Rezension (5/5*) zu Ein Mann namens Ove: Roman von Fredrik Backman

P

parden

Gast

... als eine Nachbarin Oves diesen Ausspruch hört, fällt sie vor Lachen fast vom Stuhl. Denn auf niemanden scheint dieser Satz so wenig zu passen wie ausgerechnet auf Ove.

Einen solchen Menschen in der Nachbarschaft wohnen zu haben, ist wohl der Alptraum eines jeden. Pedantisch, zwanghaft, überkorrekt, unfreundlich, verbittert, unsozial - kurz gesagt: Ove vermag es, jedem Nachbarn die Hölle heiß zu machen, der gegen Vorschriften oder Oves Vorstellungen von dem, was sein müsste, verstößt. Ein alternder Einzelgänger, 59, und seit kurzem im Vorruhestand - was ihn um so aufmerksamer auf die Reihenhaussiedlung achten lässt, in der er lebt...
Eigentlich eine ganz normale Nachbarschaft mit den unterschiedlichsten Typen. Und keinen davon kann Ove leiden. Was sicher auch auf Gegenseitigkeit beruht. Doch es gibt etwas, das niemand der Nachbarn ahnt. Ove (ausgesprochen übrigens wie Uwe im Deutschen) hat beschlossen zu sterben. Und jeder Tag, an dem dies nicht gelingt, ist ein verlorener Tag...

Was für ein Buch!

Was kaum möglich scheint: Ove wächst einem als Leser trotz all seiner Skurrilität rasend schnell ans Herz. Und je weiter man liest, desto mehr versteht man, wie Ove zu dem wurde, was er nun eben ist.
Ove wuchs auf in einer Zeit, in der ein Mann noch das war, was er tat - und nicht das, was er sagte. Werte und Regeln zählten für ihn immer viel. Doch all dies geht zunehmend verloren:

"Oves Meinung nach geht man nicht so durchs Leben, als wäre alles austauschbar. Als wäre Loyalität nichts wert. Heutzutage erneuern die Leute ihre Sachen so schnell, dass das Wissen darüber, wie man Dinge herstellt, die halten, völlig überflüssig geworden ist. Um Qualität schert sich doch keiner mehr (...) Es ist eine Welt, in der man aussortiert wird, bevor man verschlissen ist." S. 95

Gekonnt verknüpft Fredrik Backman Szenen aus der heutigen Zeit, oftmals absurd und unglaublich witzig, mit Rückblenden aus seinem Leben, nüchtern geschildert aber häufig unerwartet berührend.
Bereits in seiner Jugend hat Ove einiges erlebt, was ihm sehr zu schaffen machte, und so verlernte er das Lachen. Für Jahre. Bis er ihr begegnete:

"Er hatte nie verstanden, warum sie sich für ihn entschied. Sie liebte nur abstrakte Dinge, Bücher, Musik und sonderbare Worte. Ove war ein Mann fürs Handfeste. Er mochte Schraubenzieher und Ölfilter. Er ging durchs Leben mit den Händen in den Hosentaschen. Sie tanzte." S. 123

Sonja. Seine große Liebe. Die vieles veränderte...

"Er war ein Mann aus Schwarz und Weiß.
Und sie war Farbe. All seine Farbe." S. 49

Gerade weil dieser Ove so ein sturer Grantel ist, griesgrämig, kantig und giftsprühend, haut es den Leser aus den Socken, wenn an dieser Kruste gekratzt wird, wenn die kurzen Rückblenden in die Vergangenheit zeigen, was Ove in seinem Leben erlitten hat.
Dabei kommt aber auch die Gegenwart nicht zu kurz, in der vieles nicht so läuft, wie Ove es plant - was ihm sichtlich nicht gefällt. Die "Störungen" sind absurd und oft witzig, aber klammheimlich schleichen sich da allmählich Menschen und andere Lebewesen in Oves Leben, auch wenn er sich dagegen nach Leibeskräften wehrt.

"Ove betrachtet das Grüppchen um sich herum, als ob er gekidnappt worden und auf dem Weg in ein Paralleluniversum war." (S. 227)

Der Schreibstil gefällt mir außerordentlich gut. Trocken und oft mit schwarzem Humor durchsetzt, aber immer wie unfreiwillig, denn Humor und Ove: das geht schließlich gar nicht! Obwohl: Ich habe selten so viel gelacht beim Lesen eines Buches. Aber dann, das Grinsen noch im Gesicht, schießen gleich wieder Tränen in die Augen, weil etwas so Berührendes da steht, fast in gleichgültigem Tonfall geschrieben.

"Aber hätte ihn jemals jemand gefragt, wäre seine Antwort gewesen, er habe nicht gelebt, bevor sie in sein Leben trat. Und als sie es verließ, war es wieder dasselbe." (S. 152)

Selten habe ich solch ein Buch gelesen, wo Lachen und Weinen so nah beisammen lagen und ständig gegenseitig um die Vorherrschaft kämpften. Mit einem noch nicht versiegten Grinsen stiegen Tränen in die Augen und unter Tränen musste ich auch schon wieder herzhaft lachen. So eine schöne Mischung.
Backman hat wirklich einige schwere Themen eingearbeitet und aufgezeigt, was die Hilflosigkeit und Ohnmacht, die einen immer wieder im Leben überfällt, mit einem anstellen kann. Aber in einer nüchternen, humorvollen Art, die mir außerordentlich gut gefallen hat.

"Man kann über dich sagen, was man will, Ove. Aber du bist wirklich der komischste Superheld, von dem ich je gehört habe." (S. 207)

Mehrfach hat Backman zu Beginn eines Abschnitts einen Satz gesetzt, den man zunächst einfach nur zur Kenntnis nimmt. Doch nach diesem Abschnitt wiederholt der Autor diesen Satz noch einmal, und nun gewinnt dieser Satz plötzlich eine ganz andere Bedeutung, berührt, lässt einen schlucken. Wirklich gekonnt.
Ähnlich ist es beim Epilog, der einen zunächst schmunzeln und den Kopf schütteln lässt. Doch als die Szene gegen Ende des Buches noch einmal aufgegriffen wird, hat sie einen ganz anderen Effekt. Das hat mir sehr gut gefallen.

"Ove is lustich" (S. 132)

Diese Sichtweise teilen nicht viele, aber eine Dreijährige ist davon fest überzeugt. Und ich gehe noch viel weiter. Er ist einfach liebenswert.

Ich liebe dieses Buch, eindeutig. Und es ist eines der wenigen Bücher, die ich mit Sicherheit noch einmal lesen werde. Für mich bisher mein Highligt des Jahres!

© Parden

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Bekanntes Mitglied
13. April 2014
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Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Ich kann gerade gar kein anderes Buch anfangen, obwohl hier sicher genug liegen. Stehe noch ein wenig unter Oves Bann... :)

Die Überschrift der Rezension lautete übrigens: Sein Herz ist zu groß... (sonst ist der erste Satz nicht verständlich).

Jedem, der Oves Bekanntschaft macht, kann ich nur sagen: es lohnt sich. Bestimmt!