Rezension Rezension (5/5*) zu Spur der Steine . Roman . von Erik Neutsch.

Tiram

Bekanntes Mitglied
4. November 2014
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Mein persönliches DDR-Kultbuch


Meine Ausgabe ist von 1964 vom Mitteldeutschen Verlage (Halle/Saale) und ich habe es aus der Bibliothek meines Vaters. Es ist also eines der wenigen Bücher, die schon Jahrzehnte bei mir sind.
Es war damals ein umstrittenes Buch. Ebenso wie später der Film, der nur ein paar Tage im Kino lief und dann verschwand.
Es ist kein typisches Propagandageschwafel – nein, es zeigt die Probleme beim Aufbau des Sozialismus auf. Es zeigt, wie schizophren oft die Vorgaben der Partei waren. Einerseits wurden Pläne vorgegeben, die aber bei der Mangelwirtschaft nicht erfüllt werden konnten, woraus dann oftmals ein Chaos entstand.
Die Geschichte spielt hauptsächlich auf der Baustelle des Chemiekombinates Schkona im Industrie-Dreieck um Halle, Schkopau und Leuna, nachempfunden der beiden großen Chemiekombinate Buna bei Schkopau und Leuna. Hier regiert Hannes Balla mit seiner Brigade. Bei Balla, so heißt es, kann man ordentlich Geld verdienen. Und er sorgt dafür, dass immer Material da ist. Und wenn sie es sich von anderen Brigaden klauen müssen.
Die Strafe dafür folgt auf dem Fuß, als Werner Horrath, seines Zeichens Parteisekretär und noch neu auf der Baustelle, dafür sorgt, dass die Truppe bei der Prämienverteilung leer ausgeht.
Auch Kati Klee, eine junge Ingenieurin, ist neu. Als Frau kämpft sie darum, auf dem Bau anerkannt zu werden.
Horrath, der in Rostock verheiratet ist und zwei Kinder hat, beginnt mit Kati eine Liebesbeziehung, die Kati sehr ernst nimmt. Sie versuchen, sie geheim zu halten, doch ausgerechnet Balla sieht die beiden eines Abends. Diese Bombe möchte er am liebsten platzen lassen, aber er lässt es noch.
Stattdessen stimmt er den neuen Plänen der Partei zu, nämlich eine dritte – die Nachtschicht – auf dem Bau einzuführen.
Auch Ballas Eltern lernen wir kennen, die einen Hof bewirtschaften und sich verzweifelt dagegen wehren, von den Genossenschaften geschluckt zu werden. Die beiden Alten hoffen vergeblich, dass Balla den Hof übernimmt, doch der stellt sich sein Leben anders vor.
Erik Neutsch hat einen schönen Schreibstil. Er versteht es, Figuren zu zeichnen, denen man nahe kommt. Ob das nun Balla ist, Horrath oder die Kati. Aber auch die Nebenfiguren.

Die Geschichte beginnt wohl Ende der 50er Jahre. 1958 wurde beschlossen, die Produktion in diesem Werk zu verdoppeln. Daher auch die Nachtschicht. Und egal, welche Schwierigkeiten es gibt – diese dritte Schicht beginnt im tiefsten Winter – der Parteisekretär Horrath lässt sie nicht gelten. Er verlangt den Männern, aber auch sich selbst, alles ab.Die Liebesgeschichte zwischen Kati und Horrath entwickelt sich zum Problem. Kati möchte, dass er sich offen zu ihr bekennt, möchte mit ihm unter Menschen gehen. Doch er schafft es nicht mal, seiner Frau etwas zu sagen. Sie haben aus Liebe geheiratet, er musste sich ganz schön anstrengen, bis sie das erste Mal mit ihm ausging.

Noch dazu würde er mit der Partei Probleme bekommen, die einen einwandfreien Lebenswandel ihrer Mitglieder fordert.
Kati weiß, dass ihre Mutter nicht damit leben könnte, sollte sie mit einem unehelichen Kind ankommen.
Mit Balla geht mit der Zeit eine Wandlung vonstatten. Nach einem Gespräch mit Horrath kommt er ins Grübeln. Und als er endlich seinen Wartburg bekommen hat, jahrelang hat er dafür jeden Monat zwei- bis dreihundert Mark beiseite gelegt, war das Hochgefühl nicht mehr ganz so hoch. Auch die Eltern wussten nun hundertprozentig, dass sich der Sohn entschieden hat, den Hof nicht zu übernehmen. Der Mutter war das schon länger klar und sie machte ihren Frieden mit ihrem Sohn. Der erlebte nun auch hautnah mit, wie die Genossenschaftsleute versuchten, den Vater zu überreden, sein Land abzugeben. Unter ihnen war auch Horrath.
Das Ende? Kein Schmus, kein Happy-End-Geschnulze. Kein Wunder, dass der Film verboten wurde, zeigt die Geschichte doch auch, wie die Menschen, Parteimitglieder, die also eigentlich an die Sache glauben, am Sozialismus gescheitert sind. Wie ganze Biografien vernichtet wurden.


 
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