Genre Genreleserunde Gegenwartsliteratur - ab 15.01.18

Buchplauderer

Bekanntes Mitglied
25. Januar 2015
1.725
3.330
49
64
Bin noch zu sehr mit meinen Weihnachtsgeschenk-Büchern beschäftigt!
Aber ich wünsche allen viel Freude. Natürlich werde ich immer wieder mal schauen, was Ihr so lest!
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.247
49.163
49
Im Rahmen meiner Booker Preis Challenge habe ich mir den Gewinner von 1999 vorgenommen:
Buchinformationen und Rezensionen zu Schande: Roman von J.M. Coetzee
Kaufen >

Das ungekürzte Hörbuch wird von Christian Brückner vorgetragen, der ein unglaubliches Talent hat, Inhalt und Stimmungen wiederzugeben.

Der Literaturprofessor David Lury ist 52 Jahre alt (in dem Buch gewinnt man den Eindruck, als sei das Leben da fast vorbei - Oh Schreck:eek:). Nachdem seine Lieblingsprostituierte ihren Beruf gewechselt hat, braucht er einen neuen Kanal für seine Bedürfnisse und beginnt eine Affäre mit einer 20-jährigen Studentin. Tatsächlich wird der Eindruck vermittelt, als würde diese dem nicht aus völlig freien Stücken zustimmen, sie wirkt befangen...

Nach kurzer Zeit fliegt dieser "Missbrauch von Schutzbefohlenen" auch auf und Lurie muss sich verantworten.

Der Text erinnert mich ansatzweise an Stoner, das könnte aber auch dem Vorleser geschuldet sein. Auch "Der menschliche Makel" von Philip Roth hatte ein ähnliches Thema. Bislang empfinde ich das Buch als sehr amerikanisch. Hört nur den ersten Satz:
[zitat]Für einen Mann seines Alters, zweiundfünfzig, geschieden, hat er seiner Ansicht nach das Sexproblem recht gut im Griff[/zitat]
Ich meine, dass amerikanische Autoren mit den Themen Sex, Homosexualität, Missbrauch etc. ganz anders umgehen als deutsche oder europäische Schriftsteller. Viel direkter, und das obwohl man in den USA doch viel puritanischer in vielerlei Hinsicht ist.
Ist euch das auch schon aufgefallen?
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.247
49.163
49
Buchinformationen und Rezensionen zu Schande: Roman von J.M. Coetzee
Kaufen >
David Lurie hat die Schuld auf sich genommen für die Affäre mit der Studentin. Seine Ex-Frau hat kein Verständnis. So reist Lurie zu seiner etwa 25-jährigen Tochter auf eine einsame Farm. Dort arbeitet er, pflegt ihre Hunde, hilft in einer kleinen Tierztpraxis - wie die Tochter hofft, auch zu Therapiezwecken.
Dann geschieht ein schrecklicher Überfall...

Lurie ist ein Macho: er ist der Meinung, dass Männer ihre Triebe nicht unterdrücken müssen sollten. Frauen, die sich nicht herausputzen oder übergewichtig sind, verachtet er. Paradoxerweise ist seine Tochter lesbisch und verhüllt ihre füllige Figur unter "Sackleinen".... Eine Reaktion auf diesen Vater? Eine höchst interessante Hör-Lektüre.
 

Xirxe

Bekanntes Mitglied
19. Februar 2017
1.629
3.496
49
Das Buch hört sich richtig gut an, fristet aber in meinem Regal 'noch' ein Schattendasein. Mal schau'n, wie lange noch...

Mit meinem aktuellen Buch kann ich mich hier eigentlich auch einklinken
Buchinformationen und Rezensionen zu Die Kieferninseln: Roman von Marion Poschmann
Kaufen >
Es war auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises im letzten Jahr - ich bin gespannt! Heute Abend werde ich damit beginnen.
 
  • Like
Reaktionen: Sassenach123

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.247
49.163
49
ich bin gespannt!
Also ich bin es auch!
Ich habe das Buch mal zu lesen begonnen, habe meine Eindrücke hier auch irgendwo niedergelegt, nach fast der Hälfte hatte ich fertig.
Aber ich habe auch null Interesse an Japan... Ich denke, dir könnte es schon gefallen, bist schließlich breiter aufgestellt :D
 
  • Like
Reaktionen: Xirxe

Xirxe

Bekanntes Mitglied
19. Februar 2017
1.629
3.496
49
Die Geschichte ist wirklich recht verhalten, einen Spannungsbogen gibt es praktisch nicht und die Hauptfigur Silvester ist ein doch recht dröger Mensch. Aber dass ausgerechnet er einem suizidalen jungen Japaner wieder zu Lebensmut verhelfen will, gibt dem Ganzen eine ziemlich humorvolle Note. Denn Vieles, was er ihm vorwirft, verkörpert er selbst in Vollendung.
Zudem erfährt man einiges Neues über Japan, beispielsweise den Selbstmordwald, den es tatsächlich gibt. Und auch der Fuchs taucht hier auf, der ja bereits in Christine Wunnickes Romantitelgebend war.
 
