Rezension (5/5*) zu Eine Ehe in Wien: Roman von David Vogel.

Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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München
Buchinformationen und Rezensionen zu Eine Ehe in Wien: Roman von David Vogel
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Häuslicher Pschoterror

Rudolf Gortweil ist ein junger Mann, der in Wien Mitte der 1920er Jahre lebt. Er ist Jude, mittellos und träumt von einer großen Karriere als Schriftsteller. Zwar hat er schon einige kleinere Achtungserfolge vorzuweisen, der große Durchbruch mag sich aber nicht einstellen. Dazu ist Gordweil einfach mit zu wenig Ehrgeiz bei der Sache. Er schreibt nur gelegentlich und nimmt jede Ablenkung, die sich bietet, dankbar an. So ist er natürlich immer knapp bei Kasse. Weder bringt ihm die Schriftstellerei zufriedenstellende Einkünfte, noch bemüht er sich um eine andere Arbeit. Er lebt in einfachsten Verhältnissen und rettet sich von Tag zu Tag, indem er sich bei Freunden und Bekannten kleinere Summen borgt.

David Vogel stellt uns mit Rudolf Gordweil einen melancholischen, antriebslosen und unentschlossenen Menschen vor, bei dem es so etwas wie einen Lebensplan nicht einmal in Ansätzen gibt. Über das Stadium der Träumerei und der grandiosen Fantasien geht nie etwas hinaus. Irgendwie kann man sich für Gordweil keine Zukunft vorstellen. Eine Familie gründen und ernähren? Wie soll das gehen?

Da lernt er durch Zufall, während er mit Freunden im Kaffeehaus sitzt, die Baronin Thea von Tako kennen. Wenn es jemals eines Beweises für das Sprichwort bedurft hätte, dass Gegensätze sich anziehen, dann wird er hier erbracht. Thea kommt aus gutem Hause, wenn auch verarmt, ist herrisch, durchsetzungsstark und macht sich im Grunde niemals Gedanken über andere.

"Ich für mein Teil verzichte auf Erbarmen. Ich brauche es nicht. Und ich bemitleide auch kein Geschöpf auf der Welt. Dieses Empfinden fehlt mir, Gott sei Dank, völlig”, lässt Vogel sie einmal sagen. Der schwache Rudolf Gortweil verfällt ihr. Sie heiraten, gründen eine Familie und bekommen ein Kind. Für die Warnungen, die es aus dem Freundeskreis gibt, ist Rudolf taub. Aber mit der Verbindung des hilflosen Rudolf und der herrischen und grausamen Thea nimmt das Unglück seinen Lauf. Sie verachtet ihren Ehemann, beschimpft ihn, schlägt ihn sogar, während er alle Demütigungen lethargisch hinnimmt. Selbst ihr eigenes, noch völlig hilfloses Baby ist Thea einerlei.

David Vogel gelingt es durch eine präzise Sprache und subtile Beobachtungen nach und nach eine beklemmende Atmosphäre aufzubauen und die Hölle einer Ehe zu schildern, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist, weil beide zu einer Verbindung nicht fähig sind. Selten werden in einem Roman häuslicher Psychoterror und menschliche Schwächen so eindringlich geschildert wie bei dieser Ehe in Wien. Aber wie kann so etwas enden? Nur so, wie Vogel es geschildert hat: in der Katastrophe.

 
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