Rezension Rezension (5/5*) zu Lied der Weite von Kent Haruf.

parden

Bekanntes Mitglied
13. April 2014
5.857
7.739
49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Menschlich, eindringlich, berührend...

Holt, eine Kleinstadt in Colorado, ist der Schauplatz des Geschehens, das Kent Haruf hier vor den Augen des Lesers ausbreitet. Ländlich die Umgebung, karg die Landschaft, spielend etwa in den 60er oder 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, agieren hier nur ein paar wenige Figuren.

Victoria beispielsweise, eine 17jährige Schülerin, wird von ihrer Mutter rausgeschmissen, als diese bemerkt, dass ihre Tochter schwanger ist. Weil ihr nichts anderes einfällt, sucht Victoria in ihrer Not ihre Lehrerin Maggie Jones auf, die das Mädchen zunächst bei sich schlafen lässt. Doch Maggie betreut auch ihren dementen Vater, der durch die ihm fremde Schülerin sehr in Aufregung gerät. Und so kommt Victoria schließlich auf einer Kuhfarm abseits der Stadt unter, bei den zwei alten McPheron-Brüdern. Die beiden leben seit dem Tod ihrer Eltern alleine auf der Farm und wissen nicht so recht, wie sie mit der veränderten Situation umgehen sollen. Doch schwangere Mädchen und trächtige Kühe - ist das nicht irgendwie ähnlich?

Maggie Jones Kollege Tom Guthrie hat seine ganz eigenen Probleme. Seine schwer depressive Frau verlässt die Familie und lässt ihn mit ihren beiden Söhnen Ike und Bobby allein zurück. In der Schule gibt es Schwierigkeiten mit einem aufsässigen Schüler, und so ganz nebenher muss Guthrie nun den Haushalt alleine schmeißen und für die beiden Kinder da sein. Die beiden 9- und 10-jährigen Jungen sind nun oft auf sich alleine gestellt und machen dabei nicht nur angenehme Erfahrungen...

Durch einen stetigen Wechsel der Perspektiven bringt Kent Haruf dem Leser behutsam die Charaktere näher, verflicht ihre Geschichten miteinander und webt daraus eine leise Geschichte der Begegnungen. Der Schreibstil ist dabei eher sachlich und fast nüchtern, so dass die Erzählung nie ins Kitschige oder Dramatische abzugleiten droht. Und doch wuchsen mir die Figuren beim Lesen zusehends ans Herz, und von Anfang an hatte ich das Gefühl, als sei die Szenerie von einem goldenen Licht durchflutet, das selbst Schrecknisse warm zu beleuchten vermochte.

Kent Haruf zeichnet hier beileibe keine heile Welt - hier hat jeder sein Päckchen zu tragen und kommt mit den Widrigkeiten des Lebens in Berührung. Doch ist die Erzählung durchdrungen von etwas Hoffnungsvollen, das hinter den Schrecknissen einen neuen Weg ahnen lässt und das in den Begegnungen auch der Einsamkeit im Leben entgegentritt.

Für mich meine erste Begegnung mit einem Roman des leider bereits verstorbenen Kent Haruf - aber ganz sicher nicht die letzte. Dieses Buch gehört in jedem Fall zu meinen Lesehighlights in diesem Jahr!


© Parden