Rezension Rezension (5/5*) zu Die Gesichter: Roman von Tom Rachman.

MRO1975

Bekanntes Mitglied
11. August 2018
1.538
3.981
49
48
Leider konnten wir zu diesem Buch keine Daten ermitteln.
Die Gesichter - Gemälde eines Lebens


Die Geschichte beginnt 1955 in Rom, im Atelier des berühmten Malers Bear Bavinsky. Das Atelier ist zugleich Arbeitsplatz des Künstlers und Heim für seinen Sohn Pinch und dessen Mutter Natalie. Pinch ist fünf Jahre alt und vergöttert seinen Vater. Dieser liebt seine Familie auch „wie verrückt“, im Zweifel muss sich die Familie aber seiner Kunst unterordnen. Bear ist ein Egozentriker durch und durch. Alles muss sich um ihn und seine Kunst drehen. Natalie muss ihre eigenen künstlerischen Ambitionen zurückstecken und ihm stundenlang Modell stehen. Pinch wartet oft stunden- oder tagelang, bis der Vater einmal Zeit für ihn hat. Bei einer dieser seltenen Gelegenheiten, zeigt ihm der Vater einige Maltechniken und erzählt ihm von großen Malern der Vergangenheit. Dieses Erlebnis wird Pinch nachhaltig prägen.

Nachdem die Eltern sich getrennt haben, beginnt Pinch zu malen. Er wird von seiner Mutter unterstützt, doch „er sehnt sich nach dem Applaus anderer Leute“ und malt hauptsächlich, um andere (seine Lehrer, Klassenkameraden, seinen Vater) zu beeindrucken. Als Jugendlicher besucht er seinen Vater bei dessen neuer Familie und zeigt ihm sein bisher gelungenstes Werk. Doch der Vater urteilt, dass aus Pinch nie ein Künstler werden würde. Pinch ist desillusioniert, doch seine Bewunderung für den Vater ungebrochen. Deshalb gibt er zwar die Malerei auf, beginnt jedoch ein Studium der Kunstgeschichte, um ein berühmter Kritiker zu werden und so das Werk seines Vaters unterstützen zu können. Seine Pläne gehen jedoch nicht auf.

Der Roman begleitet Pinch auf seinem gesamten Lebensweg und erzählt von den Höhen und Tiefen: Pinch findet an der Universität in Marsden einen Freund, er verliebt sich in Barrows und verbringt mit ihr eine glückliche Zeit. Er erlebt aber auch wie Barrows ihn beruflich überflügelt und er nicht mithalten kann. Er konstatiert: „Ich konnte kein Maler sein, und jetzt darf ich nicht mal Kritiker werden. Ich bin ein Angeber, ein Simulant, ein. (...) Ich werde nie wie mein Vater, weil ich schon immer wie meine Mutter war.“

Die Beziehung Pinchs zu seinen Eltern ist und bleibt schwierig. Seine Mutter Natalie klammert sich an ihn, doch Pinch schämt sich für sie. Seinem Vater eifert er weiter nach, will ihm gefallen und von ihm anerkannt werden. Pinch muss jedoch erkennen, dass er den Wettbewerb um die Gunst seines Vaters zwar gewonnen, der Vater ihn aber nur benutzt hat. Als Bear stirbt vermacht er all seine Werke Pinch und bestimmt ihn wie geplant zum Verwalter seines Lebenswerks. Pinch findet dabei seinen eigenen, vom Vater nicht vorgezeichneten Weg, sich zu verwirklichen.

Der Roman dreht sich zunächst um die Liebe zwischen Kindern und ihren Eltern. Die Eltern-Kind-Beziehung startet mit Vorschusslorbeeren. Kinder lieben ihre Eltern von Anfang an und bedingungslos. Auch Pinch strebt unablässlich nach der Liebe und Anerkennung seines Vaters, obwohl dessen größte Liebe allein die Kunst ist.

Die Kunst ist das zweite große Thema des Romans. Bear ist ein berühmter Maler, er nimmt Pinch mit zu einigen Ausflügen in die Kunstszene. Sie diskutieren darüber (oder vielmehr teilt Bear seine Ansichten mit), was Kunst ausmacht, woran man gute und schlechte Kunst erkennt, welche Charaktereigenschaften ein Künstler mitbringen muss, um erfolgreich zu sein. Dabei wird klar, dass Pinch nach Auffassung seines Vaters vielleicht nicht das Zeug zum Künstler hat, damit aber nicht zwingend ein Urteil über die malerischen Fähigkeiten Pinchs verbunden war.

Stilistisch ist der Roman überaus gut gelungen. Der Stil ist locker und leicht zu lesen. Die Vater-Sohn-Geschichte entwickelt echte Spannung. Die Personen sind detaillreich ausgearbeitet, haben Fehler und Schwächen und sind dadurch sehr glaubhaft. Die Ausflüge in die Kunstwelt fand ich sehr anregend und anschaulich. Daher eine klare Leseempfehlung.