Rezension Rezension (5/5*) zu Auflaufend Wasser von Astrid Dehe.

Tiram

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4. November 2014
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Eine ostfriesische Legende


"Tjark nimmt den Seesack über die Schulter, setzt einen Stiefel auf den Bootsrand. Die beiden Ruderer regen sich nicht. Er zuckt die Achseln, springt auf den Sand. Die Insel muss er nicht sehen, die fühlt er, riecht sie, weiß sie vor sich."

Es ist ein Wintermorgen, der Tag vor Weihnachten im Jahre 1866. Tjark wird nicht erwartet zu Hause, eigentlich wollte er auf dem Festland für die Steuermannsprüfung lernen.
Er hakt seinen Seesack fester über die Schulter und macht sich auf den Weg. Eine Stunde bis Westdorf durch den dichter werdenden Nebel.
Und dann wird er unsicher, läuft wie verirrt kreuz und quer, zählt Schritte, malt Zahlen in den Sand, die sofort vom Wasser verschluckt werden. Und muss sich schließlich eingestehen: "Du stehst nicht am Ostrand der Insel. Du stehst auf einer Plat."

Verschiedene Möglichkeiten gehen ihm durch den Kopf, doch sie sind allesamt nicht durchzuführen. Er kommt hier nicht weg.

"Er muss ausharren, auf den Beinen bleiben, Zeit gewinnen, Zeit für das Unmögliche, eine Zusammenballung von Zufällen, eine Kette von Ereignis und Entscheidung, unwahrscheinlicher als die, die ihn in diese Lage gebracht hat."

Als Leserin bleibt mir nur, mit Tjark mitzuhoffen, mitzuhadern, zu schreien, zu zittern, zu wimmern. Zu sehen, wie er um seine Zukunft, die klar vor ihm lag, gebracht wird. Wie er mit Gott hadert.

Doch dann kommt der Augenblick, wo er mit ihm ins Reine kommen muss.

Ein Taschenbuch, ein Bleistift, ein Halstuch und eine Kiste: Das ist alles, was von Tjark Evers übrig bleibt. Diese Dinge befinden sich im Inselmuseum, das früher ein Zollhaus war, auf Baltrum.
Tjark Ulrich Honken Evers wurde am 21. Dezember 1845 auf Baltrum geboren und er starb am 23. Dezember 1866 im Watt zwischen Langeoog und Baltrum. Durch seinen frühen Tod wurde er in Ostfriesland zur Legende.



 
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