Rezension Rezension (4/5*) zu Alles was glänzt: Roman von Marie Gamillscheg.

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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- und doch kein Gold ist.

Eine positive Überraschung, denn Gamillscheg erzählt subtil, in leisen Tönen und aus unterschiedlichen Perspektiven, wie die Menschen in einem Dorf, das am Hang eines Berges, in dem Erz abgebaut wurde, mit dem allmählichen "Niedergang" leben.

Das Bergwerk ist inzwischen stillgelegt und Risse bereits am Rand des Berges auszumachen, wie die Schülerin Teresa, eine der Protagonisten bemerkt. Nur noch wenige Familien leben im Dorf, nachdem ein Journalist den Untergang vorhergesagt hat - da der Berg irgendwann "zusammenbreche":


"Überall Gänge, Löcher. Höhlen. Stollen und Schächte." (8)

"Der rote Knopf im Schaubergwerk funktioniert nicht mehr, und niemand repariert ihn." (7)

Denn niemand besucht das Dorf, außer Merih, dem Regionalmanager, der den Ortskern neu beleben soll. Aus seiner Sichtweise erfahren wir, dass er die Bewohner überreden will, in die verlassenen Häuser um die Ortsmitte zu ziehen. Unterschriften für ein Landschulheim sammelt, das Museum auf Vordermann bringen will. Insofern steht er für einen Neuanfang - sofern dieser noch möglich ist.

Vor seiner Ankunft ist Martin, ein junger Mann aus dem Dorf, aus einer der Serpentinen am Berg geflogen und tödlich verunglückt. Symbolisch steht er für die Zukunft, er sollte Esther heiraten, Teresas Schwester. Eigentlich will Teresa aufs Konservatorium in der Stadt, nun hat sie Angst, dass es Esther sein wird, die den Ort verlässt und das Gleichgewicht stört.

Eine weitere Perspektive ist die Susas, Wirtin der einzigen Gaststätte "Espresso" und heimliche "Herrscherin" über das Dorf. Sie hält am Status quo fest und arbeitet gegen Merih, während "Wenisch", ein ehemaliger Bergarbeiter, die Erfahrung macht, dass er allein, ohne seine Tochter, die in die Stadt gezogen ist, im Dorf nicht mehr zurechtkommt. Er grübelt darüber nach, ob sein Nachbar Martin seinem Leben willentlich ein Ende gesetzt hat.

Die vier Perspektiven spiegeln die unterschiedliche Sicht auf das Dorf wider, das vom Erzabbau gelebt, den Berg dadurch ausgehöhlt hat, so dass sein Ende bevorsteht (?): Status quo, Neuanfang, Flucht und Einsamkeit treffen aufeinander. Im Raum steht die Frage, ob man verantwortungsvoller mit der Natur hätte umgehen können und müssen.

Interessant sind die Einschübe, die die sagenhafte Geschichte der Entstehung des glänzenden Erz erzählt, am Ende bleiben die Serpentinen, die durch den Abbau entstanden sind und die Namen tragen:
Diese bilden jeweils die Kapitelüberschriften, von (0,0) bis (1555,3) zurück zu (0,0), wobei das erste und letzte Kapitel insofern einen Rahmen bilden, da sie aus keiner bestimmten Perspektive erzählt werden.
Die Sprache ist sehr reduziert, Gedanken, Wünsche, Ängste werden angedeutet, die Leser*innen sind gefordert, sich ihren Reim auf die Handlungen der Figuren zu machen - es wird wenig erklärt. Erinnert hat mich der Roman an "Bevor alles verschwindet" von Annika Scheffel, da auch dort ein Untergangsszenario im Vordergrund steht, ein Dorf, aus dem die Bewohner flüchten, da es geflutet werden soll. Auch sprachlich und stilistisch gibt es Parallelen.

Lese-Empfehlung!

 

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