Rezension Rezension (5/5*) zu Das Mädchen, das in der Metro las: Roman von Christine Féret-Fleury.

LillySjö

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20. Februar 2017
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morgenwald.eu
Leise Tönse und Poesie

Statt einer Widmung:
"Ich habe mir das Paradies immer als eine Art Bibliothek vorgestellt."
Jorge Luis Borgers

Inhalt:
Juliette fährt jeden Tag mit der Metro zur Arbeit. Dabei beobachtet sie die Menschen, genauer gesagt: Die Leser.

Da ist der Mann mit dem grünen Hut, der Insektenbücher liest, die Frau, die immer das Buch auf einer bestimmten Seite zu schläg, die alte Dame mit dem Kochbuch.

Juliette merkte sich, welche Bücher die anderen lasen, erfand Abzählreime, um sie sich zu merken.

Eines Tages stieg sie früher aus der Metro aus und begegnete so Soliman und seiner Tochter Zaïde. Soliman lebte in einem Büro, das von unten bis oben voll mit Büchern ist.

Büchern aus zweiter Hand. Soliman hat eine Mission und fragt Juliette, ob sie ihm dabei helfen will. Dazu fühlt sie sich nicht in der Lage, doch dann passiert ein Ereignis, das ihr Leben verändert.

Meine Meinung:
Mir ging das Buch richtig ans Herz.

Es ist nicht immer leicht zu lesen, denn Juliette macht viele Gedankensprünge. Gerade am Anfang habe ich einen Moment gebraucht, bis ich wusste, wie ich so manches einordnen musste. Die Sprache ist so voll (Bücher)Poesie, was mich sehr berührt hat.

"Sie konnte den Inhalt der Bücher nicht sehen - in denen es von unzähligen Sätzen und Wörtern wimmelte wie in einem Ameisenhaufen -, doch die Bücher durchschauten sie sehr wohl. Sie setze sich ihnen mit Haut und Haaren aus. Erregt leichte Beute, ohne Deckung und ohne Instinkt zur Flucht oder Selbtverteidigung, beim Räuber Argwohn? Aber waren die Bücher überhaupt wie kleine Raubtiere, die nur davon träumten, ihren papierenen Käfigen zu entkommen, sich auf sie zu stürzen und sie zu verschlingen?

Vielleicht. Doch das machte ihr nichts aus. Sie ließ sich nur allzu gerne verschlingen. Diese Lust hielt sich nachts wach, trieb sie im Morgengrauen aus dem Bett und ließ sie noch spätabends beim Licht einer Lampe[...] ausharren[...]".

Ich bin bei französischen Romanen immer ein bisschen skeptisch, da ich finde, dass die Protagonisten oft etwas distanziert dargestellt sind. Das ging mir hier überhaupt nicht so. Die Protagonisten sind sicher leise geschildert, aber voller Herzenswärme.

Ich finde, auch die Botschaft des Buches klingt nur leise heraus und ich frage mich, ob das Buch deswegen so viele negative Kritiken bekommt.

Denn es geht hier um weit mehr, als nur um Bücher.

Es geht um das Leben an sich.

Um die Entscheidung, wie man sein Leben lebt. Um das, was wirklich wichtig ist und wirklich zählt. Um den Mut, seine Ängste zu überwinden. Den sonst kann es manchmal zu spät sein.

Und wenn es dazu auch noch Bücher gibt, was will man mehr?!

"Sollte man eigentlich, überlegte sie, [....] die Länder bereisen, die man durch Bücher lieben gelernt hatte? Gab es diese Länder überhaupt? Das England einer Virgina Woolf war sicher ebenso verschwunden wie das der Orient aus Tausendundeiner Nacht oder das Norwegen von Sigrid Undset. Und das Venedig von Thomas Mann existierte nur noch in den üppigen Bildern von Luchino Visconti. Und Russland... Von den Schlittentroikas, mit denen die Grafen unermüdlich durch die winterliche Steppe fuhren, erblickte man Wölfe, Hütten auf Hühnerfüßen, ganz wie aus Mussorgskys Bilder einer Ausstellung, schier grenzenlose schneebedeckte Weiten, dunkle gefährliche Wälder und Feenpaläste.[...]"

Ich mochte diese Gedankenspiele mit den Buchtiteln sehr.

Fazit:

Durch die Gedankensprünge nicht immer einfach zu lesen und durch die leise Art muss man schon genau hinhören. Es ist kein Buch, was man einfach so wegliest.

Doch für mich hat das Buch Potential, ein Herzensbuch zu werden.

Lieblingszitat:

"Wortschmetterlinge, die in dem überfüllten Metro-Waggon flatterten, bevor sie sich auf Juliettes Fingerspitzen niederließen."


4,5 Sterne

 

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