Thema Leserunde zu "Kraft" von Jonas Lüscher ab 16. Oktober 2017

Literaturhexle

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Hier lesen wir nach der Buchmesse zusammen "Kraft" von Jonas Lüscher.
Buchinformationen und Rezensionen zu Kraft von Jonas Lüscher
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@Querleserin @Leseglück @Xirxe
Mitleser sind natürlich noch willkommen :reader1

Ich habe das Buch in Abschnitte aufgeteilt:
Abschnitt 1: bis S.64
Abschnitt 2: bis S.117
Abschnitt 3: bis S. 174
Abschnitt 4: bis S. 233 (Ende)

Vielleicht nennen wir zu Anfang des jeweiligen Beitrages einfach den zugehörigen Abschnitt (oder die Seite, auf der wir sind), um Spoiler für diejenigen zu vermeiden, die noch nicht so weit gelesen haben.
Ich hoffe, das klappt so ;)
Viel Spaß!
 
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Querleserin

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30. Dezember 2015
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Dann mach ich mal den Anfang mit einem ersten Lese-Eindruck. Habe gestern Abend mal hineingelesen und festgestellt, dass man diesen Roman nicht lesen kann, wenn man müde ist. Die Sätze sind teilweise sehr lang und den ein oder anderen musste ich zweimal lesen, bevor ich mich an den Stil gewöhnt habe. Das Thema ist sehr philosophisch - ein Gebiet, auf dem ich nur mittelmäßig bewandert bin. Mal sehen...
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Du hast mich jetzt so geschockt, dass ich Putzeimer habe Putzeimer sein lassen u d in das Buch hineingelesen habe.
Einfach ist es nicht. Aber die Sätze:rolleyes:

Ich bin aber auch noch hellwach ;) und erst auf der dritten Seite... Heute Abend mehr!
 
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Helmut Pöll

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Du hast mich jetzt so geschockt, dass ich Putzeimer habe Putzeimer sein lassen u d in das Buch hineingelesen habe.
Einfach ist es nicht. Aber die Sätze:rolleyes:

Ich bin aber auch noch hellwach ;) und erst auf der dritten Seite... Heute Abend mehr!
Wollte nicht deinen Hausputz torpedieren ;)

Habe jetzt die ersten 40 Seiten gelesen und festgestellt, wenn man die ersten 5 Seiten überwunden hat, wird es auch etwas einfacher ;)
Nachdenken um Geld zu verdienen, um sich aus der gescheiterten Ehe freizukaufen, klingt echt schwierig. Kein Wunder, dass der Protagonist eine Schreibblockade hat, wenn dann die Aufgabe auch noch lautet - verkürzt gesagt zu beweisen, dass alles gut ist. Ob das gelingen kann.
Sehr gut beobachtet und "diagnostiziert" fand ich die Freundschaft zwischen Richard und Ivan...festzuhalten an etwas, das vergangen ist und nur wiederbelebt, wenn man in der Vergangenheit schwelgt, obwohl man sich in der Gegenwart auseinander gelebt hat. Eine Beobachtung, die ich regelmäßig auf "Klassentreffen" mache - die Vergangenheit trägt über einen Abend - aber nicht mehr länger.
 
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Literaturhexle

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.festzuhalten an etwas, das vergangen ist und nur wiederbelebt, wenn man in der Vergangenheit schwelgt, obwohl man sich in der Gegenwart auseinander gelebt hat.
Genau. Sehe ich genauso! Aber hat der Autor nicht wunderbare Formulierungen? Da könnte ich bislang drin baden, so schön ist das :rolleyes:
Hoffentlich hält Lüscher dieses Niveau!

Beachtet auch mein Lesetagebuch. Da habe ich schon etwas gepostet ;)
 

Xirxe

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19. Februar 2017
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@Literaturhexle @Querleserin @Leseglück
Peinlich, ich habe gerade festgestellt, dass ich meinen Beitrag offenbar im falschen Thread gepostet habe. Hier also nochmal:
Ähm, also ich glaube, ich muss bei 'Kraft' einen Rückzieher machen. Ich habe gerade gesehen, dass in der Aborunde des Deutschen Buchpreises, an dem ich teilnehme, auch dieses Buch gelesen wird. Allerdings bin ich erst die fünfte oder sechste Station, was bedeutet, dass ich wohl erst Februar oder März nächsten Jahres in den Genuss des Buches kommen werde. Entschuldigt bitte, da habe ich gepennt :confused::(
 

Querleserin

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Habe jetzt bis S.120 gelesen, und der Roman gefällt mir immer besser. Die Rückblicke geben Aufschlüsse über das Verhalten des Protagonisten und gleichzeitig erlebe ich eine Zeitreise in die deutsche Politik. Die Sprache ist immer noch sehr ansprechend und trotz einiger sehr langer Sätze gut verständlich.
Besonders gut hat mir die Szene auf dem Fluss gefallen. Symbolisch erlebt er seinen Untergang wider besseren Wissens. Da musste ich auch wirklich lachen, als ich mir vorgestellt habe, wie er da ohne Hose auf den Retter wartet. Seltsam anmutend fand ich die Situation, in der er auf den Campus läuft - hat er resigniert? Und spannend bleibt die Frage, warum Johanna so wütend auf ihn ist.
 

