Rezension Rezension (5/5*) zu Der Angstmann: Kriminalroman von Frank Goldammer.

KaratekaDD

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13. April 2014
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Buchinformationen und Rezensionen zu Der Angstmann: Kriminalroman von Frank Goldammer
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Ein Dresdner Kriminalist


Schon einmal hat der Dresdner Frank Goldammer seine Heimatstadt als zerstörte Stadt beschrieben. Während aber FELDWEBEL sich durch eine (fast) menschenleere Stadt bewegte, und der Blogger hier den Weg ohne Stadtplan mitverfolgte, atemlos, stellt er nun fest, atemlos ist etwas Anderes. FELDWEBEL war Sience Fiction, war Fantasy, ein Genre, was Frank gern bediente…

DER ANGSTMANN. Ich gebe zu, da war ein klein wenig Skepsis. Was habe ich hier in den Händen? Wirklich „nur“ einen Kriminalroman, oder ist da noch etwas, etwas, das nicht von dieser Welt ist, vorhanden? Wer oder was mordet sich da durch das von Flüchtlingen überfüllte Dresden Ende 1944, Anfang 1945?

Wer mich kennt weiß, dass ich dem fantastischen Genre nicht übermäßig zugeneigt bin. Dem schreibenden Maler- und Lackiermeister dagegen schon. Wenige Seiten nach Beginn hatte ich die Befürchtung vergessen. Sie kam kurz wieder, verschwand aber auch schnell.

„Wie viel ist ein Menschenleben wert, wenn die Welt in Trümmern liegt?
Der erste Fall für Kriminalinspektor Max Heller.“ (dtv)

Max Heller, Soldat des 1. Weltkrieges, nun Kriminalist in Dresden: Kriminalinspektor. Verheiratet. Zwei Söhne im Krieg. Leben sie noch? Parteilos. Organisationslos. Ein Ausnahmefall, weil die Kriminalpolizei doch in der Hand der sogenannten Schutzstaffel stand. Schwarz uniformiert sein Chef. Dienstgrad Obersturmbannführer.

Heller scheint ein guter Ermittler zu sein. Vorsichtig. Überlegend. Gerufen zu einem grausigen Mord an einer Frau, weitere werden folgen. Besonders extrem einer, bei der das Opfer, dem die Organe förmlich freigelegt wurden, noch lebt… Langsam kommt er auf die Spur des ANGSTMANNES. So wird eine unheimliche Erscheinung von den Dresdnern genannt. Immer wieder wird Heller behindert von Klepp, dem Chef. Abkommandiert an den Stadtrand zur Koordinierung der Flüchtlingsströme aus dem Osten:

„Als er das erste Mal hier im Flüchtlingslager war, war er entsetzt, was für ein Anblick sich ihm bot. Wie aus einer anderen Welt wirkten die Menschen, heimatlos, gejagt, desillusioniert, dreckig, auf die niedersten Instinkte reduziert, ihre Notdurft da verrichtend, wo sie gerade standen, immer vorangetrieben von dumpfer Angst und der Hoffnung, ein großes Übel gegen ein kleineres tauschen zu können.

Und doch waren auch das Landsleute von ihnen, Deutsche, die Frauen mit ihren Kopftüchern genau wie die Männer in Fellstiefeln, zahnlos, halb verhungert, stumpf im Gesicht, ausdruckslos. Vor ihren Wagen hatten sie Klepper gespannt, die nur noch nicht wussten, dass sie tot waren, sonst wären sie auf der Stelle umgefallen.“ (Seite 49)

Fernsehbilder von irgendwo auf der Welt von heute, verlegt an den Stadtrand von Elbflorenz. Noch hat Max Heller einen Ausweg, es ist erst der 18. Dezember 1944.

„Jeden Abend verließ er diese Welt, um zurückzukehren in ein warmes Heim, mit einer warmen Mahlzeit. Tag für Tag mit einem schlimmeren Gefühl der Hoffnungslosigkeit, denn der Strom der Menschen riss nicht ab. Waren ein paar hundert abgefertigt und zu ihrem neuen Bestimmungsort losgeschickt, so kamen hunderte, tausende neue Flüchtlinge nach. Ihre Sprache wurde fremder und der Wille der Einheimischen, sie aufzunehmen, sie als Landsleute anzuerkennen, wurde schwächer und schwächer, denn sie waren Konkurrenten um die wenigen Lebensmittel, um den Wohnraum, um die Kleidung. Die Angst, selbst nicht genug zu bekommen, wurde dafür stärker…“ (Seite 50)

Plötzlich soll er nachts auf Streife gehen. Die Luftschutzalarme berühren kaum. Bis jetzt flogen die Bomberverbände immer vorüber. Der ANGSTMANN macht auch dem Klepp zu schaffen.

Da kristallisiert sich ein Tatverdächtiger heraus. Heller schießt, doch er kann entkommen. Es ist der 13. Februar 1945 und die hier folgenden Seiten sind von einer Eindringlichkeit, dass es einem sprachlos macht. Der Feuersturm, reduziert auf eine Person, auf Max Heller und wenige Begegnungen mit anderen Menschen, die Orientierungslosigkeit, die Hitze, das Gedröhn der Bomber… Heller findet zu seiner Frau, die kurz davor war, sich in ein Feuer zu stürzen, wie sie später erzählt.
Nie las ich so von dieser Bombennacht.

Doch die Angst vorm ANGSTMANN, die ist noch nicht vorbei. So endet der erste Teil.

* * *

16. Mai 1945. Der Krieg ist vorbei. Und der ehemalige Polizist ermittelt weiter. Ohne die Rote Armee geht nichts in der Stadt. Krach, Lärm, Schüsse, betrunkene Soldaten, Flüchtlinge, Vergewaltigungen, Verhaftungen aber auch Lebensmittel und der Aufbau einer Art Verwaltung, das bringt die Rote Armee. Anerkennung erwirbt er sich nach und nach von einem jungen sowjetischen Kommissar. Er kommt dem Mörder näher, gemeinsam mit Alexej Saizev. Gleich wird er ihn haben den ANGSTMANN, er weiß schon, wer er ist. Und doch: Ist er auch der Mörder der Frauen?

* * *

DER ANGSTMANN ist der erste Roman um einen Kriminalisten, der viel, eigentlich zu viel, für einen Menschen gesehen hat. Zwei Kriege. Zerstörung, Wiederaufbau. Vier verschiedene Deutschland. Sein einziger Knacks, das Trauma einer Verschüttung im ersten großen Krieg, es bricht hervor in der Bombennacht und immer wenn er ermittelnd in teils zerstörte Kellerräume muss. Ein aufrechter, ein sehr ehrlicher Mann. Ein Charakter, den die Krimilandschaft schon lange nicht mehr hervorgebracht hat.

„Sind sie ein Nazi? Oder sind sie jetzt Kommunist?“ –
„Ich bin Max Heller.“


Frank Goldammer ist angekommen. Nicht nur auf unserem Blog. Nun erobert er sich die großen Verlage. Hier ist es erstmal der dtv. Wir wünschen ihm weitere solche Erfolge. Er hat es sich schreibend erarbeitet. Mit bereits vielen Büchern. Den Max Heller empfehle ich meiner und eurer Beobachtung. Frank wird mir, so wir uns im November auf der SCHRIFTGUT sehen, hoffentlich viele Fragen beantworten. Vorab kann man hier schon mal ein Interview nachlesen. Und die Schauplätze ansehen.

© Bücherjunge


 
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