Rezension Rezension (4/5*) zu Und damit fing es an: Roman von Rose Tremain.

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
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Buchinformationen und Rezensionen zu Und damit fing es an: Roman von Rose Tremain
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Zwei einsame Leben...

Gustav Perle erlebt seine Kindheit kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges in einem kleinen Ort in der Schweiz und wächst als einziges Kind einer mittellosen, alleinerziehenden Mutter auf. Doch nicht die Armut ist es, die ihm eine Lektion erteilt, sondern die Haltung seiner Mutter Emilie. Stark soll er sein, sich beherrschen und zusammenreißen, komme was da wolle. Doch obwohl er rasch begreift, vom Leben nichts erwarten zu wollen und obgleich er früh lernt, seine Gefühle zu unterdrücken, buhlt er mit jeder Faser um die Liebe seiner Mutter.


"Dennoch dachte er sehr oft an seine Kindheit. Und jedes Mal ergriff ihn eine Traurigkeit, die absolut und umfassend zu sein schien - als könne kein Kummer der Welt ihn noch einmal so heftig treffen. Diese Traurigkeit legte sich wie ein grauer Dämmer um seine alte Kindheitsvorstellung, dass er unsichtbar sei: die quälende Erinnerung daran, dass der Knabe Gutstav immerzu versucht hatte, sich ins Licht zu rücken, damit seine Mutti ihn besser sah. Aber sie hatte ihn nie wirklich gesehen. Sie hatte sich für die Person, die er war, im Grunde blind gestellt." (S. 214)


In die Vorschule geht Gustav gern. Dort lernt er eines Tages Anton Zwiebel kennen, der neu ist in der Klasse und gar nicht aufhören kann zu weinen. Aus Bern ist der Sohn wohlhabender jüdischer Eltern nach Matzlingen gekommen und muss sich nun in seinem neuen Leben zurechtfinden. Mit Gustav an seiner Seite fällt das nun ein kleines bisschen leichter. Denn der hat von Anfang an das Gefühl, Anton beschützen zu müssen. Den kleinen Anton, der in der Welt nie so recht zu Hause zu sein scheint, der Klavier spielt und als Wunderkind gilt, der von seinen Eltern sehr gefördert wird und der für selbstverständlich hält, dass er meist bekommt, was er will.

Trotz der Gegensätze ihrer Herkunft und obwohl Emilie die Freundschaft zwischen Gustav und Anton im Grunde nicht gutheißt - denn war es nicht die Gutherzigkeit von Gustavs Vater, seine Judenfreundlichkeit während des Zweiten Weltkrieges, die ihn letztlich sein Leben kostete? - verlieren sich die beiden Kinder nicht aus den Augen. Gustav lernt durch Anton das Schöne im Leben kennen, eine Ahnung davon, wie es auch sein könnte. Nur eben nicht für ihn...

Zwei Leben in Fragmenten, so könnte man den Aufbau des Romans vielleicht beschreiben. Im ersten langen Abschnitt lernt der Leser die beiden Kinder kennen, ihre beginnende Freundschaft, die Gegensätze ihrer beider Leben, die Ungerechtigkeiten, die vor allem Gustav widerfahren, und leidet mit dem Jungen die hartherzig anmutende Kälte der Mutter. Der zweite Abschnitt katapultiert einen dann in eine Rückblende hinein, die sich mit Emilies Geschichte beschäftigt, wie sie Gustavs Vater kennenlernt und wie sich ihr Leben unter dem schweren Eindruck des Zweiten Weltkriegs zum Unerwarteten verändert. Und im dritten und letzten langen Abschnitt erfährt die Geschichte einen erneuten Zeitsprung: Gustav und Anton sind nun alt, ihr Leben tritt in die letzte Phase ein, und Sehnüchte blieben ungesagt.


"Er wusste tatsächlich nicht, ob er die Mahler-Symphonie mit ihrem herzzereißenden zweiten Satz durchstehen würde, denn er konnte ihn nie hören, ohne an Viscontis Verfilmung von Thomas Manns 'Tod in Venedig' zu denken. Die Leidensgeschichte der Hauptperson Aschenbach war ihm immer wie eine extreme Variante seiner eigenen erschienen. Thomas Mann hatte sehr genau begriffen, dass eine unerfüllte heimliche Leidenschaft zwangsläufig zum körperlichen Zusammenbruch führt und, mit der Zeit, zum Tod. Gustav fragte sich lediglich, wo und wann der Tod wohl ihn selbst erwartete." (S. 294)


Die eher distanzierte Art des Schreibens gefiel mir ausgesprochen gut - Andeutungen reichen hier oft, um die mitschwingenden Emotionen zu transportieren. Für mich mussten die gar nicht ausgeschrieben werden - denn ähnliche Situationen sind einem selbst oftmals bekannt und die Gefühle dazu abgespeichert. So kann der Leser beispielsweise stellvertretend für Gustav empört sein über das oft so lieblos anmutende Verhalten der Mutter. Denn auch wenn da beispielsweise nur kurz geschildert wird, dass Gustav seine Mutter lieber nicht in den Arm nimmt, weil sie eigentlich nur ihre Zigaretten und den Schnaps will - wer ahnt denn nicht zumindest, wie das Kind sich dabei fühlen muss?

Ein melancholischer, leiser Ton herrscht hier, der die Einsamkeit der beiden Hauptcharaktere messerscharf herausstanzt und einem beim Lesen unter die Haut kriecht. Dennoch empfand ich es nicht als Lektüre, die mich deprimierte, sondern als eine Erzählung, die mich letztlich mit einem Lächeln entließ. Ein wirklich besonderer Roman, der Liebhabern solcher Geschichten ans Herz gelegt werden kann.


© Parden