Literaturhexle

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Da musste ich auch wirklich lachen, als ich mir vorgestellt habe, wie er da ohne Hose auf den Retter wartet.
Das finde ich so faszinierend an dem Text! Dieser Wechsel zwischen den Hier und Jetzt, philosophischen tiefsinnigen Betrachtungen und eben dem Humor. Immer wieder mache ich mir einen :) an den Rand.

Die Bootsfahrt könnte man interpretieren ohne Ende! Der verschlungene Weg, die Seehunde, Herb, seine Stimmungswechsel.... Ein tolles Buch!

Desgleichen wieder auf dem Campus...

Leider habe ich keine Zeit Jetzt, aber wir müssen unbedingt darüber sprechen ;)
 

Leseglück

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Hallo @Querleserin und @Literaturhexle
ich habe nun den Roman von Jonas Lüscher: Kraft endlich von der Bücherei bekommen. Ich bin auf Seite 106, werde aber sicher sehr schnell weiterlesen weil mir das Buch Spaß macht.

Der Roman ist die totale Satire finde ich.

gleichzeitig erlebe ich eine Zeitreise in die deutsche Politik
Geht mir genau so.
Die Szene mit dem Misstrauensvotum im Bundestag 1982 fand ich total lustig beschrieben. Ich bin etwa im gleichen Alter wie der Protagonist, kann also dessen Erinnerung gut einordnen. Natürlich war ich wie viele Studenten damals auf der Seite von Schmidt - trotz Nato Doppelbeschluss. Interessant, mal von jemanden zu lesen, der damals schon neoliberal war bzw. sich von Kohl eine geistige Wende erhofft hat.

Die Bootsfahrt könnte man interpretieren ohne Ende!

Bin gespannt auf deine Ideen dazu.
Ich fand es einfach eine lustige Idee, dass der Protagonist mitten in der Zivilisation, sozusagen im Zentrum der Zukunft tatsächlich noch in Lebensgefahr gerät, also noch wie vor Urzeiten um sein Überleben kämpfen muss.
Dass er seine Gedanken und Handlungen dabei selbst kommentiert und reflektiert scheint ja ein durchgehendes Stilmittel zu sein - echt witzig. Das schafft eine ironische Distanz zu der Figur Kraft.

In dem Buch gibt es viele Hinweise auf Philosophen und Wirtschaftswissenschaftler - interessant. Thiodizee Leibniz - wusste ich bisher nicht. Voltaire Candide usw.

Frage: Versteht jemand die "subtile literarische Anspielung" auf Seite 101 oben? Von Menschen und Mäusen???

Eine Kritik habe ich aber: Dadurch dass alles mit ironischer Distanz erzählt wird kann man sich m.M. nach nicht wirklich ernsthaft mit den doch interessanten politischen und philosophischen Themen auseinandersetzten - z.B. mit den Gefahren des digitalen Zeitalters usw.
Das ist aber vielleicht nicht die Absicht des Buches?

Lustig auch die Beobachtung der Gesellschaft in silicon valley, da habe ich das Gefühl, dass ich auf die Höhe der Zeit gebracht werde, denn was da so in ist, an Gedanken und Verhaltensweisen, das weiß ich überhaupt nicht....
So jetzt lese ich mal weiter. Ich glaube ja nicht, dass dieser Kraft in der Lage ist, den Preis zu gewinnen....
 
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Literaturhexle

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Der Roman ist die totale Satire finde ich.
Ja! Das habe ich spätestens in der zweiten Hälfte auch gemerkt. Anfangs war mir das noch nicht so deutlich.
Interessant, mal von jemanden zu lesen, der damals schon neoliberal war
Das passt zu unserem Protagonisten: er ist ja kein Teamplayer, insofern ist es schlüssig, dass er generell die Gegenposition übernimmt. Er fühlte sich schon in der Schule als Außenseiter recht wohl.
In dem Buch gibt es viele Hinweise auf Philosophen und Wirtschaftswissenschaftler - interessant.
Das war mir manchmal ein bisschen viel. Im Nachwort wird ein Schuh draus: der Autor hatte wohl zunächst eine geisteswissenschaftliche Dissertation begonnen, die zwar nie beendet wurde, aus der aber dieser Roman entstanden ist.

Es handelt sich um Katzen und Mäuse. Diese Anspielung hat am sich schon eine Bedeutung. Literarisch? Grass hat eine Novelle mit dem Thema geschrieben, ich meine , da ging es um Verfolgung in der NS-Zeit.... Mehr fällt mir da auch nicht ein.

