aber nach all dem Spannungsaufbau fehlte mir noch etwas – vielleicht eine größere emotionale Wucht, um die ganze Spannung aufzulösen. Das Potential wurde am Ende in meinen Augen nicht komplett ausgeschöpft.

Wie die Dinge letztendlich für die Donner-Party enden, das wusste ich zumindest in Grundzügen. Dennoch konnte ich nicht anders, als mir zu wünschen, die Unglückseligen würden hier und dort andere Entscheidungen treffen, um das Unheil noch abzuwenden…

FAZIT

Im Jahr 1846 begeben sich 87 Siedler, geführt von George Donner, auf einen Treck Richtung Kalifornien. Eine angebliche Abkürzung führt sie in die Irre – mit fatalem Ausgang. Alma Katsu verbindet die historischen Tatsachen, die schon grausig genug sind, mit übernatürlichen Elementen.

Wie sich die Spannung in diesem Buch aufbaut, das nennt man im Englischen manchmal ‘slow burn’: eine schwelende Glut. Obwohl der Spannungsbogen sehr langsam verläuft, konnte mich die Geschichte durch Atmosphäre für sich gewinnen. Ich fand die Mischung aus Historie und Paranormalem interessant und trotz kleiner Schwächen gelungen.
 
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