  • Like
Reaktionen: Literaturhexle

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.247
49.163
49
Zudem erfährt man einiges Neues über Japan, beispielsweise den Selbstmordwald, den es tatsächlich gibt.
Das dachte ich mir und ich fand das auch spannend. Aber der Rest hat mich so gar nicht berührt. Beide Figuren hatten nichts. Ich lese zu langsam u d habe zu viele gute Bücher hier. Da höre ich dann einfach mal auf, denn Lesezeit ist Lebenszeit:)
 
  • Like
Reaktionen: Tiram

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.247
49.163
49
Buchinformationen und Rezensionen zu Kirchberg: Roman von Verena Boos
Kaufen >
Kirchberg ist ein sehr bewegendes und sehr gut geschriebenes Buch.
Eine Frau, ich denke so um die 50 Jahre alt, hatte in Berlin gelebt, kommt aber nach einem erlittenen Schlaganfall zurück in das schwäbische Dorf Kirchberg. Dort ist sie bei ihren Großeltern aufgewachsen, weil die Mutter sie nicht wollte.

Hanna hat eine gute und eine schlechte Körperhälfte, möchte so gern allein in dem alten Haus zurecht kommen...
Es sind Sätze wie dieser, die mich aufhorchen lassen:
[zitat]Sie sieht ihr Haus über sich. Teil einer uralten Bebauung des Dorfkerns und für sie doch mit der einsamen Aura einer Trutzburg, ein Haus wie ein Leben, Anbauten und Ergänzungen, Flickwerk und Reparaturen, und nun jahrelang der Zeit überlassen.[/zitat]
Zwischendrin Sprünge in die Vergangenheit. Sehr gut bislang!
 
  • Like
Reaktionen: Xirxe und Tiram

Tiram

Bekanntes Mitglied
4. November 2014
3.569
4.589
49

Einar Már Gudmundsson erzählt hier mit einfachen Worten und doch sprachgewaltig in kurzen Kapiteln die Geschichte seiner Großeltern und ihrer zehn Kinder. Vom Großvater, der seinen Freund Gunnar auf dem Meer verloren hat. Von der Großmutter, die glaubt, dass, wenn Menschen nicht an etwas Wichtiges glauben, sie langweilig werden.
Zuerst haben sie noch eine Wohnung, doch als das fünfte Kind unterwegs ist, werden sie vom Vermieter rausgeschmissen und hausen ab nun in einem Kellerloch. Ihr Hab und Gut passt in einen Handwagen von Urgroßvater.
 

Tiram

Bekanntes Mitglied
4. November 2014
3.569
4.589
49
Im Winter war es hier unten so kalt, dass sie jeden Tag den Schnee vom Fenster schaufeln und die Scheiben innen abkratzen mussten, damit überhaupt Licht hereinkam.

"Um ihre Kinder in der Kälte zu wärmen, versuchte Großmutter sie einzupacken, so sehr sie konnte, und ihnen Geschichten zu erzählen. Es brauchte packende Geschichten, damit die Zähne in den Mündern zu klappern aufhörten.
Sie griff zu den Geschichten, die sie über Trolle und Riesen kannte, würzte sie mit feuerspeienden Bergen, Elfenprinzessinnen, unschuldigen Schäfern, die vor Riesen flohen, und Hexen, die vom Tageslicht überrascht und zu Lavasäulen wurden."

Ein Kind nach dem anderen wurde in dem Keller geboren. Sie wurden alle in Pflegefamilien verteilt. Der Großvater vertrank das Meiste seines Lohnes. Die Großmutter musste in der Fischfabrik arbeiten, um etwas dazuzuverdienen.
 

Tiram

Bekanntes Mitglied
4. November 2014
3.569
4.589
49
In kurzen Sprüngen erfahren wir etwas über das Leben der Urgroßeltern, der Großeltern und deren Kinder - drei Generationen - und etwas über die Zeit, in der diese lebten.
Etwas ungewöhnlich sind die wirklich sehr kurzen Kapitel, aber hier wurde ja auch keine Biografie geschrieben - es scheint eher, als wenn uns der Autor von seinen Erinnerungen erzählt, Familiengeschichten, die er im Laufe seines Lebens aufgeschnappt hat.
Auch die vielen Namen können etwas verunsichern, aber dafür gibt es zu Beginn des Buches einen Familienstammbaum, der die Zuordnung wesentlich erleichtert.

Was wunderschön ist, ist die Sprache von Einar Már Gudmundsson - sehr poetisch:

[zitat]Großvater wurde keine Fünfzig, aber mißt man die Zeit in Fischzügen und Fischfängen, lebte er viele Jahrhunderte lang.
Er war blind geworden und sah in unbekannte Länder. Wenn er den Wind hörte, wußte er, wie die Wellen gingen und das Meer sich erhob.[/zitat]
 
  • Like
Reaktionen: Literaturhexle