Ich habe das Buch heute beendet. Gegen Ende kommt es nochmal richtig in Schwung!
Auch Kraft kann seiner Erinnerung nicht immer trauen. Da hat er mich an Tony aus "Vom Ende einer Geschichte" erinnert ;)
Wir werden noch einiges zu reden haben!
 
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@Leseglück
Es gibt einen Roman von John Steinbeck "Of mice and men"

Vielleicht eine Anspielung darauf.
Satirisch finde ich vor allem das Gespräch mit Tobias Erkner, diesem Fortschrittsoptimisten. Der hat mich total an den Roman


erinnert, in dem dieser Fortschrittsglaube und die Weltverbesserer gnadenlos seziert werden.
Letztlich ist Kraft eine tragische Figur. Zum Optimismus verdammt, gezwungen, gelingt es ihm nicht, seine Igel-Haltung aufzugeben.
 

Leseglück

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Oh mit diesem Ende des Romans habe ich überhaupt nicht gerechnet!

Was bedeutet dieser Selbstmord?
Ist es das Eingeständnis des Scheiterns? Kraft hat die Idee einer bürgerlichen Existenz, dies gelingt nicht (drei Trennungen).
Dann ist er ein Leben lang auf der Seite der Fortschrittsgläubigen und Wirtschaftsliberalen um festzustellen, dass er die Spitze dieser Entwicklung (silicon valley) abstoßend findet.
Es ist aber auch ein Protest gegen diese "Alles ist Machbar" Ideologie, den er nicht anders ausdrücken kann weil er sich da selbst widersprechen müsste?

Gelesen habe ich irgendwo, dass das Erbeben in Lissabon 1755 die Theodizee Diskussion damals sehr angeregt hat bzw. die Idee von den besten aller Welten (Leibnitz) damals wegen des Erdbebens in Frage gestellt wurde.
Ein Erdbeben, das silicon valley zerstören würde, wäre also im Sinne von Kraft ganz toll, da es diesen grenzenlosen Machbarkeitsoptimismus, dem er mißtraut, widerlegen würde.

Die Inszenierung des Selbstmords im Hoover Institution of war revolution and peace um die Glocke auf der steht: vor peace alone do I ring - zum Läuten zu bringen. Mit dem neuen App, das es erlaubt allen Menschen zuzusehen....sehr symbolträchtig. Also ein doch noch ein politisches Statement?
 

Literaturhexle

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Ich habe den Selbstmord auch in keiner Weise kommen sehen. Ich hakte aber auch das persönliche Scheitern an den eigenen Ansprüchen (wie du dargelegt hast) für verantwortlich. Zum guten Schluss seine Unfähigkeit, einen ihm würdigen Vortrag zu verfassen. Beruflich schien er ja höchst angesehen zu sein.

Das Versagen als Kapitalist (kein Vermögen), als Vater, als Partner, kam hinzu..... Er wirkte nie depressiv. Die Tat war vernunftgesteuert- mit Übertragung in die Welt.

Das Erdbeben: dein Ansatz ist interessant. Ich sah darin einfach die Wunschvorstellung, ein Held zu sein: jemand, der dem Freund rettet und der Freundin hilft, das gegebene Versprechen ein zu lösen (Katze).

Insgesamt bleibt uns Kraft fern und fremd. Der Erzähler macht ihn oft genug auch lächerlich. Der Stil gefiel mir aber gut :)

Muss jetzt leider los:confused:
 
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Leseglück

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Letztlich ist Kraft eine tragische Figur. Zum Optimismus verdammt, gezwungen, gelingt es ihm nicht, seine Igel-Haltung aufzugeben.

Ja, das denke ich auch so. Zum Optimismus verdammt: ja genau.

Kraft sieht sich selbst eigentlich als Fuchs (also als jemand der sich weigert, sein Denken einem System unterzuordnen, er sagt ja auch immer: nichts sei einfach) Aber tatsächlich wird er zum Igel oder verhält sich wie ein Igel, nämlich wie jemand der sein Denken einem universalen Prinzip unterstellt oder versucht, alles mit einem System zu erklären.
So habe ich das verstanden...also wie du sagst: er kann seine Igel Haltung nicht aufgeben und scheitert daran.

@Querleserin und @Literaturhexle Ihr schreibt beide von einer tragischen Figur...das verstehe ich. Aber Mitleid kommt bei mir nicht auf weil man durch den Schreibstil immer auf ironische Distanz gehalten wird.
Ungewöhnlich finde ich dass der Erzähler immer von "wir" spricht...und es heißt oft: "unser Kraft" Auch das schafft Distanz. Außerdem ist Kraft ja nicht so richtig sympathisch: er is,t wie es immer wieder heißt, ein Schwafler

Danke für eure Hinweise zu der Stelle mit Katzen und Mäusen!

Gibt es etwas wie eine Moral des Buches, etwas das uns der Autor sagen will? Oder habt ihr für euch was aus der Lektüre gelernt?
 
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