Rezension Rezension (3/5*) zu Moonglow: Roman von Michael Chabon.

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
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Buchinformationen und Rezensionen zu Moonglow: Roman von Michael Chabon
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Von gehäuteten Pferden und einer Zuflucht auf dem Mond...

Während in Deutschland die Mauer fällt, sitzt Michael am Bett seines Großvaters, der in der letzten Woche seines Lebens plötzlich gesprächig geworden ist. Der Enkel erfährt, wie der Großvater einmal seinen Chef fast mit einer Telefonschnur erdrosselt hätte, warum er eine Brücke in Washington in die Luft sprengen wollte, wie er in Deutschland den verhassten Wernher von Braun jagte, warum von Braun und er dieselbe Leidenschaft teilten und wie er nach dem Tod seiner Frau eine neue Vertraute fand.

Eine Familiengeschichte, aber kein Roman im eigentlichen Sinne - so lässt sich das neuste Werk von Michael Chabon wohl am besten zusammenfassen. Und nicht irgendeine Familiengeschichte wird hier erzählt, sondern seine eigene - oder vielleicht doch nicht?


"Beim Schreiben dieser Memoiren habe ich mich an die Fakten gehalten, es sei denn, sie wollten sich einfach nicht der Erinnerung, dem dichterischen Willen oder der Wahrheit, wie ich sie gerne verstehe, beugen. Wo immer ich mir Freiheiten mit Namen, Daten, Orten, Ereignissen, Unterhaltungen oder den Identitäten, Motiven und Beziehungen von Familienmitgliedern und historischen Persönlichkeiten erlaubt habe, sei dem Leser versichert, dass es mit der entsprechenden Hemmungslosigkeit geschah." (S. 11)


Diese Einleitung macht natürlich neugierig. Doch ohne die familiären Hintergründe Michael Chabons zu kennen, wird der Leser letztlich nicht beurteilen können, was an der Erzählung der Wahrheit entspricht und was der Fantasie des Autors entsprungen ist. Der Großvater des Ich-Erzählers steht im Mittelpunkt der Geschichte, es sind im Wesentlichen seine Memoiren, die hier wiedergegeben werden. Dabei fließen jedoch andere Geschichten mit ein - die der Großmutter, deren Erlebnisse während des Zweiten Weltkriegs ihren weiteren Lebensweg beeinflussten und dominierten; die der Mutter, die, gelinde gesagt, eine eher unkonventionelle Kindheit hatte; und die des Ich-Erzählers selbst, wobei seine Person eher im Hintergrund bleibt und versucht, die Bruchstücke der Erinnerungen zu ordnen und zu sortieren.


"Es war selten, dass meine Mutter die Karten der Erinnerung aufdeckte, die ihr der Krieg mit seiner Brutalität zugeteilt hatte, doch wenn sie es tat, schien ihr gesamtes Blatt aus Schuldgefühlen zu bestehen, egal was auf dem Tisch lag." (S. 375)


Bruchstücke - das trifft es wohl ganz gut. Erzählt wird hier nämlich in Episoden, nicht chronologisch, sondern zuweilen fast willkürlich wirkend hintereinander gesetzt, dabei wild zwischen Zeiten, Themen und Personen wechselnd. Dies war oftmals verwirrend beim Lesen - und der Hauptgrund, weshalb ich einfach nicht wirklich in die Erzählung eintauchen konnte.

Der Schreibstil dagegen gefiel mir, anspruchsvoll, voller Metaphern, und die Sätze sorgfältig ausgefeilt; ebenso gefiel mir der teilweise böse Humor, der immer wieder durchblitzte. Auch fand ich einige der angeschnittenen Themen überaus interessant: die Folgen der traumatischen Erlebnisse im Krieg, die Faszination für Raketen und ein mögliches Leben auf dem Mond, die Crux der Vielseitigkeit des Einsatzes neuer Erfindungen und Entdeckungen - doch der ständige Wechsel der Themen, die ausschweifende Beleuchtung einzelner Punkte einerseits und die im Laufe der Jahre teilweise wechselnde Beurteilung dieser Punkte andererseits war für mich letztlich doch anstrengend.


"...wo (...) eine V2 das Rex-Theater mitten in einer Vorführung (...) getroffen und fast tausend Menschen getötet oder verletzt hatte. Das alles konnte man jedoch nicht der Rakete selbst anlasten, dachte mein Großvater, genauso wenig dem Mann, der sie konstruiert hatte, von Braun. Die Rakete war wunderschön. Ein Künstler hatte sie gestaltet, um die Ketten zu sprengen, die die Menschheit fesselten, seit sie sich erstmals der Schwerkraft der Erde und deren Entsprechungen in Leid, Versagen und Schmerz bewusst geworden war. Sie war ebenso ein in den Himmel geschicktes Gebet wie die Antwort darauf: Bring mich fort von diesem furchtbaren Ort! Dieses Vehikel mit einer Tonne Amatol zu bestücken und so zu behindern, dass es nicht ein für alle Mal die irdische Anziehungskraft hinter sich ließ, sondern im Bogen zurück auf die Erde kam und die Menschen dort tötete, wo es auftraf, das war Missbrauch. Als würde man Eiweiß mit einem Rechen aufschlagen, sich mit einem Dolch die Zähne säubern. Man konnte es tun, aber es war pervers." (S. 200)


Den Leser erwartet hier eine melancholisch gestimmte jüdische Familiengeschichte, oftmals unerwartet aufgehellt durch Episoden schwarzen Humors und den lobenswerten Ansatz, letztlich nichts und niemanden zu ernst zu nehmen. Dazu ein ungewöhnlicher Aufbau durch die scheinbar willkürliche Aneinanderreihung einzelner Episoden, was mich allerdings bis zum Schluss auf Distanz hielt. Abgesehen davon jedoch ein beeindruckendes Werk!


© Parden

von: Andrea Heinisch
von: Harald Schneider
von: John Niven
 
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