19 Verlage lehnen Literatur-Nobelpreisträger ab

Helmut Pöll

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Es ist schon eine Weile her, dass der französische Autor Claude Simon den Nobelpreis für Literatur bekommen hat. Im Jahr 1985 ehrte ihn die schwedische Akadamie der Wissenschaften. Zu Simons bekannteren Werken gehört der Roman "Der Palast", in denen Simon seine Eindrücke des Spanischen Bürgerkriegs verarbeitete.
Simon, der 2005 in Paris gestorben ist, hat einen Fan, Serge Volle, der nun in Frankreich für Diskussionen gesorgt hat. Volle hatte mit einem befreundeten Schriftsteller darüber diskutiert, wer heute Claude Simon in Frankreich verlegen würde. "Niemand", sagte der Schriftststeller. Volle wollte das nicht glauben und entschloss sich zu einem Test.

Er tippte die ersten 50 Seiten von Simons "Der Palast" und schickte sie an insgesamt 19 renommierte größere und kleinere französische Verlage. Das Ergebnis war für Volle niederschmetternd. Sein Freund hatte Recht. Niemand wollte Claude Simon verlegen. Von den 19 angeschriebenen Verlagen lehnten 12 den Nobelpreisträger ab, 7 antworteten gar nicht. Das Buch habe "keine echte Handlung" schrieb einer der Verlage, "in den endlos langen Sätzen" würden sich die Leser verlieren.

Volle veröffentlichte seine Ergebnisse ungeniert und gibt mittlerweile Radiointerviews in Frankreich. Das Ergebnis zeige "das Philistertum" des modernen Verlagswesens, das auf literarische Werke verzichte, die nicht leicht zu lesen seien.


Mehr dazu
https://www.theguardian.com/world/2...rizewinning-book-turned-down-by-19-publishers

Liste aller Literatur-Nobelpreisträger
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Nobelpreisträger_für_Literatur

Portrait Claude Simon
claude-simon
 

Maria Braig

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15. Dezember 2017
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Letztendlich wird nur noch nach dem Marketing gesehen. Verkauft sich das Buch oder verkauft es sich nicht so gut. Vielleicht können die Verlage ja auch nciht anders - Ich weiß es nicht.
Ein befreundeter Schriftsteller, der früher auch bei rotfuchs, der ehemals kritischen Jugendbuchreihe von rowohlt, veröffentlicht hat, wird heute dort nicht mehr angenommen, weil er sich den Vorgaben, die ihm aus Marketinggründen gemacht werden, nicht beugen will.
 

Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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Das ist ein sehr vielschichtiges Thema, @Maria Braig . Ich habe schon oft mit Freunden, Bekannten und Leuten aus der Verlagsbranche darüber gesprochen

Tatsächlich ist die Situation der Verlage in den letzten 20 Jahren deutlich schwieriger geworden. Das hat nicht nur mit Versäumnissen im Rahmen der Digitalisierung zu tun, sondern auch damit, dass der Buchmarkt nicht nur gesättigt, sondern völlig überschwemmt ist. Die Zahl der jährlich produzierten Bücher steigt stetig, und dann kamen vor fünf Jahren noch zehntausende Selfpublisher dazu, die ihren Anteil am Kuchen haben wollen.

Die Konsequenz daraus ist, dass pro Titel deutlich weniger verkauft wird. Mir sagte mal die Mitarbeiterin eines bekannten und privat geführten Verlages, dass sie froh sein können, wenn sie von einer Neuerscheinung eines bekannten Autors 2000 Stück verkaufen. Nur ganz wenige Titel lassen noch die Kasse klingeln, einige ausgewählte werden massiv beworben, die anderen werden auf den Markt gebracht und dann ohne Werbung ihrem Schicksal überlassen, in der Hoffnung, dass doch einmal der Zufallstreffer dabei ist.

Es kommt aber natürlich auch das dazu, was Volle angemerkt hat. Die Bereitschaft etwas zu riskieren hat deutlich abgenommen. Ein Bekannter von mir, der als Lektor gearbeitet hat, hat deshalb das Handtuch geworfen und umgeschult.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Das ist ein sehr vielschichtiges Thema, @Maria Braig . Ich habe schon oft mit Freunden, Bekannten und Leuten aus der Verlagsbranche darüber gesprochen

Tatsächlich ist die Situation der Verlage in den letzten 20 Jahren deutlich schwieriger geworden. Das hat nicht nur mit Versäumnissen im Rahmen der Digitalisierung zu tun, sondern auch damit, dass der Buchmarkt nicht nur gesättigt, sondern völlig überschwemmt ist. Die Zahl der jährlich produzierten Bücher steigt stetig, und dann kamen vor fünf Jahren noch zehntausende Selfpublisher dazu, die ihren Anteil am Kuchen haben wollen.

