Rezension Rezension (3/5*) zu Der Todesmeister von Thomas Elbel.

parden

Bekanntes Mitglied
13. April 2014
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49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Buchinformationen und Rezensionen zu Der Todesmeister von Thomas Elbel
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Willkommen im Grand Guignol...

Das Grand Guignol war von 1897 bis 1962 ein einzigartiges Theater in Paris, spezialisiert auf Horror. Als Vorläufer beispielsweise der Splatter-Filme der Moderne wurden dort auf der Bühne sehr realistisch inszenierte Gräueltaten aufgeführt, bei denen durchschnittlich jeden Abend zwei Zuschauer in Ohnmacht fielen. Das Grand Guignol dieses Thrillers jedoch ist anders. Sich an den alten Stücken orientierend, werden hier in Filmen grauenhafte Szenen nachgestellt - doch nicht als Schauspiel, nicht als Fake - sondern live und in Farbe im Darknet. Es. Ist. Alles. Echt.

Die Videos zeigen junge Frauen, die grausam gefoltert und zu Tode gequält werden und erfreuen sich im Internet zunehmender Beliebtheit. Und dem Täter scheinen die Ideen nicht auszugehen. Doch als die Leiche der Nichte des Berliner Justizsenators mit furchtbaren Spuren der Misshandlung auftaucht, setzt sich der Polizeiapparat in Wallung. Um gleich wieder zu stoppen. Der Täter scheint gefunden zu sein, die Aktendeckel werden nur zu rasch wieder geschlossen, und Viktor von Puppe und seine Kollegen vom Berliner LKA werden aufgefordert, sich dem nächsten Fall zuzuwenden. Doch die Ermittler glauben nicht an diese einfache Lösung - zu viele Ungereimtheiten verlangen nach Aufklärung. Doch wie soll das gehen - gegen den Widerstand der Obrigkeit? Von Puppe ahnt: hier ist etwas faul!

Viktor von Puppe wird gleich an seinem ersten Arbeitstag beim LKA mit diesem haarsträubenden Fall betraut. Dabei ist er gar kein gelernter Ermittler, sondern wurde vom Innenministerium als Leihgabe zur Verfügung gestellt. Zum Glück kann er auf die Unterstützung zweier versierter Kommissare vertrauen: Kenji Tokugawa (er hat asiatische Wurzeln) und Begüm Duran (sie ist türkischstämmig und alleinerziehende Mutter einer kleinen Tochter). So unterschiedlich die drei auch sein mögen - und jeder hat da sein eigenes Päckchen zu tragen -: das Engagement für diesen undurchsichtigen Fall ist ihnen gemein. Trotzdem würde ich sie nicht als Team bezeichnen, sondern eher als 'Einzelkämpfer', die gelegentlich miteinander kooperieren. Die Zusammenarbeit ist auch nicht nur von Sympathie getragen, doch der Einsatz auch füreinander wird dadurch nicht getrübt.

Neben diesen drei Ermittlern hat Thomas Elbel noch ein ganzes Arsenal an interessanten Charakteren geschaffen. Vereinzelte Rückblenden beleuchten beispielsweise den Täter, einen durch Kindheitserlebnisse schwer traumatisierten Psychopathen. Daneben tauchen noch eine sexuell sehr freizügige und experimentell veranlagte Rechtsmedizinerin auf, ein transqueer lebender Informatiker, ein homosexueller LKA-Chef, ein ehemaliger Nazi u.v.m. Eine bunte Mischung also, die ich zunächst als erfrischend erlebte, die dann für mich jedoch zunehmend in Klischees abdriftete, was ich sehr bedauerlich fand. Aber da dieser Band der Einstieg in eine Reihe um Viktor von Puppe sein soll, haben die Charaktere in den kommenden Folgen noch Möglichkeiten der Entfaltung...

Der Fall selbst bietet viele interessante Facetten, und gerade die Tatsache, dass die Obrigkeit den Aktendeckel schneller zu schließen versucht als von Puppe 'Piep' sagen kann, versprach spannende Ermittlungen. Leider empfand ich die Handlung insgesamt eher als zerfasert, und selbst am Ende, als sich die Handlungsstränge grob verflechten, hatte ich nicht das Gefühl eines zufriedenstellenden Ganzen. Zudem waren die Schilderungen einiger Szenen für mich - trotz großer Thrillererfahrung - doch grenzwertig. Die Darstellung grausamer Folterhandlungen bescherte mir jedenfalls manchmal ein 'Zuviel' an Kopfkino, so dass ich hier nur wohldosiert lesen konnte. Für mich gilt nach wie vor: Thriller ja, auch mit blutigen Szenen, Horror nein. Und dieser Thriller bietet eben mit seinem 'Grand Guignol' Thema eine Gratwanderung...

Der Schreibstil war flüssig zu lesen, stieß mir punktuell aber auf, da er z.T. sehr überzeichnet umgangssprachlich geriet. Allerdings bildete gerade die flapsige Art des Kollegen Kenji Tokugawa und der zwischendurch aufblitzende Humor einen erholsamen Kontrast zu den grausamen Szenen. Ein paar unlogische Details und nicht immer gelungene Kürzungen durch das Lektorat bildeten kleine Stolpersteine in diesem ansonsten vielversprechenden Thriller-Debüt des Autors.

Jedenfalls freue ich mich trotz der genannten Schwächen auf eine Fortsetzung der Reihe - ein paar Fragezeichen hat der Fall schließlich zurückgelassen. Und deshalb werde ich Ausschau halten nach Band 2!


© Parden

 

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