Rezension Rezension (4/5*) zu Das Versprechen, dich zu finden von Anne Youngson.

parden

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13. April 2014
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49
Niederrhein
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Buchinformationen und Rezensionen zu Das Versprechen, dich zu finden von Anne Youngson
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Ein eindrucksvoller Briefroman...

Tina Hopgood wendet sich im kalten November mit einem Brief an Professor Glob, um sich mit ihm über den Tollund-Mann auszutauschen - eine Moorleiche, die nach Jahrhunderten gut erhalten geborgen und im Silkeborg-Museum ausgestellt wurde. Doch so sehr sich Tina auch immer vorgenommen hatte, endlich nach Dänemark zu fliegen, sie kam über Englands Grenzen nie hinaus. Nun ist sie Anfang sechzig und stellt sich und dem Professor die Frage, weshalb sie den Vorsatz nie in die Realität umgesetzt hat, dem Tollund-Mann einmal von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu treten.

Fast schon wider Erwarten erhält Tina einige Wochen später tatsächlich ein Antwortschreiben - allerdings nicht von Professor Glob, denn der ist bereits 1985 verstorben, sondern vom derzeitigen Kurator des Museums, Anders Larsen. Als Tina sich für die Antwort bedankt, schreibt sie in ihrem nächsten Brief über den Tod ihrer besten Freundin Bella und was dies für sie bedeutet. Wie sich herausstellt, hat auch Anders jemanden verloren, der für ihn immens wichtig war, und so entspinnt sich ein zunehmend lebhafter Briefwechsel. Vorsichtig zunächst, dann aber stets offener und voller Gedanken, die von beiden Seiten lange zurückgehalten wurden.


"Ob Sie mir Ihre Meinung sagen, wenn Sie denn eine Meinung haben, ist weniger wichtig als der Trost, den es mir gegeben hat, das alles mit jemand zu teilen. Ich hätte nie geglaubt, dass das so sein könnte."


Merkwürdig altmodisch mutet dieser Briefwechsel an, und doch erscheint er um so viel wertvoller und behutsamer als die um so vieles schnelleren Kommunikationsmöglichkeiten heutzutage. Ganz bewusst entscheiden sich die beiden Sechzigjährigen, an ihren Briefen festzuhalten, denn die Gedanken brauchen Zeit, um sich zu entfalten, und das Lesen eines Briefes ist um so viel achtsamer als das einer eMail, die häufig nur rasch überflogen wird.

Zwischen Tina und Anders entwickelt sich eine zunehmende Vertrautheit, und sie offenbaren sich Dinge, über die sie mit den Menschen in ihrem Umfeld häufig noch nie geredet haben. Alte Sehnsüchte kommen hoch, das Gefühl verpasster Chancen, ein Überdenken von Lebensentwürfen. Sie bieten sich gegenseitig (und dem Leser) Einblicke in ihr so unterschiedliches Leben - Anders, verwitwet und zwei erwachsene Kinder, arbeitet vorwiegend geistig als Museumskurator und schreibt gerade an einem Buch; Tina dagegen lebt auf einem Bauernhof mit ihrem Mann und ihren drei ebenfalls erwachsenen Kindern und folgt dem Rhythmus der Jahreszeiten, eng verwurzelt mit dem Land und täglich mit den Händen arbeitend.


"Als ich gestern beim Himbeerpflücken war, dachte ich darüber nach, wie die Menschen der Eisenzeit glaubten, nach ihrem Leben noch ein weiteres zu erleben. Wenn ich HImbeeren pflücke, gehe ich so achtsam wie möglich an den Sträuchern entlang und halte Ausschau nach jeder reifen Frucht. Aber so gründlich ich auch schaue, auf dem Rückweg finde ich immer noch Früchte, die ich übersehen hatte, als ich mich den Pflanzen aus der anderen Richtung näherte. Ein zweites Leben, dachte ich, könnte wie eine zweite Runde entlang den Himbeersträuchern sein: Ich würde gute Dinge entdecken, die mir in meinem ersten Leben nicht untergekommen waren..."


All die Gedanken, die auf das Papier strömen, dazu die andere Sichtweise des Adressaten, bieten Anstöße, die ganz allmählich das Hier und Jetzt von Tina und Anders verändern. Es ist schön, den beiden dabei zuzusehen, und auch wenn vor allem zu Anfang die Ausführungen zum Hintergrund der Moorleiche oder auch zum Jahresablauf in der Landwirtschaft recht ausufernd und teilweise auch langatmig erscheinen, hat mich der Roman letztlich in jedem Fall überzeugt. Ich hätte beispielsweise nicht gedacht, dass mich Himbeersträucher und auch Aktentaschen derart berühren könnten. Starke Bilder hat Anne Youngson hier zeitweise kreiert.

Ein leiser Briefroman, dessen Hauptcharaktere sich ganz allmählich in das Herz des Lesers schleichen. Ich denke, dass dieses Buch eher die Generation jenseits der 50 anspricht, denn diese wird sich hier in vielen der geäußerten Gedanken wiederfinden. Für mich eine schöne Entdeckung!


© Parden