Die Konsequenz daraus ist, dass pro Titel deutlich weniger verkauft wird. Mir sagte mal die Mitarbeiterin eines bekannten und privat geführten Verlages, dass sie froh sein können, wenn sie von einer Neuerscheinung eines bekannten Autors 2000 Stück verkaufen. Nur ganz wenige Titel lassen noch die Kasse klingeln, einige ausgewählte werden massiv beworben, die anderen werden auf den Markt gebracht und dann ohne Werbung ihrem Schicksal überlassen, in der Hoffnung, dass doch einmal der Zufallstreffer dabei ist.

Es kommt aber natürlich auch das dazu, was Volle angemerkt hat. Die Bereitschaft etwas zu riskieren hat deutlich abgenommen. Ein Bekannter von mir, der als Lektor gearbeitet hat, hat deshalb das Handtuch geworfen und umgeschult.
Ein sehr interessanter Beitrag von dir @Helmut Pöll . Ich habe mit dem Verlagswesen gar nichts zu tun, weder als Lektor, Autor oder Verleger. Ich bin nur Leserin und da sind die von euch geschilderten Hintergründe völlig plausibel, auch wenn man sich als bloßer "Konsument" nicht immer Gedanken darüber macht.
Das einzige was auffällt Ist, dass es immer mehr Bücher gibt und sicherlich eine eher schrumpfende oder gleich bleibende Menge an Lesern... Da muss die Gewinnspanne kleiner werden.
 

Börgdahl

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Letztendlich wird nur noch nach dem Marketing gesehen. Verkauft sich das Buch oder verkauft es sich nicht so gut. Vielleicht können die Verlage ja auch nciht anders - Ich weiß es nicht.
Ein befreundeter Schriftsteller, der früher auch bei rotfuchs, der ehemals kritischen Jugendbuchreihe von rowohlt, veröffentlicht hat, wird heute dort nicht mehr angenommen, weil er sich den Vorgaben, die ihm aus Marketinggründen gemacht werden, nicht beugen will.

Ich kenne auch einen Verlagsautor, der zwei schöne Bücher veröffentlicht hat. Als ich sie mir zulegen wollte, musste ich ins Antiquariat gehen, keine Neuauflage, nicht einmal als eBook. Und der Autor, der nun ein drittes Buch gebracht hat, konnte es mir nicht erklären.
Ich aber: Das Gegenteil von "Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg"...
 

InFo

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@Literaturhexle Das Buch als Kulturgut wird immer mehr zum Produkt ohne Seele. Ein Mittel, um Geld zu verdienen. Oft fehlt mir bei den Verlagen die Leidenschaft für das geschriebene Wort, wie es bei den Self Publishern noch vorhanden ist. Vielleicht liegt darin die Kehrtwende.
Ich lese fast nur noch Titel von SPlern, auch weil ich von der "Massenliteratur" mehrfach enttäuscht wurde. Die wirklich neuen Ideen habe ich woanders gefunden, eben weil sie den Mut zur Lücke haben.
Ich bewundere Autoren, die gestandenen Verlagen den Rücken kehren, nur um sich selbst treu zu bleiben.
 
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Helmut Pöll

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Oft fehlt mir bei den Verlagen die Leidenschaft für das geschriebene Wort, wie es bei den Self Publishern noch vorhanden ist. Vielleicht liegt darin die Kehrtwende.
Das habe ich auch lange gehofft, @InFo . Aber nachdem ich jetzt über drei Jahre mit WR zugange bin und oft mit Verlagsautoren, Selfpublishern, Lektoren, Vertriebsleuten kleiner und großer Verlage plaudere, die Diskussionen zur Digitalisierung querlese, scheint nach meiner Beobachtung das Hauptproblem des Buchmarktes die völlige Überflutung des Marktes zu sein.

In den letzten 25 Jahre hat sich die Zahl der jährlich im deutschsprachigen Raum publizierten Titel verfünffacht (Verlage + Selfpublisher). Mehr Leser sind es aber nicht geworden. Im Gegenteil kämpft das Buch heute gegen mehr alternative Zerstreuungen als früher. Irgendwie ist das aber kaum jemals Thema.

Die durchschnittliche Zahl der verkauften Bücher pro Verlagstitel sinkt, damit auch der Gewinn pro Buchtitel. Wenn der Gewinn für den durchschnittlichen Buchtitel nur sehr gering ist, dann wird von Verlagsseite auch keine Werbung für die meisten Titel gemacht. Und dass dann auch weniger riskiert wird, das ist irgendwie naheliegend.

Mir haben dieses Jahr auch einige Indies erzählt, dass es die letzten zwei Jahre extrem zäh gelaufen ist. Als Indie hat man völlige Freiheit, da stimme ich Dir zu, @InFo. Aber in der jährlichen Flutwelle der neuen Bücher mit den eigenen Werken sichtbar zu werden und zu bleiben, das wird für Indies und Verlage von Jahr zu Jahr schwieriger.

Es gibt unter dem folgenden Link übrigens ein sehr interessantes INterview mit Marcel Hartges, dem ehemaligen Verlege von Piper, über Autoren, Literaturagenten und die Situation am Buchmarkt.
https://volltext.net/texte/marcel-hartges-angelika-klammer-interview-literaturagenten/
 
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