Genre Genreleserunde Gegenwartsliteratur - ab 15.05.17

Literaturhexle

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Was dieses Buch so besonders macht, ist die psychologische Dichte: zwei junge Menschen auf einer einsamen Insel auf der Südhalbkugel in eisiger Kälte. Ohne die Hilfsmittel der modernen Gesellschaft... Nur eine seit Jahren verlassene Unterkunft ehemaliger Walfänger steht zur Verfügung.

Keine Nahrung außer selbst erlegten, knochigen Pinguinen, von denen man zur Erhaltung 4 Stück (!) Pro Tag braucht. Eine erlegten Ratte bietet freudige Abwechslung... Die Frage nach der Schuld für das Unglück sowie die Ausweglosigkeit der Lage führen zu glaubwürdigen Konflikten, es wird dramatisch...

Der Roman kommt bislang weitgehend ohne wörtliche Rede aus. Sprachlich dicht kann man sich die Inselwelt und die beteiligten Menschen sehr gut vorstellen. Sehr gut!
 

Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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Buchinformationen und Rezensionen zu Der Club von Takis Würger
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#der club ist sehr spannend, gar nicht mal so sehr, weil neue Details innerhalb des Pitt Club aufgekommen wären, sondern weil es Takis Würger gelingt, Spannung durch die Schilderung der Figuren und ihre tagebuchartigen Einträge zu erzeugen.

Zunächst einmal gibt es einen Jungen aus einfachen, dann die anderen aus "absurd reichen" Verhältnissen, wie es einmal irgendwo heißt. Aber dieser privilegierte Status hat seinen Preis. Das wird erst nach und nach klar. Angus, der reiche Investor, tritt einmal betrunken, als er sich unbeobachtet glaubt, gegen eine Statue in der Absicht sie zu beschädigen, stürzt aber, bleibt in der Wiese liegen und trinkt dort weiter. Im Grunde ist das die bockige Haltung eines 16jährigen, nur dass das Fläschen in seiner Hand, das er dann in die Wiese kippt, 200 Pfund kostet. Josh, der Student aus reichem Hause, ist ein psychisches Wrack, das von einem Drogenexzess in den nächsten taumelt.

Manchmal dachte ich mir, dass die Leute gar keine Rollen mehr spielen, sondern dass umgekehrt die Rollen sich verselbständigt haben und jetzt mit den Leuten spielen.

Und Charlotte, die zunächst so souverän auftritt, ist es eben gar nicht.
"Ich glaube, dass wir in unserer Schwäche zueinanderfanden", sagt Hans einmal, und weiter: "Sie ist kaputt".
 

Helmut Pöll

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Nach und nach werden die Figuren immer plastischer, etwa der chinesische Student aus gutem Hause, der es unbedingt in den Pitt Club schaffen will, aber es nicht schafft. Ohne es explizit auszusprechen stellt
#takis würger die Oberschicht von Cambridge als ziemlich rassistisch dar.

Lachen musste ich bei den Gedanken des jungen Chinesen zu Clausewitz. Er bewundert dessen preussische Tugenden, war aber enttäuscht über dessen Abgang.
[zitat]Das Einzige, was mich störte, war sein Tod. Es war ein schwacher Abgang, sich an einem verdorbenen Stück Prager Schinken mit Cholera zu infizieren und eine Woche später in Breslau dehydriert von der Latrine zu kippen.[/zitat]
Kann passieren.

P.S. wer nachlesen will -> Seite 137
 

Helmut Pöll

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Der latente Rassismus einiger betuchter Oberschicht-Sprösslinge wird immer besonders bei Josh deutlich, beispielsweise als er nach einem gemeinsamen Essen aufräumt und über seine Putzhilfe sinniert.
[zitat]Für die Putzfrau räumte ich die Teller in die Spüle, sie tat mir immer ein wenig leid, wegen ihrer behinderten Arbeit, weil ihr Gehirn eine Kokosnuss war und weil sie aus Polen kam.[/zitat] (S. 185)

Ich frage mich dann immer, ob man so eine Knallcharge wie Josh für seine Menschenverachtung verachten soll, oder ob eher Mitleid mit jemandem angesagt ist, der in seinem goldenen Käfig emotional völlig verkrüppelt ist.

Die Geschichte von Alex, die der Leser schließlich erfährt, ist tragisch. Dennoch bleibt sie mir unsympathisch, hauptsächlich aus dem Grund, weil sie Hans, der nun wirklich keinen leichten Start hatte, völlig im Regen stehen hat lassen und ihn im Grunde nur als Erfüllungsgehilfen braucht. Das sieht Hans selber ja ähnlich.

Sie konnte ihn nicht zu sich nehmen, weil es ihr nicht gut ging, ist ihr Argument. Hm ja, das mag sein, darüber mag ich mir kein Urteil erlauben. Andererseits hatte sie Kraft genug in Kriegsgebiete zu reisen, um dort wertvolle Bilder zu retten. Sie war auch gesund genug Karriere in Cambridge zu machen und als Professorin für Kunstgeschichte zu wirken. Sie hätte ihren verwaisten Neffen sicher auch in einem Internat in der Umgebung und näher bei sich unterbringen können, oder? Möglichkeiten und Geld genug hätte sie sicher gehabt.

Alles in allem ein grandioses Buch. Absolute Leseempfehlung von mir.
 

Literaturhexle

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Sie hätte ihren verwaisten Neffen sicher auch in einem Internat in der Umgebung und näher bei sich unterbringen können, oder? Möglichkeiten und Geld genug hätte sie sicher gehabt.

Alles in allem ein grandioses Buch. Absolute Leseempfehlung von mir.

Toll @Helmut Pöll , dass du ebenso begeistert von DEM Buch bist wie ich!!!

Mir ging es mit der Tante auch so: am Ende versteht man zwar manches von ihren Verhaltensweisen, aber es rechtfertigt auch nicht alles. Alex scheint ein sehr egozentrierter Mensch zu sein.
 

Literaturhexle

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Heute habe ich es beendet. @parden hat, wie ich finde, eine sehr gute Rezension zu diesem Buch geschrieben. Da bleibt mir nichts hinzuzufügen.
Es war eine sehr lohnende Lektüre. Nur mit dem Titel kann ich nichts anfangen. Es handelt sich um einen Abenteuerroman, in dem es um Leben und Tod geht und dann heißt das Buch "Herz auf Eis" wie ein lapidarer Liebesroman.....
Was sich die Verlage manchmal denken!?!
 
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Renie

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Ich war am Wochenende auf Kurzurlaub. Daher bin ich in dem Buch nicht weitergekommen. Wenn eine Tennismannschaft (8 Frauen) auf Tour ist, bleibt halt nicht viel Zeit zum Lesen ;)

Was ich aber noch nicht erwähnt habe, ist der besondere Aufbau dieses Romans.
Anfangs erfährt der Leser in einem Vorwort, dass ein Cousin von Lionels Frau mit der Veröffentlichung der vorliegenden Geschichte von Lionel beauftragt worden ist.
Der Cousin kann Lionel nicht leiden. Daher kann er nicht umhin, fast jede Seite mit Fußnoten zu versehen. Hier kommentiert er die Geschichte auf übelste Weise und lässt an Lionel kein gutes Haar. Das allein ist schon sehr lustig.:)
 

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Die Handlung nimmt phantastische Züge an. Lionel schließt Freundschaft mit dem Teufel, einem netten älteren Herrn, mit hervorragenden Manieren, der scheinbar Lionels Ehefrau entführt - sehr zur Erleichterung von Lionel. Aber seit sie weg ist, merkt Lionel, was er an ihr hatte. Ein Abenteuer winkt: eine Reise in die Hölle, um die Ehefrau zu befreien. Unterstützung gibt es von Lionels Schwager, einem Entdecker und Abenteurer, quasi der Indiana Jones der Londoner Upper Class. Das Buch wird immer verrückter - herrlich.:D