Rezension Rezension (5/5*) zu Der Freund der Toten: Roman von Jess Kidd.

Bibliomarie

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10. September 2015
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Leider konnten wir zu diesem Buch keine Daten ermitteln.
Mahoney und die Geister der Vergangenheit

Der Mann, den alle nur Mahoney nennen ist im Waisenhaus als Findelkind aufgewachsen, dann bekommt er als Erwachsener das Vermächtnis einer verstorbenen Nonne: ein Foto seiner Mutter und eine Botschaft mit seinem Namen und seinen Geburtsort.
Als er im irischen Dorf Mulderrig aus dem Bus steigt, erwarten ihn schon viele Dorfbewohner, aber es sind die Toten, die ihm begegnen, ihn begleiten und helfen, das Geheimnis um das Verschwinden seiner Mutter zu lösen. Aber wer ein katholisches irisches Waisenhaus überstand, den schrecken die Toten nicht. Für die lebenden Bewohner des Ortes ist es vorbei mit der gespenstischen Ruhe aus Bigotterie und vorgeschobener Wohlanständigkeit.
Mahoney beginnt nicht nur mit seinen Fragen das Dorf aufzuscheuchen, auch seine Ausstrahlung, sein unverschämt gutes Aussehen bringen die Bewohner, vor allem die weiblichen, aus der Ruhe.
Das Buch übte einen eigenwilligen Sog auf mich aus. Anfangs hatte ich leichte Schwierigkeiten die toten Figuren als solche zu erkennen, aber schon nach wenigen Seiten waren sie mir seltsam vertraut. Das ganze Setting wirkt auf mich ganz typisch irisch: humorvoll, versponnen und voller Glauben an das Übersinnliche. Dabei ist die ganze Handlung sehr real, ein Zeitbild der 50iger und der 70iger Jahre, als der Priester und die Gemeindeschwester noch über ein Dorf bestimmen konnten. Ein Rebell wie Mahoney muss den Unmut all der „Anständigen“ auf sich ziehen, zumal er aussieht wie ein Hippie und Fragen über Ereignisse stellt, an die niemand mehr erinnert werden möchten.
Was ist damals mit seiner jugendlichen Mutter passiert? Ist sie wirklich einfach in den Bus gestiegen und abgehauen und hat ihn als Baby ausgesetzt oder konnte sie nicht mehr fliehen?
Der Roman sprengt die Genres, mehr als nur eine spannende Geschichte, ist es ein Zeitbild, eine Selbstfindung und auch eine Abrechnung mit der Vergangenheit. Ich bin völlig in den Roman eingetaucht, eine Entdeckung, die mich überzeugt hat. Ein toller Stil, der jedem der Protagonisten eine eigene Stimme gibt, ernsthaft und doch immer mit einem Augenzwinkern, war es ein richtiges Lesevergnügen für mich.