Dieses Buch kann ich nur schwer aus der Hand legen. Dabei ist die Erzählweise des chinesischen Autors Cixin Liu gelassen, fast schon lakonisch. Er hat es aber auch gar nicht nötig, den Ereignissen durch plakativen Wortgebrauch künstlich Wucht zu verleihen, die geschilderten Ereignisse auf drei Handlungsebenen sprechen für sich. Die ersten Kapitel konfrontiert den Leser mit der gleichermaßen brutalen wie absurden Realität, der sich Intellektuelle und die Wissenschaft an sich während der Kulturrevolution ausgesetzt sehen. Wir haben 1967, Albert Einstein gilt als Reaktionär, folglich ist seine Relativitätstheorie reaktionär, folglich ist sie falsch, und wer sie lehrt, begeht Verrat an den arbeitenden Massen. Wer der falschen Lehre nicht widersagt, wird öffentlich bestraft. In dieser unruhigen Zeit verliert die Astrophysikerin Ye Wenjie ihre ganze Familie, wird denunziert und landet bei einem Bautrupp in der Mongolei, wird erneut denunziert und rechnet mit dem Schlimmsten. Stattdessen passiert ihr das Beste, was ihr in dieser Lage passieren kann: Sie wird zu einer hochgeheimen Radaranlage versetzt, wo man ihre technischen Fähigkeiten benötigt. Sie arbeitet sich hoch, wird -- wie soll es anders sein -- erneut denunziert ...
Auf der zweiten Handlungsebene befinden wir uns im Jahr 2007, also in der nahen Zukunft für den Autor (Copyright der Originalausgabe 2006). Merkwürdige Ereignisse schrecken die Wissenschaftswelt und Militär gleichermaßen auf. Es kommt zu wissenschaftlich nicht erklärbaren Zwischenfällen und die Sterberate von Wissenschaftlern steigt sprunghaft an, besonders unter Grundlagenforschern. Auch Wang Miao traut kaum noch seinem Verstand, dabei ist der Physiker gar nicht mit Grundlagenforschung, sondern mit Nanomaterialien beschäftigt. Trotzdem wird er zur Zielscheibe von Drohungen zweier offenbar verfeindeter Gruppen: Die einen wollen ihn dazu bringen, das sogenannte Three-Body-Problem zu lösen, die anderen wollen jegliche wissenschaftliche Forschung überhaupt unterbinden, und sei es durch Mord.
Die dritte Ebene ist die Spielhandlung in dem Virtual Reality-Computerspiel "Three Body". Wang Miao ist zunächst befremdet, dann mehr und mehr fasziniert von diesem Spiel, in dem eine Zivilisation durch ständige, unvorhersehbare Wechsel von stabilen zu chaotischen Zeitaltern mit extremen Wetteränderungen bedroht ist. Ziel des Spiels ist es, eine Methode zur verlässlichen Vorhersage dieser Wechsel zu finden. Und das, obwohl es unter Physikern und Mathematikern als bewiesen gilt, dass das Three-Body-Problem nicht lösbar sei.
Beim Lesen ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich philosophischen Fragen nachhänge, die unaufdringlich aufgeworfen werden. Gleichzeitig versuche ich zu ergründen, auf welchen Clou diese drei Ebenen hinsteuern. Einige Möglichkeiten habe ich schon durchgespielt. Inzwischen, nach etwas mehr als der Hälfte, habe ich mich auf eine gewisse Theorie eingependelt, und bin sehr gespannt, ob ich richtig liege.
Irgendwelche (astro-)physikalischen oder mathematischen Vorkenntnisse braucht man übrigens nicht. Dem Autor gelingt es, ganz ohne belehrend zu klingen, alle zum Verständnis nötigen Kenntnisse in die Handlung einfließen zu lassen. Angenehm fällt mir auch die Unaufgeregtheit der Erzählweise auf. Da ist nichts hektisch oder aufgebläht, doch bleiben die Ereignisse durchweg spannend und ereignisreich.