Rezension Rezension (4/5*) zu Königskinder: Roman von Alex Capus.

Lynn253

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16. Juni 2018
9
3
4
Virtuos erzählt

Als Tina und Max mit ihrem Auto im Schnee der Alpen steckenbleiben, beginnt Max seiner Frau eine Geschichte zu erzählen. Eine wahre Geschichte, versichert er, die sich tatsächlich so zugetragen habe und ihren Anfang nicht weit von der Stelle nahm, an der sie nun ausharren müssen und auf den Schneepflug warten. Er erzählt von Jakob, einem armen Kuhhirten und von Marie, der Tochter eines reichen Bauern. Im ausgehenden 18. Jahrhundert leben sie im Greyzerland. Detailliert und anschaulich beschrieben wird die bäuerliche Gesellschaft dieser Zeit. Aber auch historische Ereignisse werden geschildert, wie beispielsweise die Folgen des Vulkanausbruchs auf Island im Jahre 1783 oder der Ballonflug der Brüder Montgolfiere.
Später, als es Jakob nach Versailles verschlägt, malt Max mit seinen Worten ein lebhaftes Bild des verfallenden Schlosses. Am Rande tauchen schließlich die Anfänge der Französischen Revolution auf: Einberufung der Generalstände, der Sturm auf die Bastille und der Marsch der Frauen. Aber es ist kein politischer Roman, Jakob und Marie sind von den Entwicklungen nur indirekt betroffen und sie verlassen Frankreich noch 1789. Und für Prinzessin Elisabeth, die als Nebenfigur auftritt, endet der Roman, als sie mit ihrer Familie das Schloss Versailles verlässt.

Wirklich besonders ist die Geschichte in der Geschichte, die geschickte Verknüpfung der beiden Handlungsstränge. Immer wieder unterbricht Tina Max und sie diskutieren über den Inhalt, die Erzählweise oder erörtern Klischees, derer Max sich bedient. Oder auch nicht. So entsteht ein zweiter Blick auf die Geschichte von Jakob und Marie.
Das Fehlen von Kapiteln unterstützt dabei den Eindruck einer am Stück erzählten Geschichte.

Wenn man es genau nimmt besteht der Roman besteht fast nur aus wörtlicher Rede. Die Dialoge zwischen Tina und Max kommen praktisch ohne einleitende Satzteile aus. Einerseits ist es zu Anfang so schwierig, die einzelnen Aussagen dem jeweiligen Sprecher zuzuordnen. Andererseits gleichen ihre Gespräche so tatsächlich einem Schlagabtausch. Den größten Teil nimmt aber Max’ virtuos erzählte Geschichte ein, also jene von Jakob und Marie. Der Stil ist eloquent, trotz seines spontanen Erzählers, des Hinzuerfindens von Details, wenn Tina beispielsweise nach dem Schicksal der Pferde fragt, sind Sprache und Satzstruktur komplex. Und der teils ironische Anklang lässt einen als Leser immer wieder schmunzeln.

Insgesamt also ein sehr schöne zu lesender, wenn auch mit knapp 200 Seiten vergleichsweise kurzer Roman.

 
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