Rezension Rezension (5/5*) zu Ali und Nino von Kurban Said

Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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München
Buchinformationen und Rezensionen zu Ali und Nino von Kurban Said
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Doktor Schiwago in Aserbaidschan

Ich habe mir lange überlegt, ob ich den Roman Ali und Nino von Kurban Said lesen soll. Im ersten Moment erinnerte mich der Titel an eine Schmonzette. Aserbaidschans Antwort auf Romeo und Julia, Tränenströme garantiert. Aber so ist es nicht.

Kurban Said schildert die Liebesgeschichte zwischen dem Muslim Ali und der Christin Nino in Baku zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Welt ist im Umbruch. Die Vorbehalte und Bedenken der jeweils anderen Glaubensgemeinschaft zu dieser Ehe könnten sich genauso gut auch heute noch abspielen. Nino entstammt einer liberalen, westlich orientierten Familie, in der die Frau als gleichberechtigt angesehen wird. Ali wurde in eine alte, ehrwürdige, muslimische Familie geboren, in der der persische Onkel noch einen Harem unterhält. Wie soll das zusammengehen? Es wird schwieirig, das ist von Anfang an klar. Aber ist es unmöglich?

Als wäre diese Konstellation noch nicht verfahren und kompliziert genug, geraten die beiden in die Mühlen der Weltgeschichte. Baku ist nicht nur die Grenze zwischen Orient und Okzident, zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Stadt auch reich. Der Nobel-Konzern fördert Öl, zeitweise 50 Prozent des Weltbedarfs. Der Reichtum zieht die unterschiedlichsten Menschen an und macht Baku und Aserbaidschan interessant für die Mächtigen jener Zeit.

Der erste Weltkrieg beginnt. Die Schlachten, das Sterben scheint nur in weiter Ferne stattzufinden. Noch gehört Baku zum russischen Imperium. Aber der Zar wankt - und stürzt. Die kommunistische Revolution siegt. Auch die Truppen des Britischen Empire auf dem Höhepunkt seiner Macht haben Interesse am Öl und erobern Baku kurzzeitig. Als sie abziehen ist die Stadt schutzlos und die Bürger, unter ihnen Ali, kämpfen auf verlorenem Posten.

MIch hat diese Geschichte von Ali und Nino aus einer Zeit, in der die Welt neu geordnet wird, an Boris Pasternaks Doktor Schiwago erinnert. Der Roman spielt in etwa zur selben Zeit wie Ali und Nino. Auch in Pasternaks Erzählung gerät eine Liebesbeziehung unter die Räder der Revolution und bleibt bei allem Bemühen aussichtlos. Es sind diese Schicksale, die beim Versuch ihr eigenes Leben zu ordnen, vom Lauf der Geschichte fortgerissen werden und zugrunde gehen, die dieses Buch für mich zu einer zeitlosen Erzählung machen.