Rezension Rezension (4/5*) zu Zuckersand: Roman von Jochen Schmidt.

parden

Bekanntes Mitglied
13. April 2014
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49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Vater werden ist nicht schwer...

Karl, zwei Jahre alt, entdeckt die Welt und sein Vater möchte ihm dabei nicht im Wege stehen. Karls Expeditionen in die Gegenstandswelt von Wohnung und Straße, Spielplatz und Geschäften, die sein Vater liebevoll begleitet, lösen zahlreiche Erinnerungen und Betrachtungen über dessen eigene Kindheit und deren Gegenstandswelt aus.

Der Vater will nicht nur Karls Kindheitsglück, sondern auch die Dinge seiner eigenen Kindheit retten und bewahren. Dies ist nicht der einzige Konflikt in seiner innigen Beziehung zu Karls Mutter Klara, die in der Denkmalschutzbehörde arbeitet, und aus dem Büro per SMS Anweisungen zu Karls Erziehung schickt. Und die Aussicht, endlich eine gemeinsame Wohnung zu beziehen, gefährdet zugleich die "Wunderkammer" voller bedeutungsvoller Gebrauchsgegenstände, die der Ich-Erzähler zu Hause hütet…


Richard betreut als Werbetexter für 'Die neue Hausfrau' seinen zweijährigen Sohn Karl zu Hause, während Karls Mutter Klara vollzeit berufstätig ist. Eine immer noch eher ungewöhnliche Rollenverteilung, die dem Vater jedoch Gelegenheit gibt, seinen Sohn intensiv zu beobachten, so dass ihm möglichst nichts von dessen Entwicklung entgeht. Um ganz sicher zu gehen, schreibt der Vater seine Beobachtungen täglich akribisch auf, schickt Klara gelegentlich auch eine SMS, um sie ebenfalls an allem teilhaben zu lassen.


"Karl probierte aus, ob sich das tropfende Wasser ohne Schirm besser anfühlte, er jauchzte begeistert, weil er naß wurde. Was passiert mit der Freude, die wir als Kind an so etwas haben? Wogegen tauschen wir sie ein, wenn wir groß werden? Oder bekommen wir gar nichts als Ersatz?"


Doch nicht nur die Beobachtungen Richards bringen dem Leser die Welt aus Kinderaugen nahe, sondern auch seine Reflexionen - nur zu oft gleiten des Vaters Gedanken zurück in das Erleben seiner eigenen Kindheit, so dass hier im Grunde zwei parallele Kindheiten präsentiert werden. Kleinigkeiten geraten hier in den Fokus, was Freunden von Spannunsgliteratur langweilig vorkommen mag. Doch genau dies geschieht im Erleben der Kinder: Kleinigkeiten gewinnen eine immense Bedeutung.

Der Schreibstil ist genau und scharf in seinen Schilderungen, passend zu den häufigen Rückblenden in die Vergangenheit auch in der alten Rechtschreibung gehalten, und doch gibt es auch immer wieder poetische Passagen:


"Ich hatte Sehnsucht nach Klara. Wenn einer von uns vom Sofa aufstand, um neues Eis aus der Küche zu holen, versuchten wir immer, unsere Verflechtung so behutsam wie möglich zu lösen, die Hand noch ein bißchen über den Körper des anderen gleiten zu lassen, so daß es sich anfühlte wie bei Eiskunstläufern, wenn sie für Momente auseinanderstreben, um dann mit Anlauf um so spetakulärer wieder zusammenzufinden und im Kreis zu wirbeln. Es mußte viel schwieriger sein, wenn noch ein kleines Kind dabei war, das nicht Schlittschuh laufen konnte."


Vierzehn lose zusammenhängende Kapitel werden begleitet von vierzehn von Line Hoven gezeichnete Vignetten, die, in schwarzweiß gehalten, den Text passend unterstreichen. Ein leiser Roman, der die Welt mit Kinderaugen sehen lässt und eigene Erinnerungen wachzurufen vermag. Mir hat er gefallen...


© Parden

 
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