Rezension (4/5*) zu Das Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie von Johann Wolfgang .

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
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Buchinformationen und Rezensionen zu Das Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie von Johann Wolfgang Goethe
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Nicht einfach nur märchenhaft...

Neugierig war ich schon länger auf die Märchenwelt Goethes, von deren Existenz ich vor einigen Jahren erfuhr. Nun ergab sich zufällig die Gelegenheit, diesem Hörbuch zu lauschen, und bei einer Gesamtlänge der Lesung von 75 Minuten dachte ich zudem an ein rasches Vergnügen. Nun, weit gefehlt. Gleich dreimal hörte ich mir dieses Märchen an - hervorragend gelesen übrigens von Joachim Schönfeld - um die Ereignisse wirklich verfolgen zu können. Das scheint mir letztlich auch geglückt zu sein - jedoch nur an der Oberfläche. Zahlreiche Metaphern, Bilder, unterschwellige Bedeutungen drängen sich hier auf, ohne dass ich sie jedoch entschlüsseln konnte. Zu meinem Erstaunen erfuhr ich bei meinen Nachforschungen, dass ich mit diesem Problem nicht alleine stehe. Doch dazu später mehr.

Zunächst einmal zum Inhalt, der sich gar so einfach nicht zusammenfassen lässt. Schauplatz dieses Kunstmärchens ist eine erst allmählich erkennbare antike Landschaft, die durch einen Fluss geteilt ist. Überquert werden kann dieser allein durch den Fährmann, durch die grüne Schlange, wenn sie sich am Mittag in eine Brücke verwandelt, sowie durch den abendlichen Schatten eines gewaltigen Riesen. Zwei Irrlichter lassen sich vom Fährmann über den Fluss bringen, können aber die Schulden nicht zahlen. Sie versprechen, dies bis zum folgenden Abend nachzuholen und überreden eine alte Frau, dies für sie zu übernehmen. Als der Mops der Alten etwas von dem Gold frisst, das die Irrlichter verstreut haben, stirbt er - und der Mann der alten Frau rät ihr, sich nach dem Besuch beim Fährmann auf den Weg zur schönen Lilie zu machen. Diese vermag es, durch bloße Berührung Totes lebendig zu machen und Lebendiges zu töten.

Neben der Alten mit dem toten Mops machen sich auch die grüne Schlange und ein Jüngling auf den Weg zur schönen Lilie, weil sie sich etwas von ihr erhoffen. Doch die schöne Lilie hat den Tod ihres geliebten Kanarienvogels zu betrauern und ist nicht recht bei der Sache. Der verzweifelte Jüngling fühlt sich unverstanden und richtet sich selbst durch die freiwillige Berührung der schönen Lilie, die er liebt. Als die Lilie über den doppelten Verlust untröstlich ist, opfert sich schließlich die grüne Schlange, um den Jüngling und den Kanarienvogel zu retten. Die Überreste der Schlange werden in den Fluss geschüttet, und unversehens entsteht daraus eine prächtige Brücke über das Gewässer. Nahe dem Fluss befindet sich in einer gebirgigen Gegend ein unterirdischer Tempel, der vier Könige in Form von Statuen beherbergt. Dieser Tempel setzt sich nach dem Opfer der Schlange in Bewegung und nimmt am gegenüberlienden Flussufer die Hütte des Fährmanns als Altar in sich auf. Mit Hilfe der vier Statuen wird der wiedererwachte Jüngling zum neuen König ernannt und nimmt die schöne Lilie zu seiner Frau. Das Volk ist vereint und reagiert mit Begeisterung, und der Tempel ist fürderhin der besuchteste auf der ganzen Erde...

Bezaubert hat mich in der Tat die altertümlich-schöne Sprache dieses Kunstmärchens. Auch der Inhalt war letztlich spannend zu verfolgen, da sich hier stets eine vermeintlich unlösbare Situation an die andere reihte und lange nicht erkennbar war, wie es hier eine zufriedenstellende Lösung für alle Beteiligten geben könnte. Doch die ganze Zeit verließ mich das Gefühl nicht, dass dieses Märchen keine bloße Erzählung ist, sondern eine viel tiefere Bedeutung hat, die sich mir einfach nicht erschließen wollte.

Bei meinen Nachforschungen ergaben sich zwar einige wahrscheinliche Hintergründe (das antike Rom als mögliches Vorbild des Schauplatzes der Handlung sowie die Französische Revolution als historischer Hintergrund des 1795 erschienen Märchens), doch wurde deutlich, dass es seit dem Erscheinen des Märchens zahllose Interpretationsansätze gab, die sich nicht selten grundlegend widersprachen. Der Klappentext einer Printausgabe des Buches deutet in eine ähnliche Richtung:


"Goethes MÄRCHEN, erstmals 1795 in Schillers Zeitschrift 'Die Horen' erschienen, steht wohl für den Prozess des organischen Werdens schlechthin und symbolisiert gar das Werden der poetischen Form selbst. Letztlich indes ist es in seinem Gesamt ein großes Reich von Symbolen und Beziehungen, ein einziges Rätsel, zu dessen Lösung beizutragen sich Goethe zeitlebens nie bewegen ließ. Erinnern soll das MÄRCHEN 'an nichts und an alles' – wie es selbst einleitend bekundet: 'an nichts', indem es sich nachhaltig jedweder spekulativen Ausdeutung widersetzt; 'an alles', wenn es zugleich das Gesamt alles Lebens im sinnlich erlebbaren kunstvollen Gefüge seiner großartigen allegorischen Bilder- und Symbolwelt verzeichnet."

So viel zur Idee eines raschen Hörvergnügens. Doch damit nicht genug, las ich auch noch, dass Rudolf Steiner seinerzeit dieses Märchen Goethes als Ausgangspunkt zur Entwicklung der Anthroposophie nahm. Dieser Zusammenhang erschloss sich mir nun gar nicht, jedoch wollte ich die Nachforschungen dahingehend auch nicht weiter vertiefen. Erstaunlich jedenfalls, wie viel oder nichts man in dieses Märchen hinein interpretieren kann! Und wieder einmal wird deutlich, wie wichtig es ist, Schriften welcher Art auch immer im Zusammenhang mit dem historischen Kontext ihrer Entstehung zu sehen. Manchmal kein leichtes Unterfangen...

Bei allen Deutungsschwierigkeiten jedoch hat mir das Märchen als solches gut gefallen und einmal mehr gezeigt, dass Goethes Werke zurecht auch heute nicht vergessen sind.

© Parden