Rezension Rezension (5/5*) zu Eine Liebe, in Gedanken: Roman von Kristine Bilkau.

parden

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13. April 2014
5.857
7.739
49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
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Das Fazit eines Lebens...

Unversehens ist ihre Mutter gestorben, und die Tochter - als namenlose Ich-Erzählerin - löst deren Wohnung auf. Doch geschieht dies nicht Knall auf Fall, sondern über Wochen hinweg, ein behutsamer Abschied. Dabei entdeckt die Tochter in einem blauen Koffer ein Bündel Briefe an ihre Mutter, geschrieben vor zig Jahren von Edgar, der großen Liebe von Antonia.

Durch diese Briefe und durch ihre Erinnerungen an Erzähltes nähert sich die Tochter der Vergangenheit ihrer Mutter an. Tief taucht sie ein in das Geschehen in den Jahren 1964 bis 1967 - einer Zeit im Spannungsfeld zwischen den biederen 50ern und der 68er-Bewegung, die so vieles revolutionierte. Der Roman erzählt schwerpunktmäßig von der Begegnung und der Liebe Antonias (Tonis) und Edgars, führt dem Leser dabei fast nebenher jedoch auch den Alltag und die gesellschaftlichen Zwänge dieser Zeit vor Augen. Jemand wie Toni mit ihren Träumen und dem Freiheitsdrang - ist so jemand unter diesen Bedingungen nicht schon von vornherein zum Scheitern verurteilt?

Die Tochter spürt dem vergangenen Leben ihrer Mutter nach, fragt sich, wie diese als junge Frau war, was sie bewegte, wofür sie kämpfte, weshalb diese so intensive Liebe zu Edgar letztlich scheiterte. Doch findet man auf solch einer Spurensuche wirklich alle Antworten?


"Ich hatte versucht, mir vorzustellen, wer sie als junge Frau gewesen war, wer sie geworden war, doch es konnte ja immer nur ein Ausschnitt bleiben, Geschichten, von mir erdacht. Wie nah ich der Frau von damals und der Frau, die sie geworden war, hatte kommen können, das würde ich nie wissen." (S. 250)


Vielleicht ist es meine persönliche Situation, die dazu führte, dass mir dieser zweite Roman Kristine Bilkaus so nah kam. Selbst ein Kind der 60er Jahre könnte ich besagte namenlose Tochter sein, die im Leben ihrer Mutter forscht, die bereits verstorben ist. 'Da meine Mutter aber ein sehr verschlossener Mensch war, wäre es mir niemals möglich (gewesen), so tief in ihr Leben einzutauchen - aber die Frage, ob sie das Leben gelebt hat, von dem sie träumte, beschäftigt(e) mich auch immer wieder. Ich werde die Antwort darauf nicht mehr finden, doch mag ich die Vorstellung, dass es - ähnlich wie hier - möglich wäre.' Dies schrieb ich im Rahmen der Leserunde, und tatsächlich ist es genau so.

Doch ist es natürlich nicht allein das Sujet des Romans, das mich hier ansprach. Der Schreibstil der Autorin hat mich einmal mehr begeistern können - distanziert und doch auf eine ganz eigene Art berührend, melancholisch und doch kraftvoll, leise und doch eindringlich. Mit einigen wenigen Strichen entstanden bildhafte Szenen lebendig vor Augen, stille Bilder voller Aussgekraft, deutlich aber unaufdringlich. Dachte ich anfangs noch, die wenig große Seitenzahl könnte mich durch die Erzählung rauschen lassen, wurde ich rasch eines Besseren belehrt. Hier verlangt jeder Absatz, jedes Kapitel die uneingeschränkte Aufmerksamkeit des Lesers, denn der Text wirkt nach.


"... die Liebe zwischen Toni und Edgar, die von so kurzer Dauer gewesen war und für meine Mutter doch ein Leben lang gehalten hatte. (...) Ich wünschte mir, diese Zeit der beiden von irgendwoher zurückholen zu können und meiner Mutter zurückgeben zu können. Wie ein verloren geglaubtes Schmuckstück, das immer vermisst und nie vergessen worden war. Hier, das habe ich für dich gefunden, es gehört zu dir." (S. 25)


Das Fazit eines Lebens - mit großem Taktgefühl für seine Figuren taucht dieser Roman ein in das Scheitern einer großen Liebe und in ein gelebtes Leben voller Intensität und Treue zu sich selbst. Für mich ein Jahres-Highlight...


© Parden

 
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