Rezension Rezension (5/5*) zu Der Regengott und andere Erzählungen von Alvydas Slepikas.

parden

Bekanntes Mitglied
13. April 2014
5.855
7.736
49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Vom Dorfleben in Litauen...

Die fünfzehn Erzählungen des litauischen Meistererzählers Alvydas Šlepikas entführen in ein Dorf irgendwo in der litauischen »Provinz«. Mit viel Einfühlungsvermögen und Liebe zum Detail erzählt der Autor aus den verschiedenen Perspektiven seiner Helden in authentischer Weise leicht surrealistisch wirkende Geschichten, die zu fesseln vermögen. Unversehens wird der Leser von dieser nicht ganz alltäglichen Alltagswelt »eingesogen«, der er nur schwerlich wieder entrinnen kann.

Unversehens fühlt man sich in ein anderes Jahrhundert katapultiert, wenn man in die Geschichten dieses Erzählbandes eintaucht. Abgelegen und ruhig, stellt das Dorf eine nahezu abgeschnittene Welt für sich dar, umgeben von Wiesen, Feldern und Wäldern. Hier ticken die Uhren langsamer, wundert es nicht, wenn der Stom ausfällt oder der Schnee das Dorf komplett einschließt.

Unter der nahezu idyllischen Oberfläche der Dorfgemeinschaft lauern Abgründe, die Alvydas Šlepikas sichtbar macht. Trunksucht und Gewalt, Neid und Missgunst, Armut und Gier, Sex und niederträchiges Gerede - der Autor lässt den Leser tief hinter die Fassaden blicken, schafft es aber gleichzeitig, bei allem Pragmatismus, der sich hier durch die Zeilen schlängelt, auch das Anrührende einzelner Schicksale hervorzuheben.

Die Geschichten lassen sich Zeit und vermitteln viel Liebe zum Detail. Die Schilderungen sind präzise und einfühlsam, durchaus auch brutal, bei der Darstellung der Natur jedoch ungemein bildhaft und oftmals poetisch:


"Im Westen rötete sich der HImmel von der untergehenden Sonne, deren Strahlen lange Baumschatten in den bläulichen Schnee ritzten, während zwei silberne Flugzeuge lautlos in die flammende Himmelswunde trieben und weiße Rauchschleifen hinter sich ließen."


Für mich eine wirklich schöne und beeindruckende Entdeckung!


© Parden