Audur Jónsdóttir: Wege, die das Leben geht

Tiram

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4. November 2014
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Buchinformationen und Rezensionen zu Wege, die das Leben geht: Roman von Audur Jónsdóttir
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"Nun verlass doch endlich diesen Mann." - "Tu mir den Gefallen und nimm irgendwas anderes zu dir als nur dieses Hurenfrühstück (Kaffee und Zigarette, Anm. der Leserin)!" - "Ich wünschte mir, du würdest etwas anderes mit deinem Leben anfangen, als zu qualmen wie eine abgehalfterte Seemannsbraut." - Das sind so Sätze, die Eyja von ihrer Oma zu hören bekommt. Und irgendwie hatte sie recht. Eyjas Mann war versoffen, arbeitsscheu und hätte vom Alter her ihr Vater sein können.
Eyjas Mutter und beste Freundin Runa machen den Vorschlag, mit Rúna nach Schweden zu reisen. Oma schenkt ihr sogar das Geld dafür und wenn sie es nicht für sich selbst tun will, dann doch für ihren Roman.
Eyja ziert sich ein bisschen. Was soll aus ihrem Mann werden? Wer sorgt für ihn? Doch diesmal lässt sie sich schnell von den drei Frauen überreden.

Ja, Eyja will einen Roman schreiben. Bisher hat es nur für eine Kolumne gereicht. Auch ihre Mutter hat für die Zeitung geschrieben. Bis Eyja kam. "Eyja hatte ihre Mutter umgebracht..." Ihre Mutter hat gut geschrieben:

[zitat]Diese vergilbten Kolumnen waren wie eine echte italienische Pizza: knusprig und frisch. Jedes Wort war saftig, aromatisch und irgendwie genau deshalb an der richtigen Stelle, weil es an der falschen stand - so wie die Menschen in Mamas Zeichnungen durch ihre schiefen Proportionen genau richtig getroffen waren.[/zitat]

Einige Wochen nach Eyjas erster Kolumne erfuhr sie, dass ihre Mutter aufgehört hat, für die Zeitung zu schreiben. Jahre später wurde Eyja klar, "dass sie nie eine so knusprige Pizza backen könnte wie ihre Mutter...".

Eyja konnte ihrem Mann Garri noch gar nicht richtig klarmachen, dass sie für längere Zeit verreisen würde. Als sie mit ihm darüber sprach, war er zu besoffen. Und nun überraschte er sie, ihre Mutter, Rúna und eine frühere Freundin dabei, wie die Frauen die verdreckte Wohnung auf Vordermann bringen, da Eyja das Mietverhältnis gekündigt hatte. Die Miete war eh schon zwei Monate nicht bezahlt worden und wurde nun mit der Kaution verrechnet.
Rechnen musste Eyja während ihrer Ehe immer, Garri brachte alles Geld in die Kneipe. Selbst das, was Eyja sich mühevoll zusammensparte. Wenn sie drohte, ihn zu verlassen, begann er eine Therapie, die er nach ein paar Tagen wieder abbrach. Oder er verlegte sich aufs Heulen und drohte mit Selbstmord. Was hielt Eyja bei ihm?

[zitat]Er brachte ihr morgens Kaffee. Und er motivierte sie zum Schreiben, weil er wusste, wie es war, wenn man von der Welt in Frieden gelassen werden wollte. Er tröstete sie, wenn niemand anderes es tat.[/zitat]

Aber machte das alles wett? Dass sie durch seine Trinkerei ihre Freunde verlor? Dass sie sich mit Geldeintreibern rumschlagen musste? Dass sie mehrere Jobs machte, damit wenigstens ein bisschen Geld reinkam? Ihre Schecks platzten. Selbst die Katze war am Verhungern.

Und dann verabschiedet sie sich von Garri. Und verrspricht ihm, wiederzukommen. Oder war sie gerade dabei, ihn zu verlassen? Sie tat doch nur so, oder? Was geschieht in Schweden? Schafft sie es, ihren Roman zu schreiben? Lies selbst...

Aber ich sage Dir gleich, es ist ein schwieriges Lesen. Nicht, weil das Buch zu anspruchsvoll wäre, nein. Diese vielen Sprünge zwischen heute und gestern, ja sogar morgen, sind nicht ganz leicht. Irgendwie stellt sich kein schöner Lesefluss ein.
Und trotzdem hat es Spaß gemacht, Eyjas Erinnerungen zu folgen. Sie hat es wahrlich nicht leicht gehabt. Trotzdem hat sie sich einen Humor bewahrt, der mich oft lächeln ließ.
Ich wäre gerne näher auf Garris Alkoholkrankheit oder überhaupt den Alkoholkonsum in dieser Geschichte eingegangen, aber das wäre für mich aufgrund von persönlichen Familienerfahrungen zu emotional geworden.

Jede Menge Buchtitel und Autoren wurden in diesem Buch benannt, die ich Dir nicht vorenthalten möchte:

Àsta Sigurdóttir
Der Meister und Margarita
Der Tod in Venedig
Die Brüder Karamasow
Die Verschwörung der Idioten
Don Quijote
Dostojewski: Der Idiot
ein Buch über van Gogh
Enid Blyton: Fünf Freunde
Fay Weldon
Halldór Laxness' Salka Valka
Harry Potter
Hemingway: Fest fürs Leben
Isabel Allende: Von Liebe und Schatten
Kafka
Madame Bovary
Marilyn French
Milan Kundera
Paul Auster
Régine Deforges: "Betty Blue", "Das blaue Fahrrad"
Ulysses von James Joyce