Dritte Etage

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.167
49
Die Geschichte mit dem Sohn (der verlorene Sohn) fand ich tragisch. Dvorahs Mann konnte seinen Sohn nicht lieben. Vielleicht weil seine Moralvorstellungen zu rigide waren, so dass kein Kind diese einhalten kann. Aber auch Dvorah fühlt sich von dem Säugling abgelehnt. Sie selbst will auch möglichst wenig mit ihrem Kind zu tun haben um sich auf den Beruf konzentrieren zu können.
Der Autor treibt die moralische Verfehlungen des Sohnes auf die Spitze wenn er ihn ausgerechnet eine schwangere Frau totfahren lässt noch dazu unter Alkoholeinfluss. In dem Fall hätte ich auch nicht versucht irgendwas hinter den Kulissen zu drehen um dem Sohn zu "helfen"
Diese Familienkonstellation ist von Anfang an sehr schwierig. Auch hier scheint es kein Schwarz und Weiß zu geben, sondern Grautöne. Der Sohn war von Geburt an ein sehr schwieriges Kind, das die Eltern herausgefordert hat. Dieser Herausforderung waren diese strukturierten, vielleicht auch gefühlsarmen Eltern nicht gewachsen, wodurch die Diskrepanz und die gegenseitigen Enttäuschungen immer größer/mehr wurden. Das gipfelt in dem Unfall mit all seinen Konsequenzen.
Auch wenn der Sohn sich nicht beim Ehemann des Opfers entschuldigen könnte, hat er doch "Buße" getan, indem er sich aus der Welt der Menschen völlig zurückzog... Auch seine künftige Frau warnte er vor dem ersten Kuss: "Lauf weg von mir. Ich bringe Menschen nur Unglück..." (freie Wiedergabe).
Diese Familie hätte auch gute Therapeuten gebraucht, womit wir wieder beim Thema wären... Sehr tragisch. Umso schöner, dass sich Dvorah am Ende befreien kann und auch eine neue Liebe und einen neuen Anfang mit ihrem Sohn findet.
 

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.048
11.068
49
50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Das "Es" als das Triebhafte, Ungebändigte, was einen als zivilisierten Durchschnittsleser schließlich abstoßen MUSS.

Das finde ich sehr einleuchtend. Wer will sich schon mit den Trieben auseinander setzen. Bei Arnon geht es ja auch um den zerstörerischen Trieb, nicht nur um das Sexuelle, die zwei "Grund-Triebe", die uns laut Freud beherrschen. Mich hat gerade seine Aggression so abgeschreckt und befremdet.
 

Helmut Pöll

Moderator
Teammitglied
9. Dezember 2013
6.575
11.113
49
München
Mich hat gerade seine Aggression so abgeschreckt und befremdet.
Bei allem Verständnis für die Sorge um seine Tochter hat mich auch abgeschreckt, dass ihm immer wieder die Sicherung herausspringt und er im Grunde dann unberechenbar ist. Dass Hermann nicht gestorben ist war Zufall und dem rechtzeitigen Einschreiten der Pfleger zu verdanken, nicht ihm. Nicht er hat im letzten Moment ein Einsehen gehabt, sondern hätte es zu Ende gebracht.

Mich beunruhigt auch die Vorstellung, dass so jemand dann vielleicht als Soldat mit entsicherter Maschinenpistole durch die Straßen rennt. Arnon ist in meinen Augen eine tickende Zeitbombe.
 

Anjuta

Bekanntes Mitglied
8. Januar 2016
1.635
4.771
49
62
Essen
Ich lese die Dritte Etage und habe natürlich mehr Freude an Dvorah als an den vorhergehenden Charakteren. Und dennoch: ich bin weiter auf der Suche nach dem Schlüssel zu dem Buch als Roman.
S. 237 gab mir dazu Hoffnung. Drei Etagen werden von Dvorah in den Kontext der Ideenlehre von Siegmund Freud gestellt.
" dass nach Freuds Theorie in der ersten Etage alle unsere Bedürfnisse und Triebe angesiedelt sind, das Es. In der mittleren Etage wohnt das Ich, das versucht zwischen unseren Begehrlichkeiten und der REalität zu vermitteln. Und in der obersten Etage, der dritten, wohnt seine Majestät, das Über-Ich, das uns immer mit finsterer Miene zur Ordnung ruft und von uns verlangt, auch den Einfluss unserer Taten auf das Gemeinwohl der Gesellschaft zu berücksichtigen."
Ist das der Schlüssel zum Zusammenfinden der Drei Teile? Nun ist Freud nicht gerade meine Kernkompetenz. Also habe ich zu Etagen bei Freud und ähnlichem gegoogelt. Und konnte nichts finden; die drei Strukturen der Psyche Es, Ich, Über-Ich hat vielleicht erst Nevo als Etagen/Schichten interpretiert und so ein Haus zusammengebaut. Aber reicht mir das als tragende Idee eines Romans??? Ich habe die Erste und Zweite Etage daraufhin nochmal durchdacht und konnte dadurch kein Mehr in dem Text für mich finden. Freud und eine eventuelle Reise durch seine Psychenstrukturen hilft mir da leider nicht weiter.
Die Geschichte um Dvorah hat ihre guten Momente und interessanten Aspekte, ohne Frage. UNd ich freue mich, dass sie sich von ihrem Mann befreien kann, indem sie ihm per Anrufbeantworter ins Jenseits die Leviten liest. (Das ist schon wirklich ein Einfall des Autors, der meinen Applaus erhält.) Aber es wird für mich immer noch kein Schuh draus. Und viel über die israelische Gesellschaft habe ich dann doch leider auch nicht erfahren. Es bleiben für mich vor allem jede Menge lose Enden.

Bis zu meinem Fazit und der Rezitation lasse ich noch ein paar Tage verstreichen.
 

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.048
11.068
49
50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Und konnte nichts finden; die drei Strukturen der Psyche Es, Ich, Über-Ich hat vielleicht erst Nevo als Etagen/Schichten interpretiert und so ein Haus zusammengebaut
Freud hat es zwar nicht als Etagen dargestellt, aber Es- Ich- Über-Ich werden in Darstellungen immer übereinander gesetzt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Strukturmodell_der_Psyche

Das Es- als Unterbewusstsein ist unsichtbar nach außen und uns selbst verborgen. Bestimmt von den Trieben Lust und Zerstörung, das Ich ist die Identität, das Selbst, das sich im Laufe des Lebens ausbildet. Es ist das, was andere wahrnehmen, wenn wir interagieren. Das Über-Ich, auch Gewissen, ist geprägt von den Normen, die wir von Eltern, Peer-Groups etc. verinnerlicht haben.
Bin auch keine Expertin, aber da ich gerade Kafka-Erzählungen in der Schule :oops: besprochen habe und dort der psychoanalytische Ansatz als eine mögliche Deutung herangezogen wird, kann ich den "Überbau" nachvollziehen (Beitrag oben ;) )
 

parden

Bekanntes Mitglied
13. April 2014
5.835
7.675
49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
So, nun habe auch ich den Roman beendet und hier alle bisherigen Mitteilungen sorgfältig durchgelesen. Ich schließe mich der Mehrheit an: die dritte Etage war lesenswert, und auch für mich hätte dieser Teil der Erzählung als Roman vollkommen gereicht. Etwas ausgeschmückt, hätte mir diese Geschichte allein sehr gut gefallen.

Die Idee mit Freuds Es - Ich - Über-Ich als Grundlage einen Roman zu schreiben und das in Form eines mehrstöckigen Hauses finde ich für sich genommen interessant und innovativ. Die Ausgestaltung allerdings mit den drei doch recht isoliert stehenden Geschichten fand auch ich nicht überzeugend. Die ersten beiden Erzählungen fand ich bestenfalls verstörend - bei der ersten verspürte ich beim Lesen oft einen richtigen Widerwillen.

Den Einblick in die heutige israelische Gesellschaft fand ich interessant, hier wurden ja tatsächlich verschiedene Aspekte beleuchtet. Die ständigen Verweise auf die Psychologie allerdings halte ich für eine sehr persönliche Note des Autors, der ja selbst mal Psychologie studiert hat.

Ich muss das Ganze jetzt auch erst einmal sacken lassen und schreibe dann wohl am Wochenende eine Rezension zum Buch. Trotz der überzeugenden dritten Etage werden es in der Summe bei mir aber nicht mehr als drei Sterne...
 

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
4.294
10.424
49
49
Mir persönlich hat die dritte Etage am besten gefallen. Hier erfahre ich als Leser einiges aus dem Leben der pensionierten Richterin. Ihre Gefühle bezüglich ihres verstorbenen Ehemannes und auch über das Zerwürfnis mit ihrem Sohn. Die Geschichte drumherum war auch sehr anrührend. Nur die Erklärung des Seelenhauses und das Supergo war mir denn doch zu viel, hätte ich so nicht gebraucht.
Die Szene mit Chani brachte der Richterin sehr viel, aber auch Chani hat sie durch die Bestätigung jemanden in der Wohnung gesehen zu haben, eine große Last genommen. Der kurze Hinweis auf Arnons Streit war leider nicht allzu aussagekräftig, es sei denn man wertet die Tatsache, dass seine Frau ihn noch nicht rausgeworfen hat als positiv.....
Ich werde den Roman erstmal sacken lassen, bevor ich eine Rezension schreibe muss ich nochmal etwas nachdenken, denn ich bin mir bei diesem Buch wirklich unschlüssig.
 

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
4.294
10.424
49
49
Nun habe ich mir auch eure Beiträge angesehen, und auch der Link ist wirklich sehr informativ und lässt eine andere Sicht auf alles zu. Dem Forum sei dank, was würde ich nur ohne Euch machen? :):)Diese Sicht der Dinge leuchten im Nachhinein ein, wenn man es aus diesem Blickwinkel betrachtet, hätte nicht erwartet, dass mich hier freudsche Lehren erwarten in diesem Roman "Über uns"
 
  • Stimme zu
  • Like
Reaktionen: parden und Leseglück