Rezension Rezension (3/5*) zu Ein fauler Gott von Stephan Lohse.

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
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Vom Leben und vom Trauern...


Die Erzählung beginnt im Jahr 1972, als der kleine Bruder des 11jährigen Ben unerwartet stirbt. Nach Fassungslosigkeit und Erstarrung hält Trauer Einzug in die kleine Familie, die nunmehr nur noch aus Ben und seiner Mutter besteht. Bens Vater wohnt nicht mehr bei ihnen, sondern hat vor einger Zeit beschlossen, sein Leben an der Seite einer anderen Frau und in einer anderen Stadt zu führen.


"Die ewigen Jagdgründe musst du dir wie eine Lücke in der Zeit vorstellen. Dort wird Jonas ewig so bleiben, wie du ihn erinnerst."


Einsamkeit. Das ist das Wort, das mir zu diesem Debüt-Roman von Stephan Lohse als erstes in den Kopf kommt. Ben und seine Mutter sind meist allein mit ihrer Trauer. Vor allem Ruth hat niemanden, der für sie da ist - keine Familie, keine Freunde, keine Nachbarn, keine Kollegen. Sie zieht sich in ihrer Trauer in sich selbst zurück, gestattet sich nur auf ihrer voll eingeschalteten Heizdecke zu weinen, will Ben nicht mit ihren Gefühlen konfrontieren. Immer wieder kommt sie an den Punkt, das Leben unerträglich zu finden.

Ben vermisst Jonas auch, kann jedoch mit seiner Mutter kaum darüber reden - merkt er doch, wie sehr sie leidet. Er fühlt sich im Gegenteil für sie verantwortlich und macht dies in kleinen Gesten immer wieder deutlich. Doch im Gegensatz zu seiner Mutter hat Ben auch ein Leben im außen. Die Schule mit seinen Freunden, die Bibliothek mit ihrer Welt der Bücher - und Herrn Gäbler. Ihm, dem im Grunde vollkommen Fremden aus der Nachbarschaft, kann Ben seine Gedanken und Fragen zum Tod seines Bruders anvertrauen.


"Ich glaube nicht, dass die Seelen überhaupt etwas sprechen", sagt Herr Gäbler. "Ich vermute eher, dass sie sich telepathisch verständigen. "Wie mit Funkgeräten?" Herr Gäbler nickt. "Wie mit Funkgeräten." Ben überlegt, dass die Seelen, wenn sie über telepathischen Funk verfügten, nicht lachen oder mit dem Kopf nicken müssten (...) Sie machten alles innerlich. Per Himmelsfunk. Vielleicht klingt ihr Himmelsfunk wie Luftmusik. Wie der Ton aus Philip Bührmanns Staubsaugerschlauch."


Erzählt wird der Roman aus den wechselnden Perspektiven von Ben und seiner Mutter Ruth - und dieser Umstand ist es, der mich hier am meisten gestört hat. Der Klappentext ließ vermuten, dass es hier nur um Ben und seine Art geht, mit der Trauer um seinen Bruder fertig zu werden. Den Perspektivwechsel empfand ich im Gegensatz zu anderen Büchern hier als störend, weil so keiner der Charaktere wirklich zu seinem Recht kam. Vieles wurde nur angerissen, genauso wie einzelne Episoden ohne wirklichen Zusammenhang aneinander gereiht wurden. Neben der Trauer gab es zahlreiche andere Themen, die hier eine Bedeutung erhielten, jedoch keinen wirklichen Raum: Pubertät, Schulzeit, das Flair der 70er Jahre, Musik und Literatur... Einerseits machen diese Themen deutlich, dass das Leben für Ben schon irgendwie weitergeht, andererseits verwässern sie sich durch ihre Vielfalt gegenseitig. Insgesamt wirkt der Roman dadurch über weite Strecken zerfasert.

Der Autor selbst ist 1964 geboren und damit auch Kind der geschilderten Zeit. Meine Gedanken beim Lesen solcher Bücher sind stets, wie viel Autobiographisches darin stecken mag. Das würde auch erklären, weshalb Lohse so viele Aspekte der Kindheit Bens so ausführlich schildert und manche anscheinend zusammenhanglose Ereignisse einfließen lässt, die das Geschehen nicht so sehr 'voranbringen'.


"Den eigenen Tod sterben wir, den Tod unserer Kinder müssen wir leben."


Einzelne Szenen in dem Roman konnten mich berühren, insgesamt jedoch blieb die Erzählung für mich trotz der bedrückenden Thematik eher an der Oberfläche. Vielleicht sah der Autor die Gefahr, dass die Geschichte durch die allgegenwärtige Trauer zu sehr ins Melodramatische abdriften könnte, doch hat er für mich da zu sehr gegengesteuert. Dabei entwickelt sich die Situation durchaus dramatisch, wie gerade das Ende aufzeigt.

Insgesamt ein Buch zum Thema 'Leben und Trauern', das ich nicht ungerne gelesen habe, dessen Umsetzung ich aber nur bedingt für gelungen halte.


© Parden

 
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Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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München
Ich hatte das Buch #ein fauler gott von #stephan loose auch schon in der Hand, war aber unentschlossen. Jetzt lasse ich es woh eher.

Ist das eigentlich der Stephan Loose, der diese alternativen Reiseführer geschrieben hat, @parden ?